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»Kapitalismus entwaffnen«: Lernen von Soulèvements de la Terre
Alex Wernke hat eine Tour französischer Aktivist*innen durch Deutschland organisiert. Deutsche Bewegungen könnten sich einiges von ihnen abschauen
Die französische Bewegung Les Soulèvements de la Terre (deutsch: Die Aufstände der Erde) wurde im vergangenen Jahr bekannt, als sie im westfranzösischen Sainte-Soline gegen agrarindustrielle Wasserspeicherbecken demonstrierte und von der Polizei gewaltsam bekämpft wurde. Wie ist die Bewegung entstanden und wofür genau kämpft sie?
Les Soulèvements de la Terre gingen aus dem jahrzehntelangen Widerstand gegen ein Flughafenprojekt in Notre-Dame-des-Landes in Westfrankreich hervor. Dort haben Menschen aus verschiedenen sozialen Bewegungen, autonomen Gruppen sowie Bäuer*innen gegen die Zerstörung des Landes gekämpft und halten bis heute eine riesige Fläche besetzt. Dabei haben sie auch eine Beziehung zum Land und zu landwirtschaftlicher Praxis aufgebaut. 2021 gründeten rund 300 Menschen aus diesem Umfeld Les Soulèvements de la Terre, um sich an verschiedenen Orten gegen Landraub und Versiegelung einzusetzen. Es handelt sich dabei um eine lose Struktur unterschiedlicher politischer Gruppen, landwirtschaftlicher Verbände oder Gewerkschaften, die sich oft an einzelnen Aktionen beteiligen, dann aber auch wieder rausgehen können. Les Soulèvements de la Terre überlegen nicht von sich aus, wo sie sich einmischen wollen, sondern diverse lokale Kämpfe bitten sie um Unterstützung, zum Beispiel gegen ein Autobahnprojekt, wenn sie mit den bisherigen Protestmitteln wie Demos oder Petitionen an ihre Grenzen gekommen sind. Die Aktionsformen der Aufstände der Erde sind Blockaden, Besetzungen und Entwaffnung.
Entwaffnung meint so etwas wie Sabotage?
Alex Wernke (35) ist Umweltpsychologe, politischer Bildungsreferent und seit 15 Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Er lebt in Köln, ist im dortigen Klimakollektiv organisiert und hat im Rheinland das Bündnis Alle Dörfer bleiben mitgegründet, das von Tagebauen bedrohte Dörfer rettete. Seit einem Jahr beschäftigt er sich intensiv mit Kämpfen um Wasserressourcen. In einem Bündnis verschiedener linker und Klimagruppen lud er Les Soulèvements de la Terre zu einer Tour durch die Niederlande, Deutschland und Tschechien ein.
Nein, der Begriff soll deutlich machen, dass es nicht um Zerstörung geht. Sondern, dass Konzerne unsere Lebensgrundlagen zerstören und man dagegen vorgeht. Die bis zu zehn Hektar großen Mega-Bassins in Südfrankreich trocknen zum Beispiel die ganze Region aus, privatisieren Wasser und nehmen es kleinbäuerlichen Betrieben weg. Die Plastikplanen, mit denen die Speicherbecken ausgelegt sind, sind also »Waffen des Kapitalismus«, die in einer Aktion mit hunderten Cuttermessern zerschnitten worden sind. Es geht aber nicht darum, möglichst militant zu wirken. Es gab auch schon Aktionen, die eher auf eine »Bewaffnung der Natur« abzielten, indem massenhaft Bäume gepflanzt wurden auf einem Gelände, das versiegelt werden sollte. Ein anderes Mal haben Aktivist*innen den Wein eines Millionärs geerntet, gepresst und verteilt – also umverteilt.
Viele deutsche Bewegungen konzentrieren sich vor allem auf die Großstädte. Das ist bei Les Soulèvements de la Terre ganz anders.
Auf jeden Fall. Viele linke Bewegungen sind in Frankreich stärker im ländlichen Raum verankert oder sogar selbst landwirtschaftlich aktiv, was ihnen deutlich mehr Vertrauen bei Menschen in den Regionen verschafft. Da können wir in Deutschland einiges von lernen. Wir haben es oft erlebt, dass eine urban geprägte Klimagruppe Aktionen auf dem Land macht – wie Ende Gelände in der Lausitz oder im Rheinland – und von den Menschen vor Ort als etwas wahrgenommen wird, das von außen kommt. Das hat mitunter zu Problemen geführt. Natürlich ist das auch ein Narrativ, das manche Politiker*innen bedienen. Inzwischen haben wir viel daraus gelernt, zum Beispiel mit Alle Dörfer bleiben, wo wir über Jahre hinweg mit den Menschen vor Ort gemeinsam Widerstand aufbaut haben.
