Oscars: Alles beim Alten?

Sorgen neue Regeln wirklich dafür, dass die Oscar-Nominierungen ab diesem Jahr diverser werden?

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 6 Min.
Die diesjährige Oscar-Verleihung soll die Diversität der US-Gesellschaft besser als zuvor repräsentieren.
Die diesjährige Oscar-Verleihung soll die Diversität der US-Gesellschaft besser als zuvor repräsentieren.

Waren die Oscar-Nominierungen in den vergangenen Jahren immer wieder Anlass, um über mangelnde Diversität und den strukturellen Rassismus der Filmindustrie in Hollywood an sich zu diskutieren, soll das in diesem Jahr zumindest ein Stück weit anders sein. Abhilfe sollen einige neue Regeln bringen, die erstmals ab diesem Jahr, bei der 96. Oscar-Verleihung, greifen und schon vergangenen Sommer als im Grunde sehr späte Reaktion auf die 2015 erstmals gestartete Kampagne #oscarsowhite festgelegt wurden. Um Diversität zu garantieren, muss in einer der wichtigsten Kategorien, nämlicher »Bester Film«, eine Reihe neuer Vorgaben beachtet werden, um überhaupt nominiert werden zu können. Die rechte Presse und einige Social-Media-Kanäle wie »End Wokeness« hat das schon vergangenes Jahr, als diese Neuerung verkündet wurde, auf die Palme gebracht. Dabei sind die Vorgaben letztlich fast zu leicht zu erfüllen, wie auch die »New York Times« betont. Das Reglement mit dem Namen »Raise« (die Abkürzung steht für »Representation and Inclusion Standards«) soll gewährleisten, dass unterrepräsentierte gesellschaftliche Gruppen in Filmen und bei ihrer Produktion eine Rolle spielen.

Damit sind neben nichtweißen auch queere Personen und Menschen mit Beeinträchtigungen gemeint. Wobei von vier Standardvorgaben, unter anderem der Anteil an nichtweißen Haupt- und Nebendarstellern, die erzählten Themen, Produktionsbedingungen und Vermarktung, also das ganze Filmgeschäft, nur zwei erfüllt werden müssen. Also reichen einige bezahlte Praktika für Menschen etwa mit einem lateinamerikanischen Familienhintergrund in der Filmproduktion und eine Werbefirma zur Vermarktung des Films, in dem ein bestimmter Prozentsatz queerer Menschen arbeitet, im Grunde schon aus, um die Vorgaben zu erfüllen. Den Verantwortlichen geht es vor allem darum, ein Zeichen zu setzen. Mal sehen, ob das perspektivisch überhaupt substanziell etwas ändern kann. Auch die Anzahl der stimmberechtigten Akademiemitglieder ist mit über 10 000 mittlerweile deutlich höher als in anderen Jahren und soll so die Diversität der US-Gesellschaft besser als zuvor repräsentieren. Dabei stellt sich natürlich bei einem genaueren Blick die Frage: Wie politisch sind die Filme, wenn es unter anderem um die Themen Rassismus, soziale Ausgrenzung und Geschlechtergerechtigkeit geht? Und wie ernst gemeint oder aufgesetzt ist der verordnete Antirassismus?

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Da hält der mit fünf Oscars nominierte Film »American Fiction« dem US-Kulturbetrieb und seiner bildungsbürgerlichen weißen Elite mitsamt ihrer bemühten Rassismuskritik wunderbar den Spiegel vor. In Deutschland kam der Film leider gar nicht erst in die Kinos, seit Ende Februar ist er zwar bei Amazon Prime zu sehen, wurde aber ohne große Ankündigung ins Streaming-Programm gehievt. »American Fiction« erzählt vom Rassismus im Kulturbetrieb anhand der Geschichte eines erfolglosen schwarzen Autors, der plötzlich mit einem Buch Erfolg hat, das genau den weißen rassistischen Stereotypen einer gängigen Ghetto-Literatur entspricht. »American Fiction« ist für die Kategorie »Bester Film« nominiert, Jeffrey Wright außerdem als bester männlicher Hauptdarsteller und die Drehbuchadaption des 42-jährigen Cord Jefferson, für den dies sein Debütfilm als Regisseur ist, könnte ebenfalls einen Oscar bekommen. Das ist für den Kulturbetrieb deshalb interessant, weil Percival Everett, der Autor des zugrunde liegenden, auf Deutsch leider vergriffenen Romans »Ausradiert« (2001), dieser Tage in den amerikanischen Feuilletons mit seiner zugleich auf Deutsch verlegten Neuerscheinung »James«, einer rassismuskritischen Version von Mark Twains »Huckleberry Finn«, für Aufsehen sorgt. Sein letztes Buch »Die Bäume«, ein Zombie-Roman über Lynchjustiz und Rassismus, gilt vielen als die literarische Entsprechung zur US-Protestbewegung nach dem Mord an George Floyd.

