Abtreibungsrecht: Plädoyer für Selbstbestimmung

Experten empfehlen Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in früher Phase

Bisher vergeblich: die Forderung nach Streichung von Paragraf 218
Bisher vergeblich: die Forderung nach Streichung von Paragraf 218

Straffrei sind Schwangerschaftsabbrüche in der Bundesrepublik nur, wenn die betroffene Frau zuvor einen Beratungstermin bei einer staatlich anerkannten Stelle besucht hat. Zugleich ist der Eingriff weiterhin illegal, so paradox das klingt. Denn die Bestimmungen stehen in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs. Und der sieht weiterhin Strafen für Ärzte wie ungewollt Schwangere vor, sofern das vorgeschriebene Prozedere nicht eingehalten wird. Die Abtreibung nach Beratung ist damit rechtlich weiter ein Ausnahmefall.

Seit Jahrzehnten kämpfen Feministinnen deshalb für die Streichung des Paragrafen – und damit für eine vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Diesem Ziel dürften sie mit den Empfehlungen, die eine von der Ampel-Koalition eingesetzte Kommission vorgelegt hat, ein Stückchen näher gekommen sein. Das Gremium schlägt eine Legalisierung des Abbruchs bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vor.

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Mein Körper, meine Entscheidung

Allerdings dämpfte Justizminister Marco Buschmann (FDP) Erwartungen: Erst einmal werde man die Empfehlungen sorgfältig prüfen, betonte er am Montag in Berlin. Dass Paragraf 218 noch in dieser Legislaturperiode gestrichen wird, ist damit eher unwahrscheinlich. Und eine konservativ geführte Regierung dürfte das Ziel nicht weiterverfolgen.

Die 18-köpfige Kommission zur Reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin schreibt in ihrem Bericht: »In der Frühphase der Schwangerschaft (…) sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben.« Außerdem hält sie unter bestimmten Umständen auch Eizellspenden und Leihmutterschaft für zulässig.

Kommissionsmitglied Frauke Brosius-Gersdorf kritisierte bei der Präsentation des 600 Seiten starken Reports, dass Abtreibung nach wie vor als »Unrecht gekennzeichnet« sei. Eine Änderung der Rechtslage sei nicht nur eine Formalie. Für die betroffenen Frauen sei es ein großer Unterschied, ob ihre Entscheidung für einen Abbruch Unrecht oder Recht sei. »Außerdem hat das Auswirkungen auf die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungen.«

Die Expert*innen empfehlen auch eine Neuregelung zu Schwangerschaftsabbrüchen, die auf Sexualdelikte zurückgehen. Bei einer Vergewaltigung gebe es laut Gesetz nur eine Frist von zwölf Wochen, bis zu der ein Abbruch für Ärzt*innen nicht strafbar sei. Das sei aber »zu eng bemessen«, heißt es im Bericht. Betroffene seien häufig traumatisiert und würden eine Schwangerschaft in diesem Zusammenhang möglicherweise erst spät bemerken. Hier müsse die Frist deshalb ausgeweitet werden.

Eine Legalisierung der Eizellspende sehen die Fachleute als zulässig, »sofern sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die insbesondere den notwendigen Schutz der Spenderinnen und das Kindeswohl gewährleistet«, heißt es. Wichtig sei, so wie bei der Samenspende, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft zu sichern, betonte Kommissionsmitglied Claudia Wiesemann. Leihmutterschaft könne der Gesetzgeber in bestimmten Fällen zulassen, »sofern insbesondere der Schutz der Leihmutter und das Kindeswohl hinreichend gewährleistet werden«, heißt es im Bericht.

Lauterbach auf der Suche nach dem Konsens

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, nun brauche es vor möglichen Änderungen »einen breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens«. Er warnte dabei aber vor einer weiteren »Debatte, die die Gesellschaft spaltet«. Justizminister Buschmann betonte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Lauterbach und Familienministerin Lisa Paus (Grüne), für Aussagen zu Konsequenzen der Empfehlungen sei es »heute noch zu früh«. Die Bundesregierung werde sich die Ergebnisse nun »sorgfältig anschauen und dann beraten, was die nächsten Schritte sind«.

Frauenverbände und Initiativen für Selbstbestimmung begrüßen die Vorschläge der Kommission, die schon vergangene Woche in Teilen bekannt geworden waren. Dagegen äußerte die katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) Besorgnis. »Eine Relativierung der fundamentalen Würde jedes Menschen, auch des ungeborenen Kindes, und eine Relativierung, Einschränkung oder Abstufung des damit verbundenen Grundrechts auf Leben halten wir für falsch«, sagte der DBK-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing am Montag in Bonn. Er kritisierte die Einschätzung der Kommission, wonach »das ungeborene Kind überhaupt kein Träger von Menschenwürde sei«.

Derweil sind 72 Prozent der Bürger*innen in Deutschland für eine vollständige Legalisierung von Abbrüchen innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen. Das ist das Ergebnis einer am Montag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Im Osten Deutschlands befürworten 81 Prozent die Entkriminalisierung.

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