Überwachung ab jetzt komplett geheim

Bundesregierung schlägt gegenüber Parlament neue Gangart an

Mit Stillen SMS können Polizeien und Geheimdienste Telefone oder Fahrzeuge orten. Die Behörden wollen sich dazu nicht mehr in die Karten schauen lassen.
Mit Stillen SMS können Polizeien und Geheimdienste Telefone oder Fahrzeuge orten. Die Behörden wollen sich dazu nicht mehr in die Karten schauen lassen.

Das Bundesinnenministerium hat zu Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung die komplette Geheimhaltung verordnet und schlägt damit eine neue Gangart an. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der BSW-Gruppe im Bundestag hervor, in der sich diese nach Einsätzen von Stillen SMS, IMSI-Catchern, Funkzellenabfragen und anderen digitalen Fahndungsmethoden erkundigt. Diese Anfragen hatte zuvor regelmäßig die Linksfraktion gestellt, von der sich das BSW abspaltete.

Die Auskünfte seien geheimhaltungsbedürftig, weil sie die Arbeitsweise und Methodik der Polizei- und Zollbehörden offenlegen, schreibt das von Nancy Faeser (SPD) geführte Ministerium in der Vorbemerkung. Würden sie bekannt, lasse dies Rückschlüsse auf die »Vorgehensweise, Fähigkeiten und Methoden« der Behörden zu. Im Falle der Geheimdienste sei bei einer Veröffentlichung außerdem das »Staatswohl« gefährdet, wenn »Personen im Zielspektrum der Maßnahmen« auf andere Kommunikationswege ausweichen.

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Fast alle Antworten tragen nun den Vermerk »Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch«. Sie dürfen von Abgeordnetenbüros nicht veröffentlicht werden. Bereits in den früheren Jahren hatte das Innenministerium einige Angaben als »geheim« eingestuft und in der dafür vorgesehenen Geheimschutzstelle des Bundestages hinterlegt. Das betraf etwa die Zahlen zu Stillen SMS der drei Geheimdienste des Bundes (Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst).

Mit Stillen SMS pingen die Polizeien und Geheimdienste ein Telefon unbemerkt an und erzeugen so einen Kommunikationsvorgang. Mit einer richterlichen Anordnung können bei den Netzbetreibern die Funkzellen, in denen sich die Telefone beim Empfang der Stillen SMS befunden haben, abgefragt werden. Die Behörden erfahren dadurch den Standort und – bei mehrmaliger Abfrage – ein Bewegungsprofil der Betroffenen.

Ab 2018 hatte das Innenministerium die Angaben zu Stillen SMS bereits für den Verfassungsschutz eingestuft. Bekannt gemacht wurden aber weiterhin die Maßnahmen von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundespolizei. Aus den Anfragen ging hervor, dass etwa die Bundespolizei bis 2016 weit über 100 000 Stille SMS versendete, in den Folgejahren pendelte sich dieser Wert bei rund 70 000 ein. Im Jahr 2022 hatte das BKA rund 52 000 Stille SMS versendet, ein deutlicher Rückgang gegenüber 2021.

In den Regelanfragen hatte sich die Linksfraktion auch nach IMSI-Catchern erkundigt. Damit können die Behörden eine starke Funkzelle simulieren, in die sich nahe gelegene Mobiltelefone automatisch einbuchen. So kann ermittelt werden, welche SIM-Karte eine Zielperson oder ein Fahrzeug benutzt. Auch die metergenaue Ortung ist möglich. 2022 hatten das BKA und andere Kriminalämter der Länder und des Zolls die Methode in 43 Fällen gegen 39 Betroffene eingesetzt, für 2023 unterbleibt jede öffentliche Angabe.

In der beinahe komplett eingestuften Antwort gibt das Innenministerium immerhin zu einer Frage eine knappe Auskunft: Im Jahr 2023 wurden Ausfuhrgenehmigungen für IMSI-Catcher nach Jordanien, die Ukraine und Niger erteilt, letztere allerdings wegen des Militärputsches im Sommer »nicht verwendet«. Welche Firmen davon begünstigt waren, schreibt die Bundesregierung mit Blick auf das Betriebsgeheimnis nicht.

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