Senegal: »Wir müssen Demokratie neu erfinden«

Politikwissenschaftler Gilles Yabi über Senegals neuen Präsidenten und die Rolle des Panafrikanismus

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 5 Min.
Grund zum Feiern: Die Anhänger*innen von Senegals neuem Präsidenten Diomaye Faye versprechen sich einen Wandel zum Besseren.
Grund zum Feiern: Die Anhänger*innen von Senegals neuem Präsidenten Diomaye Faye versprechen sich einen Wandel zum Besseren.

Über welchen Rückhalt in der Bevölkerung verfügt Senegals neuer Präsident Bassirou Diomaye Faye?

Der ist groß. Es war der erste Sieg eines Oppositionskandidaten in der ersten Runde. Die Senegalesen, die massiv für Bassirou Diomaye Faye gestimmt haben, haben sich für den Wandel entschieden. Sie wollen einen Bruch zu der Art und Weise, wie sein Vorgänger Macky Sall in den vergangenen zwölf Jahren das Land regiert hat. Viele erkennen zwar an, dass Präsident Sall positive Aspekte in seiner Amtszeit vorzuweisen hat. Doch sie kritisieren einerseits die politischen Manöver während seiner zweiten Amtszeit, die darauf abzielten, seine Gegner zu neutralisieren und die Bedingungen für seinen Verbleib an der Macht zu schaffen. Andererseits kritisieren sie die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung nicht verbessert haben, insbesondere die mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten und Chancen für junge Menschen.

Interview

Gilles Yabi ist Politologe und analysiert das politische Geschehen in Westafrika. Der Beniner ist Gründer der in Westafrika bekannten Denkfabrik »WATHI« mit Sitz in Senegals Hauptstadt Dakar.

Und Faye verspricht da Besserung?

Seine Wähler erwarten vom Präsidenten Faye und seiner Regierung Entschlossenheit, den Wünschen aller sozialen Klassen gerecht zu werden, die Schaffung von Arbeitsplätzen durch wirtschaftliche Diversifizierung, den Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten, aber auch eine tugendhaftere Regierungsführung mit weniger Korruption, weniger Verschwendung öffentlicher Ressourcen und weniger Machtkonzentration und -zentralisierung. Präsident Faye verkörpert aufgrund seiner bescheidenen und ländlichen Herkunft, seiner Persönlichkeit sowie der ideologischen Positionierung der Partei Pastef Hoffnung auf einen tatsächlichen positiven Wendepunkt für das Land, aber natürlich ist nichts sicher und es wird sehr schwierig sein.

Präsident Faye trat für die Opposition an, weil es dem Oppositionsführer Ousmane Sonko von der Justiz wegen einer umstrittenen Verurteilung untersagt wurde. Jetzt hat Faye als neuen Premierminister ausgerechnet Sonko ernannt. Ist Sonko der eigentliche starke Mann in der neuen Regierung?

Faye darf nicht als ein Präsident betrachtet werden, der im Schatten von Ousmane Sonko steht. Sonko ist zweifellos die populärste Figur der Pastef. Sonko hat indes immer die Vorrangstellung des »Projekts« betont, dessen, was sie für den Senegal tun wollten, jenseits des Wunsches nach Macht. Sonko ist als Regierungschef in der ersten Phase der starke Mann des Staates. Bis zum Ende des Jahres finden voraussichtlich vorgezogene Parlamentswahlen statt. Deren Ergebnis wird über die Stabilität der Regierungskoalition und die Zukunft von Sonko als Premierminister Aufschluss geben. Diese Position ist besonders schwierig, mehr als die des Präsidenten, denn der Premierminister kann jederzeit entlassen werden. Die Senegalesen glauben, dass mit dem Duo Faye/Sonko eine vielversprechende neue Ära für das Land beginnt.

Während des Wahlkampfs von Sonko und Faye war viel die Rede von Panafrikanismus. Was verstehen die beiden neuen starken Männer genau darunter?

Die Kandidaten der Pastef sprachen vor allem über die Souveränität des Senegals und der afrikanischen Länder im Allgemeinen, also über die Notwendigkeit, sich von Zwängen zu befreien, die von externen Akteuren auferlegt werden. Dabei Entscheidungen zu treffen, insbesondere wirtschaftliche Entscheidungen, die zum Wohl der Bevölkerung führen. Dieser Diskurs über Souveränität findet sich fast überall auf dem Kontinent in verschiedenen Formen. Mit jeder Generation, die weiter von den Erblasten der europäischen Kolonisation entfernt ist, verstärkt sich dieser Diskurs. Der Name der Partei Pastef, Patrioten Afrikas des Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit, zeigt auch den Willen zur Förderung der afrikanischen Integration. Aber es gibt noch nicht viele Hinweise darauf, was die neue Regierung tatsächlich in Bezug auf das Engagement Senegals in Afrika tun wird. In Westafrika jedenfalls wird erwartet, dass der Senegal eine wichtige Rolle bei den Bemühungen spielt, die Schwächung der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas zu verhindern und mit den aktuellen Militärführern der Sahel-Länder, Mali, Niger und Burkina Faso, in Dialog zu treten. Hier könnte sich die Idee des Panafrikanismus entfalten.

Aus dem Westen gibt es Kritik an Faye und Sonko wegen angeblich anti-westlicher Positionen. Zutreffend?

Ich denke, dass es viele oberflächliche, schnelle und manchmal rücksichtslose Urteile über afrikanische politische Akteure von Beobachtern, insbesondere aus dem Westen, gibt. Anscheinend haben diese nur begrenztes Wissen über die nationalen Kontexte. Ich sehe nicht, warum das Infragestellen bestimmter spezifischer Verträge wie im Fischereibereich oder bei Erdöl- und Erdgasressourcen oder das Kritisieren der Politik eines bestimmten europäischen Landes in einem bestimmten Bereich mit »antiwestlich« gleichgesetzt werden sollte. Im Senegal sind die wichtigsten Anliegen Sicherheit, Beschäftigung, wirtschaftliche Bedingungen, das Funktionieren öffentlicher Gesundheits- und Bildungsdienste, der Kampf gegen Korruption und der Kampf gegen den Klimawandel, dessen Auswirkungen auf dem Kontinent am stärksten und offensichtlichsten sind. An den Ergebnissen auf diesen Gebieten wird die neue Regierung im Senegal von der Bevölkerung gemessen, nicht daran, ob sie »antiwestlich« ist oder nicht. Vielleicht sollten wir in Betracht ziehen, dass Nicht-Westler weder »prowestlich« noch »antiwestlich« sein müssen und einfach nur sie selbst sein können – offen für die Welt, aber in erster Linie besorgt um das Schicksal ihres Teils der Welt. So wie es auch die Westler waren und sind.

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