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Verfassungsbeschwerde in Vorbereitung: Trauerspiel Organspende
Ein Bündnis von Patientenverbänden plant jetzt eine Verfassungsklage
Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist konstant niedrig. Darauf machten in der letzten Woche einige Bundestagsabgeordnete aufmerksam: Sie ließen sich ein Tattoo stechen. Ein Kreis, an dem noch einmal zwei halbe Kreise hängen, soll aufmerken lassen. Der SPD-Politiker und Patientenbeauftragte der Bundesregierung Stefan Schwartze hatte das »Event« mit dem Verein Junge Helden öffentlichkeitswirksam organisiert. Die Jungen Helden sind eine gemeinnützige Organisation, die neben vielen Selbsthilfegruppen zum Bündnis Protransplant gehört, das am Dienstag Plan und Initiative zu einer Verfassungsklage zum Thema Organspende vorstellte.
Aktuell gilt in Deutschland und außerdem in Europa nur noch in Litauen, Dänemark und Rumänien die Zustimmungslösung. Das heißt, dass die explizite Zustimmung eines irreversibel hirntoten Patienten für eine Organspende vorliegen muss – oder, falls nicht, von Angehörigen zu erklären ist, entsprechend dem Willen des Verstorbenen. Offenbar gibt es aber bei der Identifizierung von spendenbereiten Menschen ein Problem. So hatten sich laut Mario Rosa Bian, einem der Sprecher von Protransplant, zuletzt 73 Prozent der Befragten in einer regelmäßigen Umfrage für die Organspende ausgesprochen.
Andererseits hatten zuletzt nur 15 Prozent der Menschen mit einem Hirnfunktionsausfall in einer Intensivstation eine schriftliche Willensäußerung zu einer Organspende gegeben. Bei den anderen 85 Prozent müssen das die Angehörigen rekonstruieren – und die Hälfte lehnte eine Spende ab. Für Rosa Bian ist eine solche Entscheidung in einer meist dramatischen Situation nachvollziehbar. Was der Sprecher und das Bündnis aber nicht verstehen: »Warum ist die Diskrepanz der Zahlen so hoch?« Aus ihrer Sicht würde eine Widerspruchslösung zu mehr Organspenden führen, allerdings müsste sie etwa verbunden sein mit deutlich mehr Informationen für die Bevölkerung.
Die Zahl der Organspenden von irreversibel Hirntoten in Deutschland lag zwischen Ende der 1990er Jahre und 2012 immer mehr oder weniger deutlich über 1000 Fälle pro Jahr. Dann rutschte sie 2013 unter diese Marke und erreichte sie bis jetzt nicht wieder. Im Jahr 2013 waren Verstöße einzelner Transplantationszentren bekannt geworden. Mitarbeiter hatten versucht, die eigenen Patienten zu begünstigen – auch mit bewussten Falschangaben. Die Untersuchungen zu den Fällen wurden 2017 abgeschlossen und publiziert. Unterschwellig blieb eine Botschaft hängen: Menschen bekommen Organe, die andere viel dringender brauchen.
Trotz diverser Gesetzesänderungen konnte keine Entwicklung hin zu mehr Organspenden in Gang gesetzt werden. Und auch im ersten Quartal dieses Jahres ist die Zahl der Organspender im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um sechs Prozent eingebrochen. Hinzu kommt: Der aktuelle Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist zwar selbst für die Widerspruchslösung, will aber nichts unternehmen. Das werfen ihm die Organisatoren vom Bündnis Protransplant vor, die auf einen offenen Brief keine Antwort vom Minister erhielten.
»Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich verpflichtet, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Erhöhung der Zahl der Spenderorgane zu schaffen«, erläuterte Josef Franz Lindner, Experte für Medizin- und Gesundheitsrecht von der Universität Augsburg. Die Schutzpflicht werde verletzt, wenn die Maßnahmen gegen den Organmangel unzureichend seien. Ausreichend wäre zum Beispiel eine Widerspruchsregelung. Für deren Einführung wird von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann gerade ein Gesetzentwurf erstellt. Dieser soll am 14. Juni im Bundesrat verabschiedet und könnte im Herbst im Bundestag behandelt werden. Wird dadurch keine Änderung bewirkt, will Protransplant noch in diesem Jahr die Verfassungsklage starten. Mehrere Patienten von Wartelisten stehen als Beschwerdeführer bereit. Auch diverse ärztliche Fachgesellschaften, die Bundesärztekammer und viele andere sprechen sich für eine Widerspruchslösung aus.
Rechtswissenschaftler Lindner verwies darauf, dass es eine Vielzahl zusätzlicher Möglichkeiten gäbe, die Situation zu verbessern, etwa durch erweiterte Lebendspendeoptionen, die Spende nach Herztod und die Verbesserung der Strukturen in den Kliniken. Zu letzteren lieferte Protransplant-Sprecherin Zazie Knepper einige Zahlen: »Von 1173 sogenannten Entnahmekrankenhäusern finden 877 keine Organspender.« Auch aus den Universitätskliniken gebe es sehr unterschiedliche Ergebnisse. So fand in den ersten zehn Monaten 2023 die Uniklinik Freiburg 21 Organspender, Jena und Marburg hatten jeweils nur zwei. Im genannten Zeitraum konnten nur drei Unikliniken bundesweit mehr als zehn Organspender finden.
Gleichzeitig bleiben die Wartelisten von schwerkranken Empfängern lang. In Deutschland werden 40 Transplantationen an je eine Million Einwohner durchgeführt, viele der Organe kommen aus anderen Mitgliedstaaten der Organisation Eurortransplant. »Die Sterberaten auf den Wartelisten für Leber oder Lunge im Vergleich mit anderen Eurotransplant-Ländern sind in Deutschland mehr als doppelt so hoch«, ergänzt Rainer Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Medizinische Innovationen in dem Bereich kämen bei Patienten in Deutschland nicht an. Der Unterschied zu den Nachbarländern sei so groß, dass eine Verletzung der Schutzpflicht unübersehbar ist, sagte er.
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