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Ahrtal: Zähes Ringen um Wiederaufbau und Aufarbeitung
Drei Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen leiden noch immer viele Menschen unter den Folgen
Die Spuren der reißenden Fluten, die vor genau drei Jahren durch das Ahrtal schossen und viele Menschen in den Tod rissen, sind in den betroffenen Städten bis heute allgegenwärtig. Denn viele Häuser sind und bleiben Ruinen, werden wegen der flussnahen Lage nicht wieder aufgebaut. Oder weil den Menschen das Geld dafür fehlt.
Bei vielen sind auch die Traumata jener Tage ständig präsent – und die Empörung über das juristisch bislang nicht aufgearbeitete offenkundige Versagen der zuständigen Behörden und Regierungsstellen. Denn amtliche Warnungen vor Überflutungen dieses Ausmaßes gab es nachweislich. Dennoch wurden Anwohner am Vorabend der Katastrophe nicht dazu angehalten, von den Erdgeschossen ihrer Häuser in obere Etagen umzuziehen oder sie zu verlassen. Lediglich in ihre Keller sollten sie nicht gehen, wie ihnen über Lautsprecherwagen der Feuerwehren mitgeteilt wurde.
Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft Koblenz die bislang einzigen Strafverfahren gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und den Ex-Leiter der Technischen Einsatzleitung, Ex-Leiter des Krisenstabs, Michael Zimmermann, im April ein. Eine Anklageerhebung lehnte die Behörde ab. Die Begründung: Es könne nicht nachgewiesen werden, dass ein anderes Vorgehen der Verantwortlichen Todesopfer verhindert hätte.
Das ist bitter für die Angehörigen von Todesopfern. Einige von ihnen kämpfen weiter: Ihre Anwälte versuchen, über ein Klageerzwingungsverfahren doch noch eine juristische Aufarbeitung durchzusetzen.
Auf politischer Ebene haben sich Untersuchungsausschüsse in den Landtagen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mit den Versäumnissen auf verschiedenen Ebenen bis zu den Landesregierungen befasst. Der Ausschuss in Mainz hat am Donnerstag nach mehr als eineinhalb Jahren Tätigkeit seinen Abschlussbericht beschlossen. Am 2. August soll er veröffentlicht, Mitte September im Plenum des Landtags beraten werden.
Durch die Befragung von Klimaexperten, Meteorologen, Polizeikräften und anderen Verantwortlichen durch die Abgeordneten war klar geworden: Das Ausmaß der heranrollenden Katastrophe hätte den Zuständigen rechtzeitig klar sein müssen.
So zeigte sich der bekannte Wetterexperte Jörg Kachelmann im Juni 2023 im Mainzer Ausschuss überzeugt, dass die 136 Todesopfer im Ahrtal vermeidbar gewesen wären. Bereits am Vormittag des 14. Juli 2021 sei »zu 100 Prozent« klar gewesen, dass es dort eine »Rekord-Sturzflut« geben werde. Bereits zwei Tage vor der Flutwelle hätten die Behörden Evakuierungen planen und die Bevölkerung vorwarnen können und müssen. Der Kreis Ahrweiler hatte erst am späten Abend des 14. Juli den Katastrophenfall ausgerufen und Evakuierungen angeordnet.
Auch der Hydrologe Jörg Dietrich hatte damals berichtet, dass Daten schon am 13. Juli auf ein extremes Risiko für eine Sturzflut an der oberen Ahr hingedeutet hätten. Einem Gutachten von Dietrich zufolge gab es am 14. Juli »stundenlang« Zeit, die Menschen, zumindest am Unterlauf der Ahr, in Sicherheit zu bringen. Nachmittags seien am Oberlauf Höchststände gemessen worden. Erst sieben Stunden später sei die Flutwelle in Sinzig am Rhein angekommen, wo zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung ums Leben kamen.
Eklatante Versäumnisse sahen er und viele andere Experten sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene. Insofern ist es alles andere als verwunderlich, dass einer Umfrage des Instituts Infratest-Dimap vom 12. Juli zufolge die Mehrheit der Menschen (71 Prozent) in den Flutgebieten unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Landesregierung in den Tagen, Wochen und mittlerweile Jahren nach der Katastrophe sind.
Im Landkreis Ahrweiler sehen die Menschen die Verantwortung demnach bis heute vor allem auf der regionalen Ebene: Fast jeder Zweite (48 Prozent) macht insbesondere die Kreisverwaltung verantwortlich für Versäumnisse, die Landesregierung sieht dort nur ein gutes Viertel (28 Prozent) in der Hauptverantwortung.
