»Es geht darum, Alternativen vorzuschlagen«

Noch immer gibt es historische Ausbeutungsmuster in den südafrikanischen Minen, meint die Politikwissenschaftlerin Sikho Luthango

  • Interview: Christian Selz
  • Lesedauer: 7 Min.
Es gibt zwar Sozialpläne. Aber die seien bei Arbeitern unter Tage noch nicht angekommen, bemängelt Sikho Luthango.
Es gibt zwar Sozialpläne. Aber die seien bei Arbeitern unter Tage noch nicht angekommen, bemängelt Sikho Luthango.

Der Bergbau gilt als Rückgrat der südafrikanischen Wirtschaft. Historisch hat die Branche von der Unterdrückung schwarzer Menschen zu Apartheid-Zeiten, niedrigen Löhnen und einem Staat profitiert, der sich für Umweltbelange nicht viel gekümmert hat. Wie hat sich das in den vergangenen 30 Jahren Demokratie verändert?

Der wichtigste Punkt ist wahrscheinlich Black Economic Empowerment (BEE), also die Verpflichtung für Unternehmen, 26 Prozent ihrer Anteile an schwarze Menschen zu transferieren. Damit sollte vor allem die historische Benachteiligung korrigiert werden. Die Einbindung und der Einfluss von Gewerkschaften ist auch eine positive Veränderung und hat zur Verbesserung des Arbeitsschutzes nach 1994 geführt.

Aber die Vergangenheit lastet noch auf der Branche?

Ja, die Hinterlassenschaften des Aufbaus dieser Branche während der Apartheid sind bis heute spürbar. Wir haben zwar Änderungen geschaffen: Wir haben jetzt Sozialpläne, mit denen Unternehmen verpflichtet werden sollen, ihre sozialen Verpflichtungen zu erfüllen, Krankenhäuser zu bauen, Schulen zu bauen – aber das Erbe der Apartheid setzt sich fort. Es gibt eine sehr hohe Arbeitslosenrate in den Bergbaugebieten, und die Umweltprobleme sowie Menschenrechtsprobleme bestehen fort. Auch die Löhne sind noch sehr niedrig. Die Bergbauindustrie hält diese Verhältnisse aufrecht, auch wenn es kleinere Veränderungen gab.

Interview

Sikho Luthango ist Programmleiterin für Arbeitsbeziehungen und Wirtschaft im südlichen Afrika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg. Sie stellt sich die Frage, wie man Bergbaukonzerne und deren Abnehmer zwingen kann, Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten.

Einer der Nutznießer des BEE-Programms war der heutige Präsident, Cyril Ramaphosa, der Anteile an dem Bergbauunternehmen Lonmin erworben hatte. 2012 forderte er von der Polizei ein »entschiedenes Durchgreifen« in der Stadt Marikana gegen streikende Bergarbeiter. Einen Tag später wurden 34 Kumpel erschossen. Denken Sie, dass BEE Arbeits- und Lebensbedingungen verändert?

BEE dreht sich hauptsächlich um eine kleine politische Elite, die davon profitiert hat. Es hat Veränderungen in diesen Unternehmen gegeben, zumindest was die Diversität angeht. Aber der Wandel ist nicht bei den Menschen angekommen, die unter Tage arbeiten, und auch nicht in den Gemeinden der Arbeiter. Marikana, wo Lonmin operierte, ist solch ein Beispiel. Eine politische Schlüsselfigur war in das schlimmste Massaker nach 1994 involviert.

Die Vergabe von Bergbaulizenzen ist in Südafrika an Sozialpläne geknüpft. Wenn man aber mit Aktivisten vor Ort spricht, klagen sie über nicht existierende staatliche Strukturen und über Bergbaukonzerne, die sich nicht um ihre Belange kümmern. Kann der Staat diese Sozialpläne nicht durchsetzen?

Wenn man die Regularien für den Bergbau analysiert, dann findet man gute Leitlinien in Südafrika wie die Sozialpläne, die es in vielen anderen afrikanischen Ländern gar nicht gibt. Allerdings laufen diese nur für drei bis fünf Jahre, und dann werden sie durch einen neuen Plan ersetzt. Also erneuert dasselbe Unternehmen, das seit vielen Jahren dort agiert, alle fünf Jahre seine sozialen Ziele, ohne dass es diese in der vorherigen Periode je erfüllt haben muss. Es gibt also keine Kontinuität und damit auch keine Handhabe, die Unternehmen außerhalb des aktuellen Plans zur Verantwortung zu ziehen.

Hinzu kommt ein Mangel an Transparenz. Die Sozialpläne werden in der Regel kaum mit den Gemeinden vor Ort ausgehandelt. Ohne das entsprechende Wissen können die Gemeindemitglieder die Bergbauunternehmen aber nicht zur Verantwortung ziehen, obwohl die Sozialpläne verbindlich sind. Die staatlichen Strukturen in diesen Gegenden werden mit der Zeit geschwächt und von den Bergwerken übernommen. Wenn die Mine dann dicht macht, bricht die lokale Wirtschaft zusammen und »Geisterstädte« entstehen insbesondere dort, wo Schließungspläne nicht die Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze für Frauen und Jugendliche berücksichtigen.

Um den Bergbaugemeinden eine Stimme zu geben, wurde vor 14 Jahren die Alternative Mining Indaba ins Leben gerufen als Zusammenkunft von Gemeindeaktivisten. Was ist das Ziel dieser Initiative?