Ebenfalls sehr politisch ist das Biopic »Rustin«, das von dem schwarzen und schwulen Politaktivisten Bayard Rustin erzählt, der maßgeblich an der Organisation des ersten großen Bürgerrechtsmarsches in Washington 1963 beteiligt war, bei dem Martin Luther King seine legendäre »I have a dream«-Rede hielt. Colman Domingo ist neben Jeffrey Wright als weiterer schwarzer Schauspieler für die wichtige Kategorie »Bester männlicher Hauptdarsteller« nominiert. Dort finden sich noch Bradley Cooper, dessen Bernstein-Biopic »Maestro« für sieben Oscars nominiert ist, Cillian Murphy, der Oppenheimer im gleichnamigen, 13-mal nominierten Monumentalfilm von Christopher Nolan verkörpert, und Paul Giamatti für seine Rolle in der High-School-Tragikomödie »The Holdovers«, der fünf Nominierungen erhalten hat, unter anderen auch als »Bester Film«. In der Kategorie »Beste weibliche Hauptdarstellerin« findet sich mit Lily Gladstone, die Mollie Kyle in Martin Scorseses mit zehn Nominierungen ebenfalls zu den Spitzenreitern gehörendem Film »Killers of the Flower Moon« spielt, zum ersten Mal in der Geschichte der Oscars eine indigene Person in dieser Kategorie.  

In der Kategorie »Beste weibliche Hauptdarstellerin« ist auch Annette Benning für ihre Rolle im wirklich sehenswerten Biopic »Nyad« über die Langstreckenschwimmerin Diana Nyad nominiert, die im Alter von 64 Jahren als erster Mensch von Kuba nach Florida schwamm. Die zweite Möglichkeit auf einen Oscar für diesen Film hat Jodie Foster als »Beste weibliche Nebendarstellerin«, womit zwei lesbische Frauen für ihre Rollen in dieser Geschichte über eine außergewöhnliche jahrlange queere Freundschaft nominiert wurden. Die Kategorie »Beste weibliche Nebendarstellerin« spielt in den US-Feuilletons mit Blick auf die nichtweißen Schauspielerinnen eine wichtige Rolle. Neben Jodie Foster und Emily Blunt (»Oppenheimer«) sind hier mit Danielle Brooks (»Die Farbe Lila«), Da’Vine Joy Randolph (»The Holdovers«) und America Ferrera (»Barbie«) die Mehrheit der Nominierten nicht weiß. Aber auch das ist natürlich aussagekräftig, wenn sich im Gegensatz dazu in der viel bedeutenderen Kategorie »Beste weibliche Hauptdarstellerin« abgesehen von Lily Gladstone nur weiße Frauen die Klinke in die Hand geben.

Insofern mögen bei dieser Oscar-Verleihung die Bemühungen der Filmakademie, diverser zu werden, durchaus spürbar sein. Eine drastische Veränderung, wie sie die amerikanische Rechte in ihrem nie abreißenden Kulturkampf schon an die Wand malt, ist aber keineswegs zu beobachten. Interessant ist eigentlich noch die Frage, ob es unter den Nominierungen auch einen Film gibt, in dem nichtweiße Schauspieler*innen etwas verkörpern, das nichts mit ihrer kulturellen Zuschreibung als Person of Color zu tun hat. So ein Film findet sich in der Tat sogar in der Sektion »Kurzfilm«. »The After« erzählt in 18 unter die Haut gehenden Minuten vom Schmerz eines Mannes, dessen Frau und Kind willkürlich mitten im urbanen Alltag von einem Terroristen ermordet werden. Wie Dayo (David Oyelowo) mit diesem sein Leben völlig über den Haufen werfenden Ereignis in seinem Alltag als Uber-Fahrer umgeht und wie dieser Schmerz während einer Fahrt eskaliert, ist beeindruckend, wobei für die Geschichte die kulturelle Zuschreibung des schwarzen Schauspielers keine Rolle spielt. Insofern lohnt sich der Blick auf die kleinen Produktionen neben den bombastischen Monumentalfilmen.

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