Arbeitsbedingungen: Ausgeliefert bei Domino’s Pizza

Wer in einer Berliner Domino’s-Filiale gegen die Arbeitsbedingungen aufbegehrt, muss mit einer kalten Kündigung rechnen

In der kalten Jahreszeit gibt es für die Rider besonders viel zu tun. Einige sprechen von Schichten, die über die gesetzlich zulässigen zehn Stunden hinausgehen.
In der kalten Jahreszeit gibt es für die Rider besonders viel zu tun. Einige sprechen von Schichten, die über die gesetzlich zulässigen zehn Stunden hinausgehen.

Ajay Gupta1 deutet auf sein Handy: Fast 13 Stunden hat er am 3. Dezember laut Auszug aus der Schichtplanungsapp gearbeitet. Für die Zeit zwischen 11.20 Uhr und 0.35 Uhr werden einmalig 18 Minuten Pause angezeigt.

Gupta und sein Kollege Rohan Rathore1 berichten »nd« von mutmaßlichen Missständen bei ihrem Arbeitgeber, der Domino’s Pizza Deutschland GmbH. Die Beschuldigungen umfassen sowohl die Arbeits- und Pausenzeiten als auch nicht genehmigte Urlaubstage. Wer die Zustände kritisiert, werde mit der Kündigung bedroht. Die Kündigungen würden zudem selten der rechtmäßigen Schriftform genügen. Stattdessen würden den entsprechenden Kolleg*innen keine Schichten mehr zugeteilt.

Dubiose Arbeitszeiterfassung

Gupta und Rathore liefern seit Juli 2023 für Domino’s Pizza aus. Beide sind als Werkstudenten angestellt. »Es gab von Anfang an Probleme mit den Schichten«, sagt Rathore. Wenn es viele Bestellungen gibt, besonders bei Kälte und schlechtem Wetter oder an Feiertagen, werde es ihnen nicht gestattet, Pausen zu nehmen, sagt Gupta. Zudem würden sie dazu angehalten, länger als vorab vereinbart zu arbeiten. »Manchmal musste ich nach einer Schicht, die bis 0 oder 1 Uhr dauerte, bereits am nächsten Tag um 10 Uhr die nächste Schicht beginnen.«

In ihren Arbeitsverträgen für Werkstudenten ist die Wochenarbeitszeit auf mindestens zwölf Stunden und höchstens 20 Stunden festgelegt. »Im Winter arbeiten wir fast 50 Stunden pro Woche. Das gefährdet auch unser Studentenvisum.« Guptas Kollege Rathore sagt, er habe mehrmals elf Stunden pro Tag gearbeitet. Wenn Studierende während des Lehrbetriebs (also nicht in den Semesterferien, an Feiertagen, Wochenenden oder nachts) oder in mehr als 26 Wochen über 20 Stunden arbeiten, überwiegt die Werktätigkeit formal die Studierendentätigkeit, und der Studierendenstatus geht verloren, der Guptas und Rathores Aufenthalt begründet.

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Dass sich die Schichtzeiten, die vorab zugeteilt wurden, von den tatsächlich gearbeiteten Stunden unterscheiden, sei die Regel, sagt Rathore. Im Gegensatz zum Winter sei es im Sommer gewöhnlich der Fall, dass es nicht genug Bestellungen gebe. »Im Sommer arbeiten wir weniger, als uns vorab zugeteilt wird, zum Teil weniger als zwölf Stunden pro Woche.« In diesen Fällen würden die Beschäftigten durch den Filialleiter von der Arbeitszeiterfassung ausgeloggt. »Das kann bedeuten, dass wir unsere Schichten später beginnen als vereinbart, in oder außerhalb der Filiale warten müssen, bis eine Bestellung reinkommt.« Das könne auch bedeuten, dass sie zu Pausen von 20 Minuten oder zwei Stunden gezwungen seien. Auch ein früheres Ende der Schicht sei möglich, sagt Rathore. Gupta ergänzt: »Indirekt wurden uns Stunden gestohlen. Wenn ich zum Beispiel für eine Zwölf-Stunden-Schicht eingeteilt bin, kann es sein, dass ich laut Arbeitszeiterfassung lediglich sechs, sieben oder acht Stunden gearbeitet habe.«

