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Kolonialismus: War da was in Afrika?

Initiativen in Duisburg setzen sich dafür ein, die deutsche Kolonialzeit kritisch zu hinterfragen

  • David Bieber, Duisburg
  • Lesedauer: 7 Min.
Bezirksbürgermeisterin Beate Lieske (Dritte von links) und die Initiative »Afrika Siedlung« präsentieren am 6. Dezember 2022 die Hinweise für die Straßenschilder in der Afrika-Siedlung.
Bezirksbürgermeisterin Beate Lieske (Dritte von links) und die Initiative »Afrika Siedlung« präsentieren am 6. Dezember 2022 die Hinweise für die Straßenschilder in der Afrika-Siedlung.

Denkt man an die deutsche Kolonialzeit zurück, fallen einem Namen wie Carl Peters oder Franz Adolf Eduard Lüderitz sowie Hansestädte wie Bremen oder Hamburg ein. Aber längst nicht nur dort, in den Überseehäfen des Deutschen Reiches, lassen sich Spuren der unrühmlichen Kolonialgeschichte finden. Auch in Duisburg gibt es sichtbare Hinweise.

So beispielsweise in Buchholz, einem Stadtteil im Duisburger Süden, unweit der Grenze zur Landeshauptstadt Düsseldorf. Hier liegt die sogenannte Afrika-Siedlung, in der Straßen nach Orten in ehemaligen Kolonien benannt wurden. Sie heißen Swakopmunder, Togo- oder Lomestraße. Eine Durchgangsstraße ist nach dem umstrittenen Bremer Kaufmann Lüderitz getauft. Selbst eine Grundschule in der Siedlung hieß lange Zeit nach dem Kolonialhändler.

Die Namensgebungen in der Afrika-Siedlung gehen auf die Nationalsozialisten zurück. Sie tauften 1936 zunächst fünf der später 14 Straßen im revisionistischen Sinne. Heute führt der Duisburg-Marathon, einer der größten in Nordrhein-Westfalen und ein sportliches Highlight für die Stadt, durch diese historisch belastete Siedlung mit den vielen Einfamilienhäusern und engen Straßen.

Die Meinungen über solche symbolhaften Straßennamen gehen allerdings auseinander. Der Rat der Stadt Duisburg, und hier vor allem die CDU-Fraktion, lehnte es vor sechs Jahren ab, die Siedlung umzubenennen oder wenigstens Straßenschilder mit Hinweistafeln zu versehen, um die Straßennamen historisch kritisch einzuordnen. Eine Mehrheit in dem Parlament störte sich nicht daran.

Anders dagegen die Bezirksvertretung Süd. Die sozialdemokratische Bürgermeisterin Beate Lieske sah durchaus Handlungsbedarf und stieß 2019 eine öffentliche Diskussion an. Lieske wollte keine Umbenennung des Afrikaviertels, aber sie setzte sich dafür ein, die Straßenschilder mit Hinweistafeln zu ergänzen. Auch die Initiative »Afrika Siedlung« brachte sich in die Diskussion darum ein. Es folgten Veranstaltungen mit Anwohnern und Interessierten, die lokalen Zeitungen berichteten darüber. Die Afrika-Siedlung war nun in der Stadt ein Begriff. Seitdem gibt es eine Debatte um eine kritische Auseinandersetzung und Aufarbeitung der bislang wenig beleuchteten Duisburger Kolonialgeschichte.

Vor zwei Jahren dann hat das Bezirksparlament den Hinweisschildern zugestimmt. Dadurch wird Duisburg nicht besser, das weiß natürlich auch die pensionierte Gesamtschullehrerin Edith Zischke-Siewert von der Initiative »Afrika Siedlung«. »Aber so wird an die Akteure und Verbrechen kritisch erinnert. Das ist wichtig, gerade heutzutage.« Die Initiative hat die Texte für die Hinweisschilder verfasst, die von der Stadt Duisburg übernommen wurden. »Wäre die Afrika-Siedlung komplett umbenannt worden, dann wäre womöglich die Erinnerung an die schlimme Zeit samt ihrer Akteure bzw. Profiteure erloschen«, meint Zischke-Siewert. »So wird die Erinnerung daran dauerhaft wachgehalten.«

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Natürlich gibt es noch immer Stimmen wie die eines Passanten in der Siedlung, der ziemlich brüsk sagt, dass es in Duisburg dringendere Probleme gäbe, »als uns mit der Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen«. Oder eine ältere Frau erklärt, sie habe sich gegen eine Umbenennung ausgesprochen, weil die teuer sei und für »Verwirrung« sorge. »Ich wohne seit vier Jahrzehnten in meiner Straße und möchte nicht, dass sie einfach umbenannt wird«, erklärt sie. »Das wäre ein großer Verwaltungsakt für Stadt und Anwohner. Zum Glück ist es dazu auch nicht gekommen.« Hinweisschilder findet sie aber durchaus sinnvoll.

Edith Zischke-Siewert sucht das Gespräch mit Menschen aus der Siedlung und der ganzen Stadt. Ihr Eindruck ist, dass sich die Meinung langsam ändert: »Es gibt ein Bedürfnis nicht weniger Duisburger, über die Kolonialzeit zu sprechen. Und dafür zu sorgen, dass darüber kritisch aufgeklärt wird.«

Allerdings erfährt die Initiative auch Rückschläge. Verwundert war Zischke-Siewert beispielsweise über die Umbenennung der städtischen Gemeinschaftsgrundschule in der Afrika-Siedlung. Das sei still und heimlich passiert, erklärt die frühere Lehrerin. 2021, also noch bevor die Hinweise an die Straßenschilder angebracht wurden, ist die Einrichtung in »Gemeinschaftsgrundschule Lauenburger Allee Teilstandort am Waterbergpfad« umbenannt worden. »Eine Verschlechterung«, sagt Zischke-Siewert. Denn nun heißt die Kinderbildungsstätte nach dem Ort, an dem es zur »grausamen Niederschlagung des Volksaufstandes der Nama und Herero durch deutsche Kolonialisten« kam.