Es geht darum, Alternativen vorzuschlagen. Auf der Industriemesse African Mining Indaba dreht sich alles um Investitionen. Das ist hauptsächlich eine Zusammenkunft von Bergbauunternehmen, Ivnestoren und Regierungen – also ein sehr exklusiver Kreis, und es geht nur darum, wer wem was bieten kann. Da wird der Regulierungsrahmen vermarktet – und die Frage, wie wenig Anforderungen erfüllt werden müssen, oder wie leicht man Lizenzen bekommen kann. Die Umwelt- und Sozialfragen, die ja Folgen des Bergbaus sind und in den Regularien geklärt werden müssen, spielen kaum eine Rolle.

Die Alternative Mining Indaba versucht daher, ein Bewusstsein für die Auswirkungen des Bergbaus auf soziale Fragen und die Umwelt zu schaffen, aber auch für die Möglichkeiten, wie Bodenschätze den Menschen dienen können – insbesondere bei Rohstoffen, die für die Energiewende benötigt werden. In afrikanischen Ländern haben wir bisher kaum Nutzen vom Bergbau gehabt. Es geht also darum, aufzuzeigen, wie Gemeinden vor Ort davon stärker profitieren können, ohne unter den schwerwiegenden Folgen für Menschenrechte und Umwelt zu leiden. Sie sollen besser mitbestimmen können, vorab fair und korrekt informiert werden – und auch »Nein zum Bergbau« sagen können. Und es geht darum, Solidarität aufzubauen, um gemeinsam Unternehmen und Regierungen für Folgen des Bergbaus zur Rechenschaft zu ziehen.

Wie bringt sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung dabei ein?

Wir sind seit 2018 bei der Alternative Mining Indaba und für uns ging es zunächst darum, ein Bewusstsein für die internationalen Prozesse zu schaffen, mit denen versucht wird, eine Rechenschaftspflicht entlang der Lieferketten zu etablieren. Ein Beispiel ist das UN-Abkommen zu internationaler Wirtschaft und Menschenrechten. 2018 lag das Massaker von Marikana noch nicht so lange zurück, und das deutsche Unternehmen BASF bezog Platin von Lonmin. Wir haben dann versucht, die internationalen Prozesse bekannt zu machen, mit denen die Kämpfe der Menschen hier vor Ort mit den Auseinandersetzungen im Herkunftsland der Unternehmen verbunden werden.

In diesem Jahr haben wir seltene Rohstoffe in den Mittelpunkt gestellt, insbesondere Lithium aus Simbabwe, um Möglichkeiten für sozioökonomische Entwicklung im Zusammenhang mit dem Lithiumabbau zu erörtern.

Und wie stehen die Chancen für eine sozioökonomische Entwicklung?

Simbabwe ist sehr reich an Lithium, 70 Prozent der weltweit bekannten Vorkommen lagern dort. Es ist also ein wichtiger Akteur in der Batterie-Lieferkette. Lithium ist sehr wichtig für Elektro-Fahrzeuge und Stromspeichertechnik, also letztlich für die Energiewende. Es gibt aber nur ein Land, das massiv in Simbabwe investiert, und das ist China. Eine Diversifizierung wäre wichtig, um gute Preise zu erzielen. Zudem mangelt es von der chinesischen Seite aus an verbindlichen Regulierungen von Umwelt-, Sozial- und Mitbestimmungsfragen. Ohne ernsthafte Schutzmaßnahmen in diesen Bereichen – Regelungen zur lokalen Teilhabe eingeschlossen – droht Simbabwe in die gleiche Falle zu geraten wie bei der Diamanten- und Goldförderung: Die Menschen vor Ort haben kaum etwas davon, Korruption durch lokale Eliten ist fest verankert, und es kommt immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen.

Letztlich geht der Großteil der Rohstoffe aus dem südlichen Afrika in den globalen Norden. Wie kann von diesem Ende der Lieferkette aus Druck für eine Verbesserung der Situation aufgebaut werden?

In erster Linie durch Konsumenten, die eine wichtige Rolle spielen müssen. Konsumenten sind Bürger, Bürger sind Wähler. Wenn sie die Regierung unter Druck setzen und Nachhaltigkeit entlang der Lieferketten verlangen, dann werden Parteien gezwungen, sich für eine Gesetzgebung einzusetzen, die bindend ist, und die eine Verantwortung für Umwelt- und Menschenrechtsstandards schafft. Wir haben die Initiative für ein EU-Lieferkettengesetz gesehen, wir haben das deutsche Lieferkettengesetz. Das sind Schritte in die richtige Richtung, insbesondere die EU-Direktive, wenn sie denn kommt. Denn das würde bedeuten, dass sich die gesamte EU als mächtiger internationaler Akteur für Nachhaltigkeit und Menschenrechte einsetzt. Leider hat Deutschland nun entschieden, sich bei der Abstimmung im EU-Parlament zu enthalten aufgrund des Rückziehers der FDP. Das kann ernste Folgen für die Nachhaltigkeit von Rohstoffen haben.

Was schließen Sie daraus?

Die Bürger sollten jegliche Produkte boykottieren, die nicht nachhaltig sind. Dazu braucht es Wissen – und globale Solidarität. Hier spielen NGOs eine wichtige Rolle, um Aktivisten in den Produktionsländern mit denen in den Konsumentenländern zu verbinden. Aber auch darüber hinaus gibt es auf internationaler Ebene Gespräche über verbindliche Mechanismen zur Regulierung von Lieferketten, insbesondere von Lieferketten transnationaler Konzerne, wo derzeit noch eine Lücke besteht. Es ist wichtig, dass diese Debatte auf der Ebene der Vereinten Nationen weitergeführt wird. Vor allem jetzt, da es bei der EU-Lieferkettendirektive hakt.

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