Gefeilsche um die Urlaubstage

Auch mit dem Urlaub habe es laut den beiden Fahrern Probleme gegeben. In 2023 hätte ihnen ein anteiliger Jahresurlaub von zehn Tagen zugestanden. Den hätten sie bis zum Dezember noch nicht genommen, sagt Gupta. »Der Filialleiter teilte uns mit, dass er von einem seiner Vorgesetzten gesagt bekommen habe, dass es keinen Urlaub für uns geben werde«, sagt Rathore. Nachdem sie sich mit einigen Kolleg*innen besprochen und gedroht hatten, sich an eine*n Anwält*in zu wenden oder eine Aktion zu starten, sei einigen von ihnen fünf Tage Urlaub gewährt worden. »Einige andere Kolleg*innen, die schon länger dabei sind, aber weniger gut Deutsch und Englisch verstehen, haben ihren ganzen Urlaubsanspruch verloren«, sagt Rathore.

»Für dieses Jahr hatte mir unser Filialleiter zunächst zugesagt, dass ich nach dem April Urlaub nehmen könne. Später hieß es dann, 2024 sei doch kein Urlaub möglich.« Schlussendlich habe er am 26. April 20 Tage Urlaub bis zum Ende Mai beantragt. Den Filialleiter habe er mehrmals mündlich und schriftlich um eine Entscheidung über den Antrag gebeten, jedoch nie eine Antwort erhalten. »Stattdessen sind meine Stunden reduziert worden auf teilweise vier oder sechs Stunden pro Woche.« Gupta habe sich schlussendlich entschieden, nicht in den Urlaub zu gehen, bis das Problem gelöst sei.

Kalte Kündigungen

Wie Gupta und Rathore berichten, habe Domino’s stets nach Mindestlohn vergütet. Ein Arbeitsvertrag sei ihnen zunächst nicht ausgehändigt worden, sagt Gupta. »Ich musste mehrmals danach fragen. Erst als ich ihn hatte, verstand ich, dass die Arbeit an Stellen nicht den vertraglichen Vereinbarungen entsprach.« Als er seinen Filialleiter darauf angesprochen habe, habe dieser entgegnet: »Wir sind Studenten, wir müssen so arbeiten. Ich weiß, dass einige Dinge nicht richtig sind.« Gupta, Rathore und der Filialleiter studieren in Berlin, stammen aber aus Indien, wie die meisten der Beschäftigten dieser Domino’s-Filiale.

»Wir fühlten uns ständig bedroht, hatten das Gefühl, dass immer ein Messer über uns schweben würde, wenn wir nicht befolgen, was uns angewiesen wird«, sagt Gupta. Ständig habe die Kündigung im Raum gestanden. Das sei ihm gesagt worden. »Und das ist auch passiert.« Viele Kolleg*innen seien ohne schriftliche Kündigungen entlassen worden, ohne Frist seien ihnen keine Schichten mehr zugeteilt worden. Zwei weitere ehemalige Mitarbeiter*innen dieser Filiale bestätigten das gegenüber »nd«. Beide haben nach eigener Aussage eine schriftliche Kündigung nie erhalten. Einem sei die Kündigung lediglich per WhatsApp mitgeteilt worden, ihm seien dann nie wieder Schichten zugewiesen worden. Das Phänomen, Mitarbeiter*innen absichtlich so zu behandeln, dass sie von sich aus den Arbeitsplatz verlassen, nennt sich umgangssprachlich »kalte Kündigung«. Mit den genannten Problemen hätten alle Fahrer zu tun gehabt, sagt Rathore. Es habe sich aber nie jemand dagegen gewehrt. »Wir hätten uns auch nicht dagegen gewehrt, wenn wir auf uns allein gestellt gewesen wären«, sagt Rathore.

