Hass im Netz gefährdet Meinungsvielfalt und Demokratie

Wer online oft bedroht wird, zieht sich irgendwann zurück. Vor allem Frauen, diskriminierte Gruppen und politisch Aktive sind betroffen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.
Was Hater*innen oft von sich geben, bedroht Meinungsvielfalt und Demokratie.
Was Hater*innen oft von sich geben, bedroht Meinungsvielfalt und Demokratie.

Zwei Drittel aller Internetnutzer*innen zwischen 16 und 24 Jahren sind bereits mit Online-Hassbotschaften vertraut. Fast jede zweite Person, die für eine Studie des Kompetenzwerks gegen Hass im Netz befragt wurde, ist im digitalen Raum selbst schon beleidigt worden. »Vor allem junge Frauen sind betroffen. Es gibt eine eindeutige misogyne Dimension«, sagt Hanna Gleiß bei der Vorstellung der Ergebnisse am Dienstag in Berlin. Sie ist Ko-Geschäftsführerin von Das Nettz, einer Vernetzungsstelle gegen Hate Speech im Internet, die an der Studie mitgewirkt hat.

42 Prozent aller jungen Frauen bekamen bereits ungefragt Nacktfotos zugeschickt, jede fünfte wurde online sexuell belästigt, nennt Gleiß zwei Beispiele. Die bundesweit repräsentative Studie »Lauter Hass – leiser Rückzug«, für die über 3000 Internetnutzer*innen ab 16 Jahren befragt wurden, sei die umfassendste seit 2019. Der Titel wurde deswegen gewählt, weil Hass im Netz den zunehmenden Rückzug aus öffentlichen Diskursen zur Folge habe.

Neben Frauen seien auch Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund sowie Homo- und Bisexuelle zu jeweils rund 30 Prozent betroffen. »Gerade die, die vielfältige Perspektiven mit einbringen, ziehen sich zurück. Der Diskurs verengt sich und der Hass wird lauter«, schlussfolgert Elena Kountidou, Geschäftsführerin der Neuen deutschen Medienmacher*innen, die sich für mehr Diversität in Medienredaktionen einsetzen. Sie wertet digitalen Hass daher als »Angriff auf die Meinungsvielfalt«.

Konkret habe ein Viertel der Befragten angegeben, ein Profil in den sozialen Medien aufgrund von Hassnachrichten deaktiviert oder gelöscht zu haben. Mehr als die Hälfte bekennt sich aus Angst seltener zur eigenen politischen Meinung (57 Prozent) oder beteiligt sich gar nicht erst an Diskussionen (55 Prozent), sagt Rüdiger Fries, Vorsitzender der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur. »Den Hater*innen wird das Feld überlassen. In Zeiten von Wahlen ist dies besonders gefährlich«, warnt er. 89 Prozent der Befragten stimmten zu, dass Hass im Netz in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Mehr als drei Viertel seien besorgt, dass dadurch auch die Gewalt im Alltag zunimmt.

Letzteres treffe häufig auf Lokalpolitiker*innen zu, deren Wohnort in der Regel bekannt ist. »Da geht es schnell in den analogen Bereich, an die Familie«, berichtet Anna-Lena von Hodenberg. Sie ist Geschäftsführerin von Hate Aid, einer Beratungsstelle für Hass im Netz. Viele Bürgermeister*innen hätten schon darüber nachgedacht, »ihren Job zu schmeißen«, weil Hater*innen irgendwann vor der Tür oder der Schule der Kinder gestanden hätten.

Online würden häufig auch Journalist*innen und Aktivist*innen bedroht beziehungsweise mit Desinformation und Verleumdung Zweifel an deren Arbeit geschürt. Es gehe vielen Täter*innen also darum, »die Säulen unserer Demokratie zu schwächen«, so von Hodenberg. Bislang zeigen jedoch nur fünf Prozent der Betroffenen Hass im Netz an, was wohl auch mit Enttäuschung über die bislang mangelnde Rechtsdurchsetzung zu tun habe – in dieser Hinsicht müsse wesentlich mehr getan werden.

So sieht das auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und verspricht, die Regierung werde »Gesetze überprüfen und bei Bedarf nachjustieren«. Unter anderem müsse das Demokratiefördergesetz schnell verabschiedet werden, sagt sie – während der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Mordhorst diesem Gesetz gegenüber dem Tagesspiegel eine Absage erteilt: »Das Demokratiefördergesetz wird in dieser Form nicht kommen.« Bevor es soweit ist, muss wohl erst noch ein weiterer Ampel-Streit ausgetragen werden.

Von Hodenberg fordert aber auch eine klare Durchsetzung der EU-Verordnung zu digitalen Diensten, besseren Betroffenen-Schutz, eine Bildungsoffensive hinsichtlich Medienkompetenz und nicht zuletzt, dass Social-Media-Plattformen finanziell zur Verantwortung gezogen werden. Ein Teil ihrer Gewinne sollte in Demokratieprojekte und Forschung fließen. Schließlich würden die Plattformen mit Hass im Netz eine Menge Geld verdienen, da empörende Inhalte die meisten Reaktionen hervorrufen und deswegen von den Algorithmen zusätzlich bevorzugt ausgespielt werden.

Hinzu kommen sogenannte Bots oder Fake-Accounts, also künstliche Intelligenzen, die Hass verbreiten. Leider könne man die nicht genau untersuchen, weil Betreiber*innen wie der X-Chef Elon Musk ihre Plattformen immer mehr abschotten würden. Diese müssten ganz klar reguliert werden, »damit wir dort wieder miteinander ins Gespräch kommen können statt uns weiter anzuschreien«, so von Hodenberg.

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