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»Die Verbotenen sind mir die liebsten«
Werner Abel über seine Sammlung linker bibliophiler Bücher, die Sozialistica
Dr. Werner Abel, Jahrgang 1943, studierte nach dem Besuch der Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) Philosophie an der Universität Leipzig, war danach Assistent an der Sektion Philosophie der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt. 1980 mit Berufsverbot wegen »trotzkistischer Ansichten« belegt, schlug er sich mit Übersetzungsarbeiten durch. Als Philosoph konnte er erst wieder ab 1990 am Lehrstuhl Geschichte der politischen Ideen und Theorien an der TU Chemnitz tätig sein (bis 2008). Von Abel auf dem Buchmarkt erschienen sind unter anderem »Das 20. Jahrhundert zwischen Resignation und Revolution«, »Die Kommunistische Internationale und der Spanische Bürgerkrieg« sowie die zweibändige Edition »Sie werden nicht durchkommen. Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution«. Auf der Leipziger Buchmesse wird er wie jedes Jahr das Rote Antiquariat aufsuchen.
Herr Abel, Sie führen eine einmalige, sich über mehrere Epochen und territoriale Räume erstreckende, sehr spezifische Büchersammlung, Sozialistica genannt. Was ist darunter zu verstehen?
Alle Literatur, die mit der Geschichte der Arbeiterbewegung zusammenhängt, aber auch Avantgarde und literarisches Exil 1933 bis 1946.
Wann ist Ihr Interesse an diesem Thema geweckt worden, und wann begannen Sie systematisch zu sammeln?
In den 70er Jahren. 1980 wurde aber fast alles von DDR-Organen beschlagnahmt, Ich begann de facto von vorne in den 90er Jahren.
Hat Sie der Parteiausschluss 1980 beim Sammeln bibliophiler linker Literatur gelähmt oder im Gegenteil bestärkt?
Nach einer gewissen Phase der Lähmung eher bestärkt.
Verdanken Sie Ihre Sammlung zufälligen Funden oder suchen Sie systematisch, zielgerichtet?
Ich kenne die meisten linken Antiquariate, aber auch Internetquellen, vieles ist auf Trödelmärkten zu finden. Ich kenne in Berlin, Leipzig und Dresden einige Händler, bei denen immer etwas zu finden ist.
Haben Bücher zu Ihnen auch schon mal auf seltsamen Wegen gefunden?
Seltsam ist vielleicht, dass ich von einem Weinhändler, der ab und zu von Kunden Literatur zum Verramschen bekam, den sowjetischen Katalog der Pressa Köln 1928, einer Internationalen Presseausstellung, mit dem Leporello des russischen Avantgardisten El Lissitzky für fünf Euro kaufen konnte; er gehört heute zu den teuersten Stücken in meiner Sammlung. Und auf Mallorca lernte ich auf einem Trödelmarkt eine Frau kennen, die ein Buch der Editorial Cenit anbot, einem linken Verlag, der in Spanien von 1930 bis 1936 existierte. Sie telefonierte mit ihrem Sohn in Barcelona, der dort ein Antiquariat aufbaute. Er bot via Telefon das Buch »Hotelo America« von Maria Leitner an, einer deutschsprachigen sozialkritischen Schriftstellerin aus Ungarn, die auf der Flucht vor den Nazis 1942 in Marseilles starb; dieses Buch ist bei Cenit als Lizenzausgabe von Willi Münzenbergs Neuem Deutschen Verlag erschienen, mit einem Schutzumschlag von John Heartfield. Von diesem Antiquar bekam ich auch das sogenannte Blaue Heft, eine A4-Broschüre über die Bombardierung von Madrid während des Spanienkrieges, in der die ersten Fotos des legendären Magnum-Gründers Robert Capa enthalten sind. Der skurrilste Fund aber war wohl die Malik-Ausgabe des Kinderbuches »Ede und Unku« von Alex Wedding, die eigentlich Grete Weiskopf hieß. Die Geschichte von einem Berliner Proletarierjungen und einem jungen Sinti-Mädchen, das 1931 (!) erschien, habe ich über Booklooker bei einem Geschäft für Friseurbedarf erstanden.