Polizeieinsatz in der Pizzeria

Mit der Zeit hat sich die Situation offenbar immer weiter zugespitzt. Gupta spricht davon, dass der Filialleiter ihn beschimpft habe, er brauche nicht zu arbeiten, wenn er nicht wolle, oder er könne sich ruhig einen Anwalt nehmen. Am Freitag, den 3. Mai, habe Gupta eine Schicht gehabt. Er sei zuvor in der Filiale erschienen, um zu thematisieren, dass er nicht mehr genügend Schichten bekäme. »Es war aber nur der Schichtleiter da«, sagt Gupta. Der habe ihm mitgeteilt, dass er angewiesen worden sei, ihm keine Arbeit mehr zuzuteilen, da er gefeuert sei. Gupta habe die Filiale nicht verlassen, da es keinen Grund gegeben habe, ihn unmittelbar zu kündigen. Nach ein paar Minuten sei die Polizei in der Filiale erschienen. Die habe ihm mitgeteilt, dass es ihm nicht mehr erlaubt sei zu arbeiten und er die Filiale zu verlassen habe. Er sei gekündigt, das Kündigungsschreiben werde ihm am folgenden Montag, dem 6. Mai, zugehen. Bis heute hat Gupta kein Schreiben erhalten. Von der WhatsApp-Gruppe, über die die Schichten koordiniert werden, ist er mittlerweile ausgeschlossen.

Laut Polizeiangaben seien Beamte am frühen Abend des 3. Mai zu der Filiale gerufen worden. Es habe Streitigkeiten zwischen Mitarbeitern gegeben, teilt eine Sprecherin »nd« mit. Der Filialleiter habe Anzeige wegen Beleidigung gegen einen Mitarbeiter erstattet. Es obliege nun dem mutmaßlich Geschädigten bei der Staatsanwaltschaft einen Strafantrag zu stellen, damit diese ein Strafverfahren eröffnen kann.

Domino’s Pizza ist eigentlich dafür bekannt, dass die einzelnen Filialen von sogenannten Franchisenehmern als selbstständig geführte Restaurants betrieben werden. Die Filiale in Prenzlauer Berg wird jedoch von der deutschen Muttergesellschaft der Domino’s Pizza Deutschland GmbH betrieben. »Wir beobachten, dass Domino’s Deutschland offenbar zunehmend wieder Filialen übernimmt«, sagt Sebastian Riesner, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) Berlin, zu »nd«. Das habe aber bisher zu keinerlei Besserung geführt, sagt Riesner. Er sei von den Schilderungen der Fahrer nicht überrascht, bei Domino’s herrschten seit Jahren schlechte Arbeitsbedingungen. Bei dem angesprochenen Verfahren der Arbeitszeiterfassung könne es sich durchaus um Lohnbetrug handeln, sagt Riesner. Zeit, über die der*die Mitarbeiter*in nicht frei verfügen könne, da er*sie sich in oder vor der Filiale bereithalten muss, sei als Arbeitszeit zu betrachten und entsprechend zu vergüten.

Der Gewerkschaft selbst lägen keine konkreten Beschwerden vor, sagt Riesner. Obwohl Domino’s ein so großes Gastronomieunternehmen ist, sei es nicht tarifgebunden, bemängelt Riesner. »Domino’s steht symptomatisch für eine Branche, in der Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind und nur eine geringe Rechtskenntnis haben, die sich nicht wehren und nicht organisieren, über den Tisch gezogen werden.« Wenn es keine Kontrolle durch Betriebsräte, Gewerkschaften oder staatliche Akteure gebe, sagt Riesner, sei der Arbeitgeberwillkür Tür und Tor geöffnet. Die beiden Domino’s-Fahrer haben erst jüngst das erste Mal etwas von einem Betriebsrat gehört, sagen sie zu »nd«. Da hatte sie ein ehemaliger Mitbewohner und Lieferando-Rider zu einem Treffen des Lieferando Workers Collective mitgenommen, das versucht, Branchenkolleg*innen auch jenseits des eigenen Unternehmens zu unterstützen.

Domino’s wollte »nd« gegenüber die Vorwürfe der Fahrer weder bestätigen noch dementieren. Eine Sprecherin teilte mit, dass der Sachverhalt mit Bedauern zur Kenntnis genommen worden sei. Man wolle Gespräche mit den beteiligten Kolleg*innen führen, um sich intern ein umfassendes Bild zu machen. Erst dann wolle sich das Unternehmen zu einzelnen Punkten äußern. In jedem Fall könnten die Aussagen nicht pauschalisiert werden. Sofern sie sich als wahr herausstellen, würden entsprechende Konsequenzen abgeleitet.

1 Namen von der Redaktion geändert. Die tatsächlichen Namen sind »nd« bekannt.

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