Miniserie »Machine«: »Kill Bill« in Reims

»Machine«: Die Kung-Fu-Serie zum 1. Mai

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Fabrik als Schule: Die desertierte Elitesoldatin Machine (Margot Bancilhon) und der Ex-Junkie JP (Joey Starr) haben einander viel zu sagen – zum Beispiel über den Rätekommunismus.
Die Fabrik als Schule: Die desertierte Elitesoldatin Machine (Margot Bancilhon) und der Ex-Junkie JP (Joey Starr) haben einander viel zu sagen – zum Beispiel über den Rätekommunismus.

Was ist von einer TV-Serie zu erwarten, die mit einem Zitat Emmanuel Macrons beginnt? Nun ja, der französische Staatspräsident hat bisweilen interessante Anwandlungen. In diesem Fall ist es ein Satz, den er 2018 anlässlich des 200. Geburtstages eines deutschen Philosophen formulierte: »Mein Rat an die Jugend: Lest Karl Marx.«

Dieses Zitat ist jeder Folge der sechsteiligen Arte-Fernsehserie »Machine« vorangestellt, die von der Rückkehr einer (von Margot Bancilhon gespielten) Elitesoldatin in die nordostfranzösische Provinz erzählt. Dass diese von Deindustrialisierung gebeutelte Kleinstadt in der Nähe von Reims liegt, verleiht dem Film gleich noch einen weiteren Bezugspunkt zur linken Debatte. Man könnte meinen, »Machine« sei einer jener Arbeiterfilme, die in den letzten Jahren immer mal wieder aus Frankreich ins Kino kamen: Eine lokale Waschmaschinenfabrik wird von einem ausländischen Investor aufgekauft und mit Unterstützung der politischen Autoritäten abgewickelt. Es kommt zum Streik, die kommunistische Gewerkschaft CGT versucht einen Sozialplan auszuhandeln. Doch einer der Arbeiter, gespielt vom 56-jährigen Rapper Joey Starr, schert aus und ruft die Kolleg*innen auf, ihre Sache in die eigenen Hände zu nehmen: Arbeiterselbstverwaltung. Dieser JP, ein ehemaliger Junkie, hat sich über Radsport und Karl Marx aus dem Drogensumpf herausgekämpft. Aufgrund seiner Lektüre weiß er, dass die Arbeiterklasse das Wissen besitzt, um den Betrieb selbst zu führen.

Moment mal: Die Lektüre von Karl Marx bringt einen Heroinabhängigen zum Rätekommunismus? Dass es sich bei dieser Serie nicht um Sozialrealismus, sondern um ein Action-Märchen handelt, wird schon in der allerersten, den Fabrikereignissen vorangestellten Szene kurz etabliert. Unmittelbar nach Emmanuel Macrons Zitat sieht man dort nämlich, wie Uniformierte eine Vorort-Familie brutal überfallen. Dieser Einstieg ist nicht nur Action-Szene, sondern politisches Statement. »Machine« ist ein Film gegen Polizeigewalt.

Die vom Einsatzkommando gesuchte Person ist ebenjene »Machine«, die Namensgeberin der Serie. Als Kampfmaschine war sie für den kriselnden französischen Imperialismus in Afrika im Einsatz und ist, alkoholabhängig und schwer traumatisiert, aus den Reihen der Fremdenlegion desertiert. Mit ihren langen Dreadlocks kaum wiederzuerkennen, kehrt sie nun in ihre Heimatstadt zurück, um dort festzustellen, dass die Großmutter, ihre letzte lebende Angehörige, verstorben ist. Völlig mittellos, heuert »Machine« in der Fabrik an, in der JP den Arbeiteraufstand gegen Investoren und reformistische Gewerkschafter*innen anzettelt.

Weil Ex-Junkie JP einst die eigene Tochter im Stich ließ, entsteht bei ihm der Wunsch, der deutlich jüngeren Kollegin beizustehen. Er will sie vom Alkohol wegbringen, geht mit ihr Fahrrad fahren und bringt ihr die Schönheit materialistischer Philosophie nahe. »Machine« ist anfangs zwar genervt, bestellt dann aber doch »Das Kapital« – natürlich, die Geschichte darf nicht völlig ins Fantastische abdriften, als Comic-Version. Und bei dieser Transformation wechselt die Serie endgültig das Genre: Aus dem Fabrikfilm wird ein Kung-Fu-Epos à la »Kill Bill«, allerdings in intelligent.

Anders als beim US-Filmemacher Quentin Tarantino ist die Karikatur hier nicht einfach nur ästhetische Reminiszenz an die Kinogeschichte, sondern löst ein narratives Problem: Die sozialrealistische Erzählung über den Arbeitskonflikt wäre zwangsläufig zum pädagogischen Lehrstück verkommen. Mit dem Genrewechsel in den Kung-Fu-Film ist nun plötzlich alles möglich, und so bestimmt Superheldin »Machine« von nun an das Geschehen.

Das funktioniert auch deshalb, weil die Kung-Fu-Szenen so gut inszeniert sind, wie man es im europäischen Kino noch nicht oft gesehen hat. Schauspielerin Margot Bancilhon hat sich ihre Kampfsportkenntnisse zwar erst bei der Vorbereitung zu den Filmarbeiten angeeignet, tritt und prügelt sich aber durch die Serie, dass es eine wahre Freude ist. Alle kriegen ihr Fett ab: Streikbrecher, ein faschistisches Rollkommando und schließlich ein Trupp Killer, die vom Eigentümer eigens aus Korea eingeflogen werden.

Hinter dieser eigentümlichen Geschichte, die den rätekommunistischen Karl Marx offenkundig einem bisher nur mit Action-Filmen vertrauten jugendlichen Publikum näherbringen will, stecken die Autor*innen Thomas Bidegain, Valentine Monteil und Fred Grivois. Bidegain war Drehbuchautor der großartigen Filme »Der Prophet« und »Dämonen und Wunder«. Die bisherigen Filme des Kanadiers Grivois, der bei »Machine« auch Regie geführt hat, galten der Kritik hingegen häufig als zu platt. Mit Bidegain und Monteil an der Seite entfaltet Grivois’ Freude am Action-Film aber eine produktive Kraft. Aus dem popkulturellen Kung-Fu-Märchen wird eine kluge und streckenweise auch berührende Erzählung über gesellschaftliche Verhältnisse. Irgendwo zwischen »Rückkehr nach Reims« und »Kill Bill« angesiedelt, ist »Machine« ein seltener Glücksfall im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Läuft auf Arte

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