Wie das?
Friseure lieferten dort Bücher ab, die Kundinnen in ihren Geschäften liegen ließen.
Haben Sie alle Bücher und Zeitschriften im Kopf? Und haben Sie diese gezählt?
Gezählt sind sie nicht, im Kopf habe ich sie fast alle.
Welcher Bereich ist quantitativ am stärksten vertreten? Haben Sie eine Lieblingsabteilung?
Meine Malik-Sammlung. Das hängt auch damit zusammen, dass es von einem Titel bis zu acht oder zehn verschiedene Ausgaben geben kann.
Welche Bücher würden Sie als einmalige Schätze bezeichnen?
In der Regel Bücher, die sofort nach dem Erscheinen verboten wurden, wie zum Beispiel »Als Rotarmist vor München« von Erich Wollenberg, der im Exil in Frankreich und Marokko die Nazizeiet mehr schlecht als recht überlebte; seine Geschichte soll übrigens die Vorlage für den berühmten Film »Casablanca« gewesen sein. Oder von der sowjetrussischen Revolutionärin und Schriftstellerin Larissa Reissner »Hamburg auf den Barrikaden«. Es mag kurios klingen: Die Verbotenen sind mir die liebsten. Einmalige Schätze sind auch Bücher mit Widmungen, wie etwa die Erstausgabe der Karl-Marx-Biografie von Franz Mehring mit einer Widmung an Berta Thalheimer, Schwester von August Thalheimer, dem Gründer der KPD-Opposition, die zu dieser Zeit, 1918, im Gefängnis saß.
Gibt es in Ihrer Sammlung noch Lücken, die Sie gerne auffüllen würden?
Ja, einige frühe Ausgaben von George Grosz und von Dada sowie Zeitungen des Malik-Verlags.
Sind in Ihrer Sammlung auch buchkünstlerisch herausragende Titel zu finden?
Natürlich, so von Grosz, John Heartfield oder Georg Salter gestaltete Bücher.
Wie gehen Sie mit sogenannten Abtrünnigen um, die sich von der kommunistischen Bewegung enttäuscht abgewandt hatten?
Das ist für eine Sammlung meiner Meinung nach unbedeutend, denn sie gehören in ihre Zeit. Außerdem können es gerade die »Renegaten« sein und waren es vielfach auch, die zu ihrer Zeit Bedeutendes geleistet haben.
Welcher Person oder welchen Personen, die in Ihrer Sammlung vertreten sind, wären Sie gerne persönlich begegnet?
Leo Trotzki und Willi Münzenberg.
Können historische Titel noch heute aktuell sein?
Die marxistischen Klassiker, aber auch Verfasser, die vor dem Stalinismus warnten und ihn, ungeachtet der Gefahr für Leib und Leben, kritisierten, beispielsweise Trotzki in »Die verratene Revolution«.
Welche Autoren in Ihrer Sammlung sollten heute unbedingt wieder veröffentlicht werden?
Da heute häufig politisch missliebige Erscheinungen als »Faschismus« bezeichnet werden, wäre eine Neuauflage und Diskussion der Faschismustheorien von Thalheimer und Trotzki, vor allem »Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?« und »Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats«, notwendig. Und um der grassierenden Russophobie zu begegnen, würde ich für eine neue, an Malik orientierte Gesamtausgabe von Maxim Gorki ebenso plädieren wie überhaupt für eine Neuauflage sowjetrussischer Literatur der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, beispielsweise die »30 Erzähler des neuen Russland« oder Isaak Babel.
Sie sind selber als Publizist rege tätig. Woran arbeiten Sie gerade?
Ich sitze am zweiten Band von »Mit Salud und Händedruck. Militärzensur der Internationalen Brigaden in Spanien«.
Haben Sie ein Lieblingszitat von einem der Autoren in Ihrer Sammlung?
Ja, Friedrich Engels: The proof of the pudding is in the eating. Was unserem Sprichwort entspricht: Probieren geht über Studieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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