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Italien: Streit um von der Leyen

Die rechte italienische Regierungskoalition ist sich uneins, ob die CDU-Politikerin auch künftig die EU-Kommission führen soll

  • Anna Maldini
  • Lesedauer: 5 Min.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (l.) bezeichnet sich als Freundin von Ursula von der Leyen, die sie auch in Zukunft als EU-Kommissionspräsidentin im konservativen Boot sehen will.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (l.) bezeichnet sich als Freundin von Ursula von der Leyen, die sie auch in Zukunft als EU-Kommissionspräsidentin im konservativen Boot sehen will.

In Italien tobt der Wahlkampf für die Europawahlen. Aber tatsächlich scheint es allen, oder zumindest den allermeisten Protagonisten nicht um Europa zu gehen, sondern vielmehr um Innenpolitik. Da wiederum bekämpfen sich nicht nur die beiden großen Lager – der rechte bis ultrarechte Block rund um die Regierung und das verfranzte Mitte-Links-Bündnis – sondern auch die einzelnen Parteien, Gruppen und Grüppchen innerhalb der großen Blöcke. Das klingt undurchsichtig und kompliziert – und ist es auch. Auf der Strecke bleibt dabei die eigentliche »Hauptperson« der Wahlen im Juni: Europa.

Die italienischen Parteien verteilen sich auf mehr oder weniger alle Fraktionen im Europaparlament. Fratelli d’Italia, die Partei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, gehört zur Gruppe der Konservativen (ECR), deren Vorsitzende Giorgia Meloni seit September 2020 ist. Die Lega von Matteo Salvini hingegen gehört der Fraktion »Identität und Demokratie« an, in der auch die AfD sitzt, während die dritte Regierungspartei Forza Italia weiterhin Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) ist. Zusammen decken sie das gesamte Spektrum der europäischen Rechten und Ultrarechten ab. Und das ist wohl auch gewollt, da sich so jeder immer und jederzeit profilieren oder hinter einem der Bündnispartner verstecken kann. Das gilt umso mehr für die Europawahlen, wo jede Partei für sich antritt und nicht als Koalition – wie sonst in Italien üblich.

Wahlprogramme sind bisher Fehlanzeige

Die Demokratische Partei (PD) sitzt bei den Demokraten und Sozialisten, während die 5-Sterne-Bewegung sich keiner Europafraktion angeschlossen hat. Und nur ein Linker hat es ins Europaparlament geschafft: ein ehemaliger PD-Abgeordneter, der kürzlich den Demokraten den Rücken gekehrt hat und jetzt dem Bündnis Grün-Links angehört.

Gibt man in die italienischen Suchmaschinen die Stichworte »Parteiprogramm« und »Europawahlen« ein, bekommt man ... nichts. Bisher hat niemand ein Programm für die Wahlen im Juni vorgelegt. Dafür gibt es aber jede Menge Wahlprognosen – wohl ein weiteres Zeichen dafür, dass die spezifischen Inhalte nicht relevant sind. Die meisten Stimmen sollte laut allen Umfragen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni bekommen. Ihr schreibt man um die 27 Prozent zu; an zweiter Stelle die Demokraten mit knapp 20 Prozent. Die 5 Sterne liegen bei etwa 17 Prozent. Der große Verlierer ist bei allen Befragungen Matteo Salvini mit seiner Lega: Bei den letzten Europawahlen bekam er 34 Prozent der Stimmen; dieses Mal dürften es etwa 8 Prozent werden. Etwa gleich viel sollte Forza Italia erhalten, die nach dem Tod des Gründers Silvio Berlusconi im vergangenen Juni wieder an Zustimmung gewonnen hat.

Europawahl 2024

Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl

Von der Leyens Zukunft bisher das einzige Thema

Es gibt nur ein Thema, zu dem sich fast alle Parteien geäußert haben: Soll Ursula von der Leyen erneut den Vorsitz der EU-Kommission bekommen? Die Lega ist absolut dagegen, wie Salvini kürzlich noch einmal auf einer Versammlung der »identitären« Parteien in Rom laut herausgeschrien hat: In Europa solle die Rechte regieren, Marine Le Pen sei ihm tausendmal lieber als Ursula von der Leyen, die ja schließlich auch mit den Stimmen der Sozialisten gewählt worden sei. Giorgia Meloni gibt sich als große Freundin der derzeitigen EU-Kommissionspräsidentin, ebenso wie Forza Italia mit dem eher farblosen Außenminister und ehemaligen Präsidenten des Europaparlament, Antonio Tajani, an der Spitze.

Interessant könnte sein, was sich im linken Lager tut. Antreten wird hier sicherlich das grün-linke Bündnis, das in den Prognosen heute bei knapp über vier Prozent liegt. Tatsächlich ist diese Gruppe eng mit den Demokraten verbunden, in deren Listen die Abgeordneten der Grünen und Linken auch gewählt werden.

Dieses Jahr gibt es noch eine neue Gruppierung: Frieden, Erde und Würde. Sie wurde erst vor wenigen Wochen von dem ehemaligen TV-Journalisten Michele Santoro gegründet, der einst von Berlusconi aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen RAI verbannt worden war. Es ist der erneute Versuch, die versprengte italienische Linke zu einen. Mitstreiter von Santoro ist auch Raniero La Valle, einer der bekanntesten Vertreter der italienischen Friedensbewegung. »Dies ist keine Partei, sondern eine Bewegung, ein Vektor, um das Wort ›Frieden‹ in die Kampagne für die Europawahlen einzubringen«, erklärte Michele Santoro jüngst. Er will, dass Europa eine zentrale Rolle einnimmt bei den längst überfälligen Verhandlungen für einen gerechten Frieden in der Ukraine, aber auch im Nahen Osten. Mit seiner Friedensliste, in der auch Rifondazione Comunista vertreten ist, hofft er auf zumindest drei Prozent.

Italien sieht sich als Verteidiger Europas

Meloni gibt im Inland immer gerne zu verstehen, dass es eigentlich sie ist, die die europäische Außenpolitik vor allem in Sachen Migration macht. Sie begleitete Ursula von der Leyen auf vielen ihrer Reisen (kürzlich nach Tunesien und Ägypten) und dabei fällt völlig unter den Tisch, dass Fratelli d’Italia noch bis vor Kurzen den »Italexit« forderte, also den Austritt Italiens aus der EU und die Abschaffung des Euro. Auch die Lega ist alles andere als europafreundlich; nur Außenminister Antonio Tajani, der sich gerne als seriös gibt, verteidigt Europa so, wie es heute ist.

Meloni, so munkelt man, würde gerne den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten und Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi in der Position sehen, die heute von der Leyen einnimmt. Seit Meloni die Regierung leitet, versucht sie verzweifelt, ihre postfaschistische Vergangenheit vergessen zu machen. Dazu gehört, dass ihre Partei die einzige war, die die Regierung der nationalen Einheit von Draghi in Italien nicht unterstützt hat. Im rechten Lager kann offenbar jeder jederzeit seine Meinung zu jedem Thema grundlegend ändern. Und daran leidet in erster Linie die Wahlbeteiligung, die in Italien rapide abnimmt.

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