Schöner wohnen Ost

Von der Ostsee bis zum Erzgebirge macht sich Leerstand breit

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist nicht alles eckig im Osten, wie der Leipziger Stadtteil Lößnig zeigt.
Es ist nicht alles eckig im Osten, wie der Leipziger Stadtteil Lößnig zeigt.

»Es ist schwer, nicht in Depression zu verfallen«, fasst Alexander Müller, Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft in Sachsen (VDW), seine Stimmungslage zusammen. Erstmalig wandten sich am Dienstag die ostdeutschen sozial orientierten Wohnungsverbände gemeinsam an die Presse, um auf ihre besondere Situation hinzuweisen. Über weite Strecken wirkte die Pressekonferenz in Leipzig wie ein Hilfeschrei. Die Situation in diesen fünf Bundesländern sei nicht mit der in anderen Bundesländern oder angespannten Wohnungsmärkten wie in München oder Hamburg gleichzusetzen. Im Gegensatz zum Westen seien Wohnungen nicht knapp, sondern der hohe Leerstand belaste genossenschaftliche, kommunale und andere soziale Wohnungsunternehmen.

»Das Mantra des angespannten Wohnungsmarktes« bestimme landauf, landab die Diskussionen, klagte Mirjam Philipp. Sie könne diese Erzählung aber nicht mehr hören. Philipp führt den Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften (VSWG). Die Folge des irreführenden Mantras sei, dass sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft allein auf den Neubau von Wohnungen konzentrierten. Die ostdeutschen Wohnungsunternehmen stehen jedoch nach 1990 vor der zweiten Sanierungswelle ihrer Bestände und beklagen vor allem den erheblichen Leerstand. Stehen im Westen durchschnittlich 2 Prozent der Wohnungen leer, sind es im Osten über 8 Prozent.

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Doch im Osten ist längst nicht alles grau in grau. Dies zeigt sich am Beispiel Sachsen-Anhalt. Seit 1990 nahm die Zahl der Bevölkerung von 2,9 auf 2,2 Millionen Menschen ab. Trotz »Rückbau« von Beständen ist die Leerstandsquote mit 10 Prozent hoch. Während sich in den beiden Großstädten Halle und Magdeburg die Leerstandsquoten »stabilisieren«, zeichne sich im ländlichen Raum ein anderes Bild mit teils extrem hohen Leerständen ab, sagte Matthias Kuplich vom Verband der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt (VDWG).

Dabei ist die Situation außerhalb der Großstädte durchaus unterschiedlich. Als Beispiel nennt Kuplich den Landkreis Wittenberg an der Elbe: In der zentralen Lutherstadt stehen kaum Wohnungen leer, im Landkreis insgesamt nur 4,3 Prozent, aber einige Mitgliedsunternehmen im ländlichen Raum klagen über eine Leerstandsquote von über 24 Prozent. Das sei existenzgefährdend. Ja, es fehle an Nachfrage. Dabei seien gute und preiswerte Wohnungen gerade für junge Familien anziehend, wenn die Lebenswelt von der Kita bis zum Bahnanschluss stimme, so Kuplich. Damit seien die Wohnungsgesellschaften jedoch heillos überfordert, Landes- und Bundespolitik eigentlich in der Pflicht.

Die Spitzenverbände der sozial orientierten Wohnungs- und Immobilienwirtschaft aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verwalten nach eigenen Angaben 44 Prozent aller Wohnungen. Im Westen seien es nur 20 Prozent. Es seien gute Bestände, versichert Mirjam Philipp. 1,75 Millionen Wohnungen, zwei Drittel davon »Platte«, die oft als solche nicht erkennbar, energetisch »top« und dabei besser als im Westen seien und häufig ein überaus attraktives Wohnumfeld böten. Dafür müsse man weiterhin etwas tun. So zielen anstehende Sanierungen auf die Vorgaben des Bundes, bis 2045 klimaneutral zu werden. Die Verbände teilen das Ziel, nicht unbedingt die Zeitvorgabe. Denn den zusätzlichen Investitionsaufwand von rund 900 Millionen Euro im Jahr könne die Branche nicht stemmen.

»Alles Kosten, die nur durch die Mieten refinanziert werden können«, sagt Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgische Wohnungsunternehmen (BBU). Es fehle zudem an Handwerkern und Baufirmen. Wirtschaftlich wäre es ohnehin »effizienter«, in die Dekarbonisierung der (Heiz-)Energieversorgung zu investieren statt in die weitere Dämmung der Gebäude. Ein Großteil der Wohnungen im Osten ist über ein Fernwärmenetz bestens erschlossen. Die Fernwärme müsse aber auch kohlenstoffarm betrieben werden.

Zu den Herausforderungen kämen noch steigende Betriebskosten, die kommunale Wärmeplanung, CO2-Abgabe, Altschulden und Mietpreisbremse. Der von der SPD geforderte Mietenstopp »funktioniert bei uns nicht«, bringen die Verbände die Auseinandersetzung mit der Bundesregierung auf den Punkt. So beträgt die durchschnittliche Kaltmiete im Osten gerade einmal 5,40 Euro, im Westen 6,60 Euro. Davon gingen 1,58 Euro für die Instandhaltung drauf, 0,50 koste der Leerstand, und 1,50 Euro müsse für die Tilgung von Krediten gezahlt werden. Da könne man nur verwalten, klagt Alexander Müller: »Es bleibt keine Luft, um zu gestalten. Ganze Landstriche drohen zu überaltern.« Die anderen Rahmenbedingungen im Osten müssten endlich von der Ampel-Koalition in Berlin ernst genommen werden.

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