Was können deutsche Aktivist*innen noch von Les Soulèvements de la Terre lernen?
Wir machen diese Tour genau deswegen, um Menschen in Deutschland zu inspirieren und darauf aufmerksam zu machen, dass auch wir in den kommenden Jahren Konflikte um Wasser und Land haben werden. Wir sollten uns nicht davor scheuen, in den ländlichen Raum hinein Beziehungen aufzubauen – um im besten Fall auch rechten Akteuren das Wasser abzugraben. Ich glaube, dass wir über Wasser und Land auch Menschen erreichen können, die wir nicht mit abstrakten antikapitalistischen Theorien erreichen. Außerdem könnten wir von den Französ*innen lernen, viele unterschiedliche Akteure von linken Parteien über bäuerliche Gewerkschaften bis hin zu autonomen Gruppen in einer Struktur zusammenzubringen. Die Aktionen von Soulèvements sind zwar radikal, aber haben durch ihre Verbundenheit mit der Region eine große Legitimität und sind – wie im Fall des Weinernte – auch super kreativ und sehr smart.
Im vergangenen Jahr sollten Les Soulèvements de la Terre, ähnlich wie die Letzte Generation in Deutschland, als kriminelle Vereinigung eingestuft und verboten werden. Wie ging das Verfahren aus?
Nach den erfolgreichen Aktionen der Soulèvements gegen die Agrarindustrie setzte der einflussreiche rechtskonservative Bauernverband die Regierung unter Druck, die Bewegung zu verbieten. Das Innenministerium wollte dann ein Gesetz auf sie anwenden, das sich gegen Gruppen richtet, die Gewalt gegen Menschen und Eigentum verüben. Nach dem Verbot Mitte Juni gab es zahlreiche Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Anklagen. Doch dann hat sich der Verfassungsrat – das französische Pendant zum deutschen Bundesverfassungsgericht – gegen die Auflösung der Bewegung gewendet. Das war ein sehr wichtiger Erfolg! Gescheitert ist das Verfahren auch an der losen Struktur der Bewegung und an massenhafter Solidarität: Rund 200 000 Menschen im ganzen Land haben sich zu den Soulèvements bekannt und etwa 200 Ortsgruppen gegründet. Es scheint unmöglich, die alle zu verbieten. Es wird allerdings erwartet, dass die Regierung nach dieser Niederlage noch einmal einen neuen Anlauf nimmt und eine Gesetzesänderung auf den Weg bringt.
Nun touren zehn Aktivist*innen der Soulèvements de la Terre durch verschiedene Orte in Deutschland. Wie kamen Sie auf die Idee, die Bewegung einzuladen?
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In Deutschland sind viele Bewegungen gerade in einer Orientierungsphase oder auch in der Defensive. Deshalb dachten wir, wir müssen schauen, wie wir uns vielleicht anders organisieren, andere Akteure kennenlernen und uns vernetzen. Auch wir müssen die Frage »Wem gehört das Wasser? Menschen oder Konzernen?« lautstark stellen, um eine neue Dynamik, einen neuen Bewegungsmoment zu erleben. Es sollte natürlich keine reine Großstadttour durch die linke Szene werden. Den Soulèvements war es wichtig, lokale Kämpfe kennenzulernen, den Tagebau zu sehen, mit Betroffenen in Kontakt zu kommen.
Was waren die Highlights der Tour?
Für die Französ*innen, aber auch für mich persönlich am beeindruckendsten war der Besuch der geretteten Dörfer am Tagebau Garzweiler. Diese riesigen Krater sind ja noch mal viel größer als die Wasserbecken in Frankreich. Da gab es einen tollen Austausch mit Alle Dörfer bleiben. Aber auch der Besuch der Tesla-Besetzung in Grünheide war spannend. Man hatte das Gefühl, dass wir wirklich Teil einer größeren, gemeinsamen Bewegung gegen die grün-kapitalistischen Megainfrastrukturprojekte sind.
Ihre letzte Station ist die Let’s-Socialize-Konferenz am Werbellinsee. Was machen Sie dort?
Les Soulèvements de la Terre werden am Samstag einen Workshop im Bereich Landwirtschaft halten. Wir überlegen, was wir aus ihren Kämpfen für den deutschen Kontext ableiten können und wollen darauf aufbauend neue Kampagnen und Projekte erarbeiten.
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