Exmatrikulationen in Berlin: Kritik von allen Seiten

Neues Hochschulgesetz wird bemängelt – von links und rechts

Demonstration gegen die Senatsinitiative vor dem Roten Rathaus
Demonstration gegen die Senatsinitiative vor dem Roten Rathaus

»Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hereinkommt« – an dieses Credo des SPD-Granden Peter Struck erinnerte der Abgeordnete Marcel Hopp (SPD), bevor im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses über die Novelle des Hochschulgesetzes diskutiert wurde. Gemessen an dieser Prämisse dürfte das kontroverse Vorhaben noch die eine oder andere Änderung erfahren, denn Experten und Abgeordnete sparten bei der Diskussion am Montag nicht mit Kritik.

Der schwarz-rote Senat will mit der Gesetzesänderung das sogenannte Ordnungsrecht wieder einführen, das erst 2021 vom rot-grün-roten Vorgängersenat abgeschafft worden war. Damit soll den Universitäten ein Instrument an die Hand gegeben werden, um Studierende zu sanktionieren, die gegen andere Hochschulmitglieder gewalttätig geworden sind. Das Tableau der Strafen soll dabei bis zur Exmatrikulation reichen. Die Diskussion war entbrannt, nachdem im Januar ein jüdischer FU-Student von einem Kommilitonen angegriffen worden war. Die Freie Universität belegte den Angreifer zwar mit einem Hausverbot, konnte aber keine darüber hinausgehende Sanktionen verhängen.

»Ich finde es nicht besonders glaubwürdig, dass es hier um Antidiskriminierung geht«, sagte Ali Mehrens von der Landeskonferenz der Studierendenvertretungen. Er befürchte, dass das Ordnungsrecht missbraucht werden könne, um studentischen Protest an den Unis zu unterbinden. Aus dem Gesetz spreche ein »problematisch weiter Gewaltbegriff«, unter den auch bestimmte Protestformen gefasst werden könnten. Aus Gesprächen mit Studierendenvertretern aus Bundesländern, in denen es das Ordnungsrecht bereits gibt, wisse er, dass Studierenden bei Protesten häufig Ordnungsmaßnahmen angedroht würden.

In ein ähnliches Horn bließ Martina Regulin, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: »Wenn es nicht mehr möglich ist, Vorlesungen zu stören, dann ist das ein Problem.« Auch FU-Präsident Günter M. Ziegler warnte davor, die sanktionierbaren Vorfälle zu vage zu halten. »Unser Plädoyer wäre, nur Dinge drinzulassen, die auch mit einem Gerichtsurteil verbunden sind«, so Ziegler, der zurzeit auch der Landeskonferenz der Hochschulpräsidenten vorsitzt.

»Gewalt ist juristisch klar definiert«, entgegnete Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD). »Man wird das Ordnungsrecht nicht anwenden können, nur weil man jemanden angerempelt hat.« Ziel der Gesetzesänderung sei nicht, Störungen zu sanktionieren. Studierendenvertreter Mehrens verwies allerdings auf ein Urteil eines Gerichts, das eine Straßenblockade als Nötigung gewertet hatte.

Kritik an dem Gesetzentwurf kam auch aus anderer Richtung: Der als konservativ bekannte Ex-HU-Vizepräsident Ludwig Kronthaler befürwortete das Ordnungsrecht zwar als notwendig, um den geordneten Betrieb an den Hochschulen sicherzustellen, kritisierte aber die angedachten Verfahren als zu kompliziert. Vorgesehen ist im aktuellen Entwurf, dass ein Ausschuss unter Beteiligung der verschiedenen Statusgruppen an der Hochschule über die Sanktionen entscheidet. »Man muss kein Gremium einschalten für so ein Verfahren«, sagte Kronthaler. Die Präsidien der Hochschulen könnten dies auch selbst entscheiden.

Dort möchte man aber lieber an den geplanten Ordnungsausschüssen festhalten. In vielen Präsidien gebe es keine Juristen, die die Fälle einschätzen könnten. Im Entwurf ist dagegen vorgesehen, dass im Ordnungsausschuss mindestens ein Jurist mit Richterbefähigung sitzen muss. Das übergreifende Gremium würde zur Akzeptanz der Entscheidungen beitragen. »Der Ordnungsausschuss ist sinnvoll und notwendig«, so Ziegler.

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