Milde Strafen gegen Neonazis aufgehoben

Bundesgerichtshof kassiert Urteile in Prozess um brutale Attacke auf Journalisten in Thüringen

  • Joachim F. Tornau, Karlsruhe
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Prozess um einen brutalen Überfall von Neonazis auf zwei Journalisten im thüringischen Fretterode muss neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob das Urteil des Landgerichts Mühlhausen am Mittwoch auf. Jetzt muss eine andere Strafkammer des Gerichts den Fall noch einmal von vorn verhandeln.

Selten hatte ein Urteil derart umfassend für Empörung gesorgt. Von einem »Schlag ins Gesicht« aller engagierten Reporter*innen und einem »fatalen Signal an die rechtsextreme Szene« sprach die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion in der Gewerkschaft Verdi. Von einem »Freifahrtschein« für Neonazis die Grünen-Fraktion im Thüringer Landtag.

Im April 2018 hatten zwei Männer aus dem nächsten Umfeld des Neonazikaders Thorsten Heise – der eine sein Sohn, der andere sein politischer Ziehsohn – die beiden Reporter erst im Auto über die Straßen rund um das Dorf Fretterode gejagt und sie schließlich mit einem Messer und einem gewaltigen Schraubenschlüssel schwer verletzt. Heise ist Bundesvize der NPD, die sich heute »Die Heimat« nennt, und seit Jahrzehnten eine der einflussreichsten Figuren des militanten Neonazismus in Deutschland und Europa. Die Journalisten hatten an jenem Tag ein vermutetes Treffen von Neonazis auf seinem Anwesen in Fretterode dokumentieren wollen.

Das Landgericht ließ Heise-Sohn Nordulf indes mit 200 Arbeitsstunden und den anderen Täter, Gianluca B., mit einer zwölfmonatigen Bewährungsstrafe davonkommen. Nach einjähriger Verhandlung erkannte das Gericht im September 2022 weder einen gezielten Angriff auf die Presse noch eine politisch motivierte Tat. Es sei den Angeklagten vorrangig darum gegangen, das Fotografiertwerden zu verhindern, befand die Strafkammer.

Vor dem BGH stützten Staatsanwaltschaft und Nebenklage ihre Revisionsanträge vor allem darauf, dass die Neonazis vom schwerwiegendsten Vorwurf freigesprochen worden waren: dem Raub der Fotoausrüstung. Das Landgericht hatte das mit widersprüchlichen Angaben der Journalisten begründet: Während der eine von einem Griff durchs Fahrerfenster ihres Autos berichtet hatte, glaubte der andere, den Raub auf der Beifahrerseite beobachtet zu haben. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft sagte dazu am Mittwoch, die Beweiswürdigung sei »lückenhaft« und werde den rechtlichen Anforderungen »nicht ansatzweise gerecht«.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Nebenklageanwalt Rasmus Kahlen vermisste zudem eine Berücksichtigung des von der Strafkammer angenommenen Tatmotivs: Wenn es den Neonazis um ihr Recht am eigenen Bild gegangen sei, warum hätten sie dann ausgerechnet die Fotoausrüstung links liegen lassen sollen? Dem schloss sich der 2. Strafsenat des BGH nun an. Die Aussagen von Beteiligten und Zeug*innen würden im Urteil nicht nachvollziehbar wiedergegeben, es fehle an einer Gesamtwürdigung aller Indizien, erklärte Senatsvorsitzende Eva Menges. Und: »Gänzlich unerörtert bleibt die Frage nach dem Verbleib der Kamera.«

Den Revisionsantrag des Angeklagten Nordulf H. wies der Senat dagegen als unbegründet zurück. Obwohl einer der Journalisten einen Messerstich im Bein davongetragen hatte, hatte sein Verteidiger Wolfram Nahrath einen Messerangriff als nicht für erwiesen dargestellt. Außerdem forderte er, seinen Mandanten von den Kosten des aufwendigen Gerichtsverfahrens zu befreien. »Er ist durch einen höheren fünf-, wenn nicht sechsstelligen Betrag belastet«, klagte der Szene-Anwalt. Das habe »den Charakter einer unbotmäßigen Geldstrafe«. Richterin Menges erklärte kühl, für die Kosten sei das Landgericht zuständig.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal