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Alte Software, neues Update

In der Hauptstadt hadert die Linke mit ihrem einstelligen Wahlergebnis – Landesvorstand Maximilian Schirmer fordert ein schärferes Profil

  • Patrick Volknant
  • Lesedauer: 4 Min.
Applaus, aber wofür? Bei der Europawahl enttäuschte die Linkspartei auch in der Hauptstadt.
Applaus, aber wofür? Bei der Europawahl enttäuschte die Linkspartei auch in der Hauptstadt.

Die mit roten Tüchern überzogenen Stehtische vom Wahlabend wurden weggeräumt, die miese Stimmung ist geblieben. Am Dienstagmorgen, zwei Tage nach der Europawahl, sucht Maximilian Schirmer (Linke) vor dem »Seniorenklub« im Karl-Liebknecht-Haus nach Erklärungen. »Wir können viel über die AfD reden. Aber eigentlich will ich viel mehr über das reden, was uns betrifft«, sagt der Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei. Man dürfe die eigenen Misserfolge nicht immer damit erklären, was andere machen.

Auf ein katastrophales Ergebnis im Bund, gesteht Schirmer, sei er vorbereitet gewesen. Auch in Berlin habe er seit Längerem vor dem Fall in die Einstelligkeit gewarnt. »Aber dass es so schnell geht, habe ich nicht gedacht.« Mit am Ende 7,3 Prozent hat die Linke in der Hauptstadt nicht nur 4,6 Prozentpunkte eingebüßt, sie landet auch hinter dem Bündnis der Ende 2023 ausgetretenen Sahra Wagenknecht (BSW).

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Die derzeitige Lage, darüber ist man sich im »Seniorenklub« einig, bedroht die Linkspartei in ihrer Existenz. Ein Wähler aus Marzahn-Hellersdorf zeigt sich besonders über die Ergebnisse in seinem Bezirk entsetzt. »Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick, das waren doch mal Hochburgen«, sagt er. Linke-Politiker*innen vor Ort seien ansprechbar, das linke Fest »Schöner Leben ohne Nazis« habe er in seinem Bezirk als Höhepunkt in den vergangenen Jahren wahrgenommen. Trotzdem sei auf den Wahlkarten jetzt alles blau. »Es ist einfach nicht zu erklären.«

Eine Entwicklung, die auch an Schirmer nicht vorbeigeht. In der Hauptstadt, so der Landesvorsitzende, erschließe sich die Linke ein neues Sozialklientel. Die Landespartei verzeichne Zuwachs, aber in erster Linie aus dem Zentrum, aus Ortsteilen wie Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte. Man erreiche Student*innen, Lehrkräfte, Kita-Erzieher*innen, aber eben nicht mehr die Alten, genausowenig wie große Teile der Beschäftigten. Die Linke verliere die Menschen in den Großwohnsiedlungen außerhalb des Rings, sagt Schirmer. »Wenn wir diese Lebenswirklichkeiten dort nicht mehr verstehen, dann können wir für sie auch keine Politik mehr machen.«

Der Linke-Politiker fordert mehr Präsenz vor Ort, auf Mieterversammlungen und mit Ständen in den Großwohnsiedlungen. Zu versuchen, den Besorgten die Ängste mithilfe von Statistiken zu nehmen, sei dabei genauso aussichtslos wie Heilsversprechungen. Neben den Abgängen zum BSW, zu dem sich am Dienstag auch zwei Besucher im »Seniorenklub« bekennen, haben sich viele ehemalige Linke-Wähler*innen dieses Mal gegen den Urnengang entschieden. Hier wittert Schirmer die Chance der Linkspartei. »Das Bedürfnis nach einer linken Partei gibt es nach wie vor«, sagt er. Nur wüssten die Wähler*innen nicht mehr, wofür die Linke eigentlich stehe. In Berlin bedeute das: klare Positionen und Konzentration auf die Kernthemen Wohnen, Bildung und Soziales.

Eine Seniorin fordert klare, bisweilen auch provokante Positionen von der Linken und hofft dadurch auf größere Wirksamkeit in den Medien. Die Position der Berliner Landespartei zum Verkehr kritisiert sie als »schwammig«. Schirmer hält dagegen: »Wir sagen eben nicht einfach nur Ja zum Auto oder Nein.« Wenn die vorhandene Infrastruktur keine Alternativen anbiete, könne man den Menschen nicht ohne Weiteres das Auto wegnehmen.

Die größten Probleme der Linken, die auch der Landespartei zu schaffen machen, gehen allerdings über die Grenzen der Lokalpolitik hinaus. »Wir haben zwar ein Programm, aber viele inhaltliche Fragen haben wir immer noch nicht geklärt«, sagt Schirmer. Während sich die Partei auf dem Papier auf Kompromisslösungen geeinigt habe, werde sie von außen als uneinig wahrgenommen. Schirmer verweist auf die Erfolge der Linken in Finnland, Belgien und Österreich. Je nach Land seien die Parteien mit unterschiedlichen Positionen angetreten. »Aber sie sind mit sich in Klausur gegangen – und das, liebe Genossinnen und Genossen, haben wir versäumt.«

Auch im »Seniorenklub« tauchen immer wieder die Themen auf, an denen entlang sich die starren Fronten innerhalb der politischen Linken abzeichnen. Die Kriege in der Ukraine und in Nahost erregen die Gemüter, mehrfach wird ein Bekenntnis zum Frieden gefordert. Wie das im Einzelnen aussehen soll, daran scheinen sich die Geister zu scheiden.

Schirmer beobachtet, dass Parteimitglieder dieselben Begriffe nutzten, sie aber offensichtlich mit unterschiedlicher Bedeutung füllten. Junge und Alte spiegelten ihm, die jeweils andere Seite nicht mehr zu verstehen. Um zu versöhnen, fordert der Landesvorsitzende gewissermaßen ein Update. Doch: »Es geht nicht darum, programmatische Punkte, die zur DNA gehören, über Bord zu werfen. Sondern darum, die Menschen von ihnen zu überzeugen.«

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