Digitaler Wandel wird von Thüringern unterschätzt

Der Thüringen-Monitor zeigt nicht nur politische Einstellungen, er liefert auch Erkenntnisse zur Arbeitswelt

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Digitalisierung schreitet voran und wird Auswirkungen auf viele Beschäftigte haben.
Die Digitalisierung schreitet voran und wird Auswirkungen auf viele Beschäftigte haben.

Viele Menschen in Thüringen unterschätzen nach den Ergebnissen des aktuellen Thüringen-Monitors völlig, welche gravierenden Auswirkungen der digitale Wandel auf die Arbeitswelt hat und noch haben wird. Insbesondere, dass die Digitalisierung für Tausende und Abertausende Jobs im Freistaat die Gefahr mit sich bringt, dass diese Jobs in Zukunft gänzlich überflüssig sein werden, wird von vielen Thüringern längst nicht ausreichend ernst genommen. Nach dem diesjährigen Thüringen-Monitor befürchten nur sieben Prozent der Berufstätigen im Freistaat, sie könnten wegen der Digitalisierung ihren Arbeitsplatz verlieren. Dagegen zeigen Untersuchungen von Arbeitsmarktforschern aus der Vergangenheit, dass ungefähr 38 Prozent der Jobs im Freistaat so sehr vom digitalen Wandel betroffen sein dürften, dass die Arbeit, die dort heute überwiegend von Menschen gemacht wird, in der Zukunft überwiegend von Maschinen gemacht werden könnte.

Viele Thüringer würden »die Risiken der Digitalisierung für ihre Arbeitsplatzsicherheit« insgesamt eher unterschätzen, heißt es vor diesem Hintergrund im Thüringen-Monitor 2023, der am Dienstag in Erfurt vorgestellt worden ist. Für diese Studie waren im September und November 2023 etwa 1000 Menschen repräsentativ befragt worden, die bei Bundestagswahlen wahlberechtigt sind. Die Befragungen zum Thüringen-Monitor werden seit dem Jahr 2000 durchgeführt. Damit bieten die Daten einen einmaligen Einblick in die Lebensrealität der Menschen im Freistaat.

Die wissenschaftliche Leiterin der Studie, Marion Reiser, sagte, ein Grund dafür, dass viele Menschen in Thüringen noch nicht wirklich realisiert hätten, wie grundlegend der technologische Wandel Jobs bedrohe, liege in der angespannten Fachkräftesituation auf dem Arbeitsmarkt. Weil viele Menschen inzwischen nicht nur auf Arbeit, sondern auch in ihrem Alltag spürten, dass praktisch überall Personal fehle, könnten sie sich offenbar nicht gleichzeitig vorstellen, dass viele Jobs demnächst überflüssig sein würden, sagte sie.

Wie sehr die Thüringer den Fachkräftemangel ganz unmittelbar spüren, auch dazu liefert der Thüringen-Monitor Zahlen. So merken den Angaben nach inzwischen vier von fünf Menschen im Freistaat, dass es nahezu überall an Personal fehlt, etwa, wenn sie einen Handwerker, einen Arzt oder einen Pflegedienstleister suchen. Insbesondere in Städten mit weniger als 50 000 Einwohnern werde der Personalmangel als besonders gravierend empfunden. Die allermeisten Menschen in Thüringen leben in Dörfern oder Städten, die weniger als 50 000 Einwohner haben.

Rechtsextreme Einstellung bleiben auf hohem Niveau

Über den Thüringen-Monitor wird seit Langem einmal pro Jahr gemessen, wie viele Menschen im Freistaat ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben. Nach der aktuellen Ausgabe der Studie trifft dies derzeit auf etwa jeden fünften Thüringer zu. Etwa vier von zehn Thüringern zeigen ethnozentrische Einstellungen, stellen also das Wohl der »eigenen Volksgruppe« über das Wohl von »Fremden«. Beide Werte sind damit wieder ungefähr auf dem Niveau angekommen, auf dem sie vor Beginn der Corona-Pandemie lagen.

Das nur bedingte Verständnis für die Folgen der Digitalisierung, das aus diesen Daten spricht, zeigt sich im aktuellen Thüringen-Monitor auch an anderer Stelle. So belege die Untersuchung einerseits, dass es auch im Freistaat eine »soziale, digitale Spaltung« gebe, sagte Reiser. Insbesondere ältere Menschen und Menschen mit einem niedrigen Einkommen hätten Angst, von der Weiterentwicklung digitaler Technologien abgehängt zu werden. Andererseits seien die Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung dort am größten, wo diese Technologien den meisten Mehrwert für Menschen bieten könnte: im ländlichen Raum.

Die Logik hinter dieser Aussage: Ausgerechnet dort, wo es weit ist bis zum nächsten Arzt oder bis zur nächsten Bankfiliale, könnte die Digitalisierung helfen, dass Menschen trotzdem über das Netz ohne großen Aufwand medizinische Hilfe bekommen oder ihre Bankgeschäfte erledigen können – wenn sie sich darauf einlassen würden.

Forscher und Arbeitsmarktexperten betonen immer wieder, dass gerade die jüngsten Entwicklungssprünge bei der Künstlichen Intelligenz kaum zu überschätzen sind, wenn es um die Arbeitswelt der Zukunft geht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal