Lichtenberg: Eigenbedarf gegen Hausgemeinschaft

Verhandlung zu Eigenbedarfsklage in Lichtenberg im Mietersinne entschieden

  • David Rojas Kienzle
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende holt der Richter selbst Stühle. Für die 20 Leute, die am Dienstag einen Prozess wegen einer Eigenbedarfsklage am Amtsgericht Lichtenberg beobachten wollen, ist fast nicht genug Platz. In der Güteverhandlung sollte geklärt werden, ob es nicht doch eine außergerichtliche Einigung geben kann. Der Eigentümer, der 2021 vier Wohnungen im Block an der Lichtenberger Leopoldstraße 22 erworben hat, will in diese Wohnung einziehen und sie mit einer anderen Wohnung auf der Etage zu mehr als 200 Quadratmetern Wohnfläche zusammenlegen. Die Mieterin, die Lotti genannt werden will und seit 2008 in der Wohnung im Nöldnerkiez lebt, will bleiben.

Mit seinen ersten Worten macht der Richter seine Rechtsauffassung deutlich: Es gilt eine Sperrfrist für Kündigungen von zehn Jahren nach Umwandlung in Eigentumswohnungen, also bis 2031. Trotzdem versucht er den Streitparteien eine Einigung nahezulegen, mit einer Abfindung von 50 000 Euro für einen Auszug etwa. Eine gewisse Flexibilität würde helfen, meint er in Richtung der Mieterin. Aber weder will der Eigentümer das zahlen, noch ist Mieterin Lotti bereit auszuziehen.

Am Ende wird das Gericht schriftlich entscheiden. Im Falle anderer Wohnungen aus demselben Haus mit demselben Vermieter hat das Gericht schon festgestellt, dass die Sperrfrist gilt. Der Eigentümer hat sein Recht auf Berufung in diesen anderen Fällen bereits genutzt. Über den Bedarf, den der Eigentümer an der Wohnung hat, wurde an diesem Termin nicht gesprochen. Der Unternehmer, dem neben den vier Wohnungen noch weitere Wohnungen in Berlin gehören, bot in der Verhandlung an, er könne der Mieterin ja mit seinem Netzwerk helfen, eine andere Bleibe zu finden.

Für Lotti kommt das nicht in Frage. Es gehe in der Verhandlung um viel mehr als nur um eine Wohnung. »Wir sind hier wie eine Kommune. Wir haben zum Beispiel Kinder im Haus, die sich ganz natürlich in allen Wohnungen bewegen. Wenn ich krank bin, wird mir Essen vor die Tür gestellt. Ich weiß, dass ich nicht alleine bin«, erzählt sie »nd«. Der Prozess hat sie sichtlich mitgenommen. Aber auch hier ist die Hausgemeinschaft zur Stelle. Viele Nachbar*innen unterstützen Lotti beim Prozess.

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Die Geschichte des Hauses ist typisch für den Berliner Immobilienmarkt. Mieter erzählen, dass es um 2016 herum an eine luxemburgische Firma verkauft wurde. Untypisch: Bereits Ende der 90er Jahre waren die Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Bis auf eine Wohnung blieben sie aber zunächst in der Hand eines Vermieters. Ab dem Verkauf 2016 wurden die Wohnungen sukzessive an unterschiedliche Eigentümer verkauft. Mieter hatten davor mit Heizungs- und Warmwasserausfällen zu kämpfen. Viele verließen das Haus, manche bekamen Abfindungen.

Von der alten Hausgemeinschaft ist nur noch der Aufgang übrig, in dem Lotti wohnt. Dass für ihre Wohnung überhaupt die Sperrfrist gilt, ist einem Bürokratiefehler geschuldet: Aus drei Wohnungen auf ihrer Etage wurden irgendwann faktisch zwei Wohnungen gemacht, dies aber nicht im Grundbuch vermerkt. Da die Wohnungen auf dem Papier, so wie sie seit mehr als einem Jahrzehnt bewohnt werden, erst seit 2021 existieren, gilt nun dies als Zeitpunkt der Umwandlung in Eigentumswohnungen, zumindest vor dem Amtsgericht.

Neben der Hausgemeinschaft ist auch die Initiative »Eigenbedarf kennt keine Kündigung« beim Prozess dabei. Sie hat sich 2018 gegründet und unterstützt andere Mietergruppen bei Fragen zu Eigenbedarfskündigungen, macht Veranstaltungen zum Thema und unterstützt Betroffene. Sonja von der Gruppe berichtet von zahllosen Eigenbedarfskündigungen in ganz Berlin. Noch am selben Tag ist ein weiterer Prozess in Kreuzberg, zu dem sie mit ihren Mitstreiter*innen geht. Sie stellt grundsätzlich in Frage, warum Leute mit mehr Geld so viel Macht über das Leben anderer Menschen haben: »Wenn jemand eine vermietete Wohnung kauft, dann sollte es nicht möglich sein, die Mieter rauszuschmeißen.«

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