Sozialstaat versus Militär: »Kanonen ohne Butter«

Ökonom erklärt Sozialkürzungen für nötig, um deutsche Verteidigungsfähigkeit zu sichern

Findet, Sozialstaat plus Aufrüstung seien »Schlaraffenland«: Clemens Fuest, Chef des unternehmernahen Ifo-Instituts
Findet, Sozialstaat plus Aufrüstung seien »Schlaraffenland«: Clemens Fuest, Chef des unternehmernahen Ifo-Instituts

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und Sozialverbände schlagen Alarm, seit Bundesfinanzminister Christian Lindner ein dreijähriges Einfrieren der staatlichen Ausgaben für Renten und Sozialleistungen gefordert hat. Der FDP-Vorsitzende hatte betont, anders sei die zur Sicherung der »Freiheit« des Westens nötige Erhöhung der Verteidigungsausgaben nicht möglich.

Sozialverbände, SPD und Grüne wenden sich dagegen. Ihre Vertreter stellen die massive Aufrüstung indes nicht infrage, sondern betonen lediglich, sie dürfe nicht zulasten der Ärmeren gehen. So erklärte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: »Die Diskussion auf dieser Ebene zu führen, hilft auch der Ukraine nicht: Vielmehr ist zu erwarten, dass mit einer solchen Politik die Zustimmung in Deutschland für die Ukraine-Unterstützung schwindet.«

Nur Die Linke stellt die Notwendigkeit von mehr Waffen für die Bundeswehr – und mehr milliardenschwere Lieferungen von Kriegsgerät an die Ukraine, an Israel und in andere Konfliktregionen – grundsätzlich infrage.

Die Grünen-Ko-Vorsitzende Ricarda Lang forderte indes wie andere Politiker ihrer Partei und der SPD die Aufstockung von Sondervermögen für Bundeswehr und militärische Unterstützung der Ukraine. Es werde nicht gelingen, diese Aufgaben aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren.

Für Irritationen sorgen unterdessen Äußerungen von Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Er hatte Lindner in der ZDF-Sendung »Maybritt Illner« beigepflichtet und sogar erklärt, dass auch an Kürzungen im Sozialbereich kein Weg vorbeiführen werde. »Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter«, sagte er wörtlich. Der Sozialstaat, so Fuest, werde zwar weiter finanziert. »Aber er wird halt kleiner ausfallen.«

In den sozialen Medien wurde daran erinnert, dass Fuests Wortwahl bemerkenswert nah an jener von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ist. Der hatte dem deutschen Volk schon 1936 eingeschärft: »Auch heute gilt die Parole: Kanonen statt Butter.«

Der Schriftsteller Max Czollek kommentierte die Äußerungen von Fuest im Onlinedienst X und konstatierte, diese seien »nicht so unglaublich, wie es scheint«. Er erinnerte daran, dass der heutige SPD-Ko-Vorsitzende Lars Klingbeil schon 2022 von der Notwendigkeit sprach, dass Deutschland »nach 80 Jahren außenpolitischer Zurückhaltung« wieder einen militärischen Führungsanspruch erheben müsse. Czollek stellt fest: »Trotz AfD fühlt sich das bürgerliche Deutschland offenbar weit genug von der eigenen Gewaltgeschichte entfernt, um offen an ihre Rhetorik anzuknüpfen.« Dabei gebe es »keinen Grund für diese Unbedarftheit«, die die extrem rechte AfD weiter stärke und normalisiere.

Der größte Posten im Bundeshaushalt ist der Sozialetat. Er macht knapp 40 Prozent der Staatsausgaben aus. Der größte Einzelposten darin ist die Rentenversicherung, für die die Bundesregierung in diesem Jahr 127,3 Milliarden Euro eingeplant hat. Weitere 47 Milliarden Euro sind für Sozialleistungen vorgesehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar versprochen, Deutschland werde auch nach Verbrauch des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr langfristig zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung stecken. Schätzungen zufolge würde dies für das Jahr 2028 eine Verdopplung des Wehretats von 52 Milliarden in diesem Jahr auf 108 Milliarden Euro bedeuten.

Am Montag betonte der Kanzler indes, er lehne soziale Einschnitte und den Abbau von Arbeitnehmerrechten strikt ab. CDU und CSU wollten über die Anhebung des Renteneintrittsalters an die Rente rangehen, andere wollten Leistungen im Krankheits- und im Pflegefall einschränken, manche den Kündigungsschutz und anderes abbauen. »Für mich kommt das nicht in Betracht«, betonte Scholz in Berlin bei gegenüber der dpa-Chefredaktionskonferenz. Er schließe aus, dass »eine von mir geführte Regierung so etwas macht«.

DGB-Chefin Yasmin Fahimi forderte derweil, die Debatte über die Sozialausgaben »vom Kopf auf die Füße« zu stellen. Gegenüber »Bild« wies sie am Montag darauf hin, dass diese in Deutschland »weder im internationalen noch im historischen Vergleich besonders hoch« seien. Sie warnte davor, »in Zeiten des Umbruchs weitere soziale Verwerfungen durch Einsparungsdebatten zu provozieren«. Auch Fahimi fordert, man müsse »ran an die Schuldenbremse«.

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