Bell Witch: Renitenzmusik

Die Könige der Langsamkeit im Metal sind Bell Witch, wie auch das neue Album beweist

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Langsam aber dafür ist der Schalldruck nicht weniger gewaltig: Bell Witch auf dem Roadburn Festival.
Langsam aber dafür ist der Schalldruck nicht weniger gewaltig: Bell Witch auf dem Roadburn Festival.

Langsamkeit hat Renitenzpotenzial. Wer so viele Formen der Beschleunigung wie möglich aus dem eigenen Tun streicht, ist in Hinsicht auf Produktivität oder Verwertbarkeit eigentlich kaum noch zu gebrauchen. In der Drone-Musik findet diese Renitenz durch Verlangsamung eine musikalische Entsprechung. Was auch deswegen besonders gut funktioniert, weil immersive Tieftöne, die über lange Strecken nur minimal variieren, die Welt weitgehend komplett ausschließen. Schon wegen der brachialen Lautstärke. Das Autistische, das dieser Musik anhaftet, ist der Versuch, alles Gesellschaftliche und seine Anforderungen auf Pause zu Stellen.

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Die langsameren Metal-Spielarten schlagen in dieselbe Kerbe. Die US-amerikanische Doom-Metal-Band St. Vitus hatte Mitte der 80er Jahre die prototypische Genrehymne vorgelegt. Der damalige St.-Vitus-Sänger Wino Weinrich definiert Doom als Mittel, um sich in eine Welt jenseits der gesellschaftlichen Normalität zu schleichen. Mit dem lyrischen Subjekt ist nichts mehr anzufangen. Der Text von »Born Too Late« hat die Pop-Mythologie des maximal verlangsamten Metal auf den Punkt gebracht. Und natürlich will das Subjekt es auch gar nicht anders haben.

Formvollendet wird die Langsamkeit im Metal zurzeit von dem Duo Bell Witch fortgeschrieben und in formal radikale Sphären getrieben. Auf dem Ende vergangenen Jahres erschienenen Doppelalbum »Future’s Shadow Part 1: The Clandestine Gate« ist ein einziges 83-minütiges Stück zu hören, als erstes einer Trilogie, die dann am Ende voraussichtlich auf rund viereinhalb Stunden kommt. »The Clandestine Gate« variiert die musikalische Grundidee, der die Band aus Seattle seit dem ersten, 2011 veröffentlichten Demo nachgeht nur minimal, also eigentlich in dem Sinn, dass sie mehr und mehr zerdehnt wird: ein Sound, der irgendwie lavaförmig gebaut ist und es darauf anlegt, seine Umgebung mittels Schalldruck zärtlich zu zermalmen.

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Die Musik wogt und ebbt auf und wieder ab, bis dann einer auf ein Effektpedal tritt und man glücklich an der nächsten Wand klebt. Der Gesang wechselt zwischen einer nach hinten gemischten sakralen Tonalität und Death-Metal-Geröhre. Das Tempo bleibt konstant zäh. Wie auch auf »Mirror Reaper« (zwei jeweils eine Dreiviertelstunde lange Stücke) finden auf »Future’s Shadow Part 1: The Clandestine Gate« statische Monotonie und viele kleine Details wieder sehr schön zueinander.

Zwischen den beiden Alben erschien noch das Folk-Horror-lastige »Stygian Bough Volume I«. Für das Gesamtwerk von Bell Witch gilt, dass die Musik sehr dabei hilft, den Anforderungen und Zumutungen der Welt zumindest wenigstens imaginär und vorübergehend zu entkommen. Was man hier findet, ist nochmal anders gelagert als beispielsweise die harschen Soundflächen der wesentlich abstrakteren Musik der wesensverwandten Sunn O))), schon weil die Musik von Bell Witch mit Schlagzeug und Gesang näher an konventionellen Songstrukturen entlangläuft. Die Brachialität hat hier nichts Gewaltvolles, sondern ist Transportmittel, um Melodien und verschiedene Verzerrungsgrade in schleichender Geschwindigkeit zu entfalten.

Bell Witch: Future's Shadow Part 1: The Clandestine Gate (Profound Lore/Membran)

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