»Supersex«: Wenn der Pornostar Rocco Siffredi zustößt

Die Serie »Supersex« verliert sich mit der oberflächlich inszenierten Biografie des Pornostars Rocco Siffredi gewaltig in Klischees

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Fehlen nur noch die glotzenden Bauarbeiter und das Klischee ist perfekt: So ist »Supersex«.
Fehlen nur noch die glotzenden Bauarbeiter und das Klischee ist perfekt: So ist »Supersex«.

Eigentlich sollte Rocco Tano (später Rocco Siffredi) Priester werden, er entschied sich aber für eine Karriere als italienischer Pornostar. Die siebenteilige für Netflix produzierte Serie »Supersex«, die auf der diesjährigen Berlinale lief, ist lose inspiriert von Siffredis wahrem Leben und konzentriert sich auf einen Sohn, der scheinbar in der unersättlichen Gier nach Sex mit anderen die Liebe seiner Mutter suchte. Unterwürfige Frauen, Mafiosi und rammelnde Männer ergänzen das Bild in dieser rückschrittlichen Serie.

Gleich von Anfang an bedient »Supersex« jedes Klischee: Rocco (Alessandro Borghi), der »König des Pornos«, hat einen Presseauftritt auf einer Erotikmesse in Paris (der »Biennale des Sex«), er schläft auf der Toilette mit einer Hostess, durch das Fenster zum Klo schauen johlende Fans und die Presse zu, wie er von hinten zustößt. Zuvor hat er seinen Rücktritt auf der Bühne verkündet.

Danach springt die Serie zurück in Roccos Kindheit in den 70ern im italienischen Ortona, als Rocco als unglücklicher Junge ein »Supersex«-Comic in die Hände fällt. Der Held darin ist der Sexgott schlechthin. Dass ausgerechnet der liebende Blick von Roccos alleinerziehender Mutter zu seinem sexuellen Erwachen inklusive Orgasmus führt, ist mehr als abstoßend. Später zieht das Muttersöhnchen für ein besseres Leben aus und verdient sich sein Geld mit viel Sex vor der Kamera.

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Rocco Siffredi, dessen Name an Alain Delons Gangsterrolle des Roch Siffredi in »Borsalino« (1970) angelehnt ist, hatte eine hohe Affinität zu Sex. Seine Hypersexualität (Sexsucht) brachte ihm den Namen »der italienische Hengst« ein. In einem Pariser Swingerclub lernte er den Produzenten und Hauptdarsteller des »Supersex«-Heftchens Gabriel Pontello kennen. Siffredi drehte mit 21 Jahren seinen ersten Porno, er schlief mit über 5000 Menschen, insgesamt kommt Siffredi auf über 1500 Filme. Sein Spezialgebiet: Analsex, Bondage und Sadismus.

In Interviews spricht der Ex-Pornostar darüber, wie wichtig einvernehmlicher Sex sei. Mittlerweile produziert er selbst Pornos, plädiert für lebensechte Pornos, leitet eine eigene Porno-Akademie, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Bei den internationalen Filmfestspielen in Venedig feierte mit »Rocco« eine Doku über Siffredi 2016 Premiere. Dem Regieduo Thierry Demaizière und Alban Teurlai gesteht er darin: »Meine Sexualität ist mein Dämon.« In der Serie wird er in den ersten drei Folgen ausschließlich dafür gefeiert. Hauptdarsteller Alessandro Borghi selbst spricht von 40 bis 50 gedrehten Sexszenen.

Mit künstlich überhöhten, heroischen Phrasen macht Drehbuchautorin Francesca Manieri »Supersex« zum Motiv, Rocco und Tommaso sprechen von »Dynamit zwischen den Beinen«, »der Energie, die die ganze Welt antreibt« und einem »Königreich völliger Freiheit«. Der Blick ist konstant männlich. Sieht Rocco eine nackte Frau, dann filmt die Kamera sie von unten, beim Sex gleitet sie über ihren bebenden Körper. Das gute Stück von Männern wird nie gezeigt.

Für Tiefenpsychologie nimmt sich das Regietrio Matteo Rovere, Francesco Carrozzini und Francesca Mazzoleni keine Zeit. Über die schwierige Beziehung zu Roccos Mutter erfährt man wenig, sein viel älterer Halbbruder Tommaso (Adriano Giannini) dient als Supersex-Vorbild und Mentor, Tommasos Freundin Lucia (Jasmine Trinca) ist eine fiktive Schöpfung, die aus Frauen, welche Siffredis Leben prägten, zusammengesetzt wurde. Sie ist die einzige Frau, mit der sich Rocco über seine Berufung unterhält und für die er so etwas wie Empathie und Liebe zu empfinden scheint. Durch eine toxische Beziehung ist Lucia ein Opfer ihrer Verhältnisse, doch letztlich vergisst man sie wieder, wenn Rocco erneut loslegt.

»Supersex« kratzt nur an der Oberfläche einer kontroversen Figur, welche die Sexfilmszene maßgeblich geprägt hat. Am Ende bleiben nur pornografische Szenen im Kopf.

Die Kritik entstand auf Basis der ersten drei Teile der siebenteiligen Serie, welche auf der Berlinale in der Sektion »Berlinale Special« uraufgeführt wurden, alle Folgen sind auf Netflix verfügbar, Altersfreigabe ab 16.

Verfügbar auf Netflix

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