Nach Aufständen der beiden Volksgruppen in der Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika richteten die kaiserlichen Besatzungstruppen am 11. August 1904 am Waterberg ein Massaker an. Die Überlebenden flüchteten in die nahe gelegene Omaheke-Wüste. Allein an diesem Tag starben wohl mehr als 30 000 Menschen. Es war ein schreckliches und gut dokumentiertes Kriegsverbrechen in der deutschen Geschichte. »Wir verstehen das nicht, wie die Postanschrift der Schule kurzerhand geändert werden konnte«, sagt Zischke-Siewert. Denn der Name sei »eindeutig historisch belastet«.

Wie der Umgang mit der Geschichte auch sensibler geht, zeigt die Theodor-König-Schule im Stadtteil Beeck im Norden von Duisburg. Dort gibt es eine Partnerschaft mit einer weiterführenden Schule in Namibia, die durch gegenseitige Besuche und einem intensiven Austausch gepflegt wird. Natürlich ist die von 1884 bis 1915 andauernde deutsche Besatzung im Unterricht ein besonderes Thema. Dadurch wird das historische Bewusstsein wach gehalten.

Dazu beitragen will auch das Duisburger Zentrum für Erinnerungskultur, das zurzeit eine Ausstellung mit dem Titel »Übersehen. Eine (post-)koloniale Spurensuche in Duisburg« vorbereitet. Es will Geschichte aus einem postkolonialen Blickwinkel betrachten und somit neu bewerten. »Manche Spuren sind noch klar benannt und erkennbar, erklärt die Historikerin Christa-Maria Frins, die an der Ausstellung mitwirkt. «Andere werden erst durch Archivrecherchen sichtbar.» Anders als bei den großen Duisburger Tabakunternehmerfamilien Böninger und Carstanjen, die bereits im 18. Jahrhundert Kolonialwaren aus Java und Nordamerika nach Duisburg brachten, gibt es außer der Afrika-Siedlung nur wenige Orte, Bauten oder Plätze, die an die deutsche Kolonialzeit erinnern. Man muss danach suchen.

Ein bekannter Kolonialist ist etwa der Ruhrorter Richard Hindorf. «Das war ein weißer Agrarwissenschaftler, der in Deutsch-Ostafrika eine große Plantage betrieb», erklärt Frins. Er war Mitbegründer der deutschen Kolonialschule im hessischen Witzenhausen. Dort bereitete man ausreisewillige Deutsche für ihren Aufenthalt in den deutschen Besitzungen in Afrika und Südostasien vor. «Die späteren deutschen Siedler erhielten dort Kenntnisse über den lokalen Ackerbau, klimatische Bedingungen sowie die örtliche Flora und Fauna», erklärt Frins. «Auch kulturelle Eigenheiten wurden erklärt, und die Aussiedler wurden mit der lokalen Sprache vertraut gemacht.» Hindorf habe den deutschen Kolonialismus mit all seinen Missständen unterstützt, davon ist Frins überzeugt. «Es lässt sich zwar aktuell kein Beleg und keine Quelle finden, dass er auf seiner Plantage in Deutsch-Ostafrika Menschen missbrauchte und ausbeutete, dennoch können wir davon ausgehen, dass es dort keine Streicheleinheiten gab.» Nach Hindorf ist im Hafenstadtteil Ruhrort ein Platz benannt. Allerdings fehlen hier Hinweistafeln, die es in der Afrika-Siedlung bereits gibt.

In Duissern, einem Stadtteil in Duisburg Mitte, ist nur wenig über Johannes Hasenkamp bekannt – jenem evangelischen Missionar, der nach Namibia auswanderte, um dort das Evangelium zu verkünden. Der Oberkonsistorialrat wurde als Pfarrer der Rheinischen Mission in der namibischen Hafenstadt Swakopmund eingesetzt. Ihm hatten sich weiße Duisburgerinnen angeschlossen, um deutschen Siedlern in Deutsch-Südwest-Afrika, dem heutigen Namibia, eine gute und gebärfähige Frau zu sein. «Junge, alleinstehende Frauen meldeten sich freiwillig bei der evangelischen Mission, um einen Missionar zu ehelichen», erklärt Frins. «Um 1900 war das eine übliche, unromantische und pragmatische Art, um nach einem Ehemann zu suchen. Diese Frauen hatten offenbar auch eine gewisse Abenteuerlust, wenn sie sich für den christlichen Dienst fernab der Heimat bewarben.» Nach dem Missionar Hasenkamp ist in Duissern eine Straße benannt.

Die Südafrikaner übernahmen im Ersten Weltkrieg die Macht in der deutschen Kolonie, und verwiesen Hasenkamp 1920 als «feindlichen Ausländer» des Landes. Nach seiner Rückkehr trat er eine Pfarrstelle in Duisburg-Neudorf an. Hier setzte er sich für die Rückgewinnung der deutschen Kolonialgebiete ein. Am Beispiel des Pfarrers erklärt Frins die «rassistischen Denkmuster», die damals sehr verbreitet gewesen seien. «In der Ausstellung hinterfragen wir diese, beleuchten Kontinuitäten und versuchen diesen dunklen Teil der deutschen Geschichte in Duisburg sichtbarer zu machen.» Dieser sei schließlich lange Zeit übersehen worden.

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