Auch beim Wiederaufbau sehen die Befragten in den Kreisen Ahrweiler, Bernkastel-Wittlich, Bitburg-Prüm, Vulkaneifel, Trier-Saarburg und in der Stadt Trier Probleme. Im besonders stark betroffenen Kreis Ahrweiler sagen sogar 72 Prozent der Befragten, die Landesregierung werde ihrer Verantwortung nicht gerecht. Von allen Befragten sagen dies 65 Prozent.
Mehr als die Hälfte (57 Prozent) der im Auftrag des SWR Befragten sagt, Rheinland-Pfalz sei weniger gut oder schlecht auf künftige Katastrophen vorbereitet.
Die Deutsche Bahn sieht sich derweil beim Wiederaufbau der Ahrtal-Strecke im Zeitplan. Insgesamt zerstörte die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sieben Regionalverkehrsstrecken so sehr, dass sie neu gebaut oder umfangreich saniert werden mussten. Die Bahn schätzte den Schaden auf 1,3 Milliarden Euro. Ende 2025 sollten auf der gesamten Ahrtalbahnstrecke wieder Züge fahren, teilte das Unternehmen vergangene Woche mit.
Auf dem 14 Kilometer langen Teilstück müssten 13 neue Brücken gebaut und acht weitere saniert werden. Zudem arbeiteten die Bauteams an sechs neuen Bahnstationen und verlegten kilometerweise Gleise. Besonderes Augenmerk liege auf dem Hochwasserschutz: Stützbauwerken und Durchlässe würden erneuert, Bahndämme wieder hergestellt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht derweil Fortschritte beim Bevölkerungsschutz. Neu eingeführte Warnsysteme hätten »bei den Hochwasserkatastrophen, die wir in diesem Jahr bereits erleben mussten, sehr geholfen, Menschenleben zu retten«, erklärte sie am Freitag. »Dafür kommt es auf schnelle und gezielte Warnungen an, so wie wir sie jetzt mittels Cell Broadcast direkt aufs Handy schicken können.«
Zugleich hob Faeser hervor, dass weiterhin auch über Sirenen, Radio, Warn-Apps und weitere Kanäle gewarnt werde. Die Koordination zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Hilfsorganisationen sei »viel besser geworden«. So unterstütze der Bund die Länder bei Hochwasserlagen mit Bundespolizei und technischem Hilfswerk (THW).
Für die Bundespolizei würden zudem für 1,9 Milliarden Euro neue Transporthubschrauber angeschafft, »die uns auch bei Naturkatastrophen helfen«, kündigte die Ministerin an. Das THW und des Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sollten ausgebaut werden. Das gelte »sowohl für Personal als auch für notwendige Sachmittel«.
Tatsächlich sind die Defizite beim Zivil- und Katastrophenschutz immer noch gravierend. Das Deutsche Rote Kreuz fordert die Bundesregierung auf, mehr Geld für den Zivil- und Katastrophenschutz bereitzustellen. Es brauche auch im Bereich der Katastrophenvorsorge eine Zeitenwende, sagte DRK-Generalsekretär Christian Reuter der »Süddeutschen Zeitung«.
Das DRK dringt laut Reuter seit vielen Jahren darauf, dass 0,5 Prozent des Bundeshaushalts in den Bevölkerungsschutz gesteckt werden. Das wären zwei Milliarden Euro. Im Haushalt für 2024 sind für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe allerdings nur rund 550 Millionen Euro veranschlagt – ein Rückgang um rund zehn Millionen Euro gegenüber 2023. Hinweise auf eine deutliche Zunahme der Mittel für 2025 sehe er aber nicht, so Reuter.
Ein zentrales Projekt für den Bevölkerungsschutz ist seit 2018 der Aufbau von zehn mobilen Zeltstädten, die im Katastrophenfall schnell dorthin transportiert werden können, wo sie benötigt werden. Sie sollen jeweils bis zu 5000 Menschen beherbergen und versorgen können, haben eigene Strom- und Wasserversorgungsmöglichkeiten.
Jedes dieser zehn Module kostet laut DRK 30 Millionen Euro. Bislang ist laut Bericht der »SZ« die Finanzierung erst für ein einziges ganz und für ein weiteres teilweise gesichert.
Erst sieben Stunden, nachdem am Oberlauf der Ahr Höchststände gemessen worden waren, kam die Flutwelle einem Gutachten zufolge in Sinzig am Rhein angekommen, wo zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung ums Leben kamen.
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