Achim Frenz ist tot: Der Mann von der Kartenzentrale

Ein kleiner Nachruf auf Achim Frenz, einen wichtigen Mann im Hintergrund der Satireszene

  • Christian Y. Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf meinem Handy ist ein Foto, das Achim am 13. April vergangenen Jahres im Europaparlament in Brüssel zeigt, wo wir beide (und etliche andere) auf Einladung von Martin Sonneborn, dem Europaabgeordneten von Die Partei, weilten. Wie selbstverständlich hatte Achim mit seiner Freundin in der letzten besetzten Reihe Platz genommen, um mich dabei zu fotografieren, wie ich ihn fotografierte. Tatsächlich war Achim Zeit seines Lebens der Mann im Hintergrund der deutschen Satiriker- und komischen Zeichnerszene. Sein Wirken für ebendiese Szene aber kann kaum überschätzt werden.

Mag sein, dass er anfangs noch weitergehende Ambitionen hatte. Ich lernte Achim Anfang der 80er Jahre kennen, zunächst jedoch bloß schriftlich. Damals betrieben er und sein Freund Andreas Sandmann in Kassel eine obskure »Kartenzentrale – Nord/Mitte«, ich glaube, weil sie Briefpapier und Stempel der echten Kartenzentrale – wofür auch immer diese da gewesen sein mag – gefunden hatten. Dieses erste Frenzsche Unternehmen publizierte fotokopierte Flugschriften verwirrenden Inhalts, und als sein Vertreter kontaktierte Achim einst per Brief die Redaktion des legendären »Dreck-Magazins« in Bielefeld, das ich damals zusammen mit Hans Zippert, Fritz Tietz, Harald Lippert und Rüdiger Stanko herausgab.

Aus diesem ersten Kontakt wurde bald mehr. Die Kartenzentrale abonnierte das »Dreck-Magazin«, und verkaufte es eventuell gar in Kassel. Irgendwann lernten wir uns dann persönlich kennen, in der zweiten Hälfte der 80er, auf einer »Titanic«-Party, die im Frankfurter Kino »Orfeo« stattfand. »Ah«, begrüßte ich Achim, »die Kartenzentrale Nord/Mitte auch hier.« Das wurde dann lange Zeit mein geflügelter Begrüßungsspruch, immer dann, wenn wir uns irgendwo überraschend begegneten.

Vor einem Jahr in Brüssel hatten wir uns schon länger nicht gesehen, weil ich ja die Nuller und die Zehner zum größten Teil in China verbracht hatte. In den 90ern, in meiner Rolle als »Titanic«-Redakteur, trafen wir uns deutlich häufiger. Zwar war ich noch nicht dabei, als Achim und andere 1987 die erste große Ausstellung für komische Kunst in Kassel organisierten, parallel zur Documenta als eine Art Gegenaustellung. Sie hieß »Mit 70 die volle Wahrheit« und zeigte Karikaturen von 70 Künstlern und Zeichnern.

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Achim, der aus Bremerhaven kam, hatte in Kassel Kunst studiert und dann mit anderen eine Künstlergruppe gegründet, die sich »Visuelle Opposition« nannte und hauptsächlich Plakate im Siebdruck machte. Als 1992 parallel zur Documenta die zweite große Ausstellung der Kartenzentrale, die sich dann »Caricatura« nannte, im Museum für Sepulkralkultur stattfand, gehörte ich mit anderen »Titanic«-Redakteuren zum Rahmenprogramm.

Ich erinnere mich dunkel, dass ich mich damals über den Ansatz, komische Kunst ganz ernsthaft auszustellen, lustig machte, sehr zu Achims Leidwesen. Das zeigt aber nur sehr deutlich, wie neu dieser Ansatz zu diesem Zeitpunkt war, und wie relativ jung und dumm ich damals war. Tatsächlich braucht auch die Komische Kunst Institutionen, die sie fördert, einkauft und historisch einordnet sowie erst recht Orte, wo sie ausgestellt und gesammelt wird, auch weil es sich bei ihr, wie vielfach auch heutzutage noch geglaubt wird, um keine mindere Kunst handelt.

Achim Frenz hat auf diesem Gebiet in Deutschland Pionierarbeit geleistet, das wird in der Rückschau noch einmal sehr deutlich. Zunächst hat er in Kassel gewirkt, wo 1995 die »Caricatura – Galerie für Komische Kunst« im Kulturbahnhof eröffnete, und dann seit 2008 in der Heimatstadt der Neuen Frankfurter Schule selbst, in Frankfurt am Main. Hier wurde er Leiter des Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst, das standesgemäß und angemessen im historischen Leinwandhaus beheimatet ist, in unmittelbarer Nähe des Römers.

An diesem Ort finden seitdem die prächtigsten Ausstellungen Komischer Kunst statt, für die es sonst auch heutzutage noch nur wenige Orte in Deutschland gibt, zumindest in Relation zu den Museen, die sich der Kunst der Ernstelei verschrieben haben.

Erst am 1. November ist Achim als Direktor des Museums in den Ruhestand gegangen, keine vier Monate später ist er am vergangenen Montag in Kassel gestorben. Er wurde 66 Jahre alt. Ich bin sehr froh, dass ich ihn im vergangenen Jahr noch einmal treffen durfte. Viel war es nicht, was wir damals in Brüssel miteinander geredet haben. Aber der Gruß war immer noch derselbe, als wir uns im Foyer des gemeinsamen Hotels trafen: »Ah, die Kartenzentrale Nord/Mitte. Auch hier.«

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