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Baumhaus gegen Kiesabbau
Klimaaktivisten haben den »Bannwald« im hessischen Langen besetzt, um seine Rodung zu verhindern
Neun Minuten sind es mit dem Main-Neckar-Ried-Express der Deutschen Bahn vom Frankfurter Hauptbahnhof bis in das Städtchen Langen. Auch die S-Bahn von Frankfurt nach Darmstadt hält hier. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad geht es vom Bahnhof durch ein Wohngebiet mit Ein- und Mehrfamilienhäusern und ein Industriegebiet in den Langener Stadtwald. Vormittags ist es hier ruhig. Vom Bahnhof bis in den Wald begegnen einem kaum Menschen.
Wie ein Schachbrettmuster ziehen sich einzelne Schotterwege schnurgerade durch den Wald. Nach 20 Minuten Fußweg durch den Wald stößt man auf einen unscheinbaren Wegweiser: »Waldbesetzung Banny« steht auf gesägten Brettern, und ein Pfeil nach rechts. In der Ferne sind Bagger und Lkw zu hören.
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Dem Schild folgend stößt man schnell auf eine kleine Lichtung im Wald. Hier sitzen zwei Dutzend Menschen, die debattieren, was als nächstes gebaut werden soll. Eine Wand mit Fenster für die bereits errichtete Plattform auf den Bäumen in circa acht Metern Höhe oder doch lieber erstmal ein neues Kompostklo. Auch sechs Zelte stehen hier. Es gibt türkischen Kaffee, der auf einem Campingkocher in einer Pfanne zubereitet wird. Vieles ist noch im Entstehen begriffen.
Zwei Polizeiautos patrouillieren regelmäßig über die umliegenden Waldwege. Um sie zu stören, legen die Besetzer*innen mittelgroße Äste auf die Schotterstraßen. Ein kleiner Parcours für Radfahrer*innen entsteht. Warum die etwa 25 Menschen hier sind, steht auf vielen bunten Schildern und Transparenten: »Wir kämpfen zusammen für eine bessere Welt. Im Banny wird kein Baum gefällt!«. Oder: »Hohe Plattform, niedriger Dienstgrad. Wälder besetzen ist keine Straftat!«.
Der Bau des Baumhauses und die Besetzung des Langener Stadtwalds haben am vergangenen Samstag begonnen. Das Motto der Aktion, ebenfalls auf einem Transparent zu lesen: »Jetzt Langt’s – Sehring stoppen«. Eine Anwohnerin, die sich das ganze mal ansehen will, fragt, noch etwas unsicher, ob irgendwas gebraucht wird. Sie sagt, durch die vom Unternehmen Sehring vorgenommenen Rodungen würden immer mehr Rehe und Wildschweine auch in die Stadt kommen. Sie finde es nicht richtig, dass der Wald weiter abgeholzt werde.
»In den letzten Jahren fielen bereits 30 Hektar des Waldes Rodungen für den Kies- und Sandabbau der Firma Sehring zum Opfer«, heißt es in einer Pressemitteilung des Bündnisses »Wald statt Asphalt«, das sich anlässlich der Besetzung des Dannenröder Forsts östlich von Marburg gegründet hatte, mit der gegen den Ausbau der Autobahn A49 und damit verbundene Rodungen protestiert wurde.
Die Kiesgrube der Sehring Sand & Kies GmbH & Co. KG bei Langen soll um insgesamt 60 Hektar erweitert werden. »Es kann nicht sein, dass in Zeiten des Waldsterbens und einer sich immer weiter verschärfenden Klimakrise wertvolle und intakte Waldstücke wie der Langener Bannwald gerodet werden«, sagt Feli Möhrenfeld, eine der Besetzer*innen. Der Forst habe einen unersetzlichen Stellenwert für den regionalen Wasserhaushalt, für Artenvielfalt, Klima und Luftreinigung.
Nur in Ausnahmefällen dürften laut hessischem Waldgesetz Rodungen vorgenommen werden, so Möhrenfeld. Trotzdem erhalte Sehring immer wieder Fällgenehmigungen. »Die Fällungen in Langen haben nicht nur Auswirkungen vor Ort, sondern tragen gleichermaßen auch zum globalen Anfeuern der Klimakrise bei.«
Das Unternehmen, eines der wichtigsten der Bauwirtschaft im Rhein-Main-Gebiet, wirbt auf seiner Website, man wirke daran mit, dass »imposante Hochhäuser in den Himmel wachsen«. Nach Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gehen fast zehn Prozent der Kohlendioxidemmissionen in Deutschland auf die Bauwirtschaft zurück. Gerade Beton, für dessen Herstellung Sand und Kies entscheidende Komponenten sind, ist in mehrfacher Hinsicht ein Klimakiller.
Die Gesamtemissionen der Zementindustrie machen bis zu acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Dazu kommt der Schaden, der durch den Rohstoffabbau für Ökosysteme angerichtet wird. Sand ist mengenmäßig der wichtigste Rohstoff und wird, was den damit generierten Umsatz anbelangt, nur von fossilen Brennstoffen übertroffen. Der Soziologe Simon Schaupp begreift den Baustoff Beton in seinem Buch »Stoffwechselpolitik« deshalb als »zentrale stoffliche Manifestation« des Kapitalismus. Zwar haben die Infrastrukturen, die mit Beton und seinen Grundstoffen errichtet werden, einen praktischen Nutzen. Ihr Hauptzweck bestehe aber in der »Absorption von überakkumuliertem Kapital«, meint Schaupp.
In der Umgebung von Langen wird bereits auf einem Areal von 240 Hektar Sand und Kies gewonnen. Fast zynisch wirkt es in Anbetracht der Erderhitzung, wenn Sehring den entstandenen Badesee namens Waldsee als »hessisches Mittelmeer« bewirbt. 200 Meter entfernt vom besetzten Waldstück lässt sich die durch den Kiesabbau verursachte Umweltzerstörung besichtigen. 30 der insgesamt 60 Hektar Wald der sogenannten Südosterweiterung des Kieswerks sind schon gerodet. In Baggern und Lkw sind Menschen am Arbeiten, in der Ferne ist der Frankfurter Airport mit startenden und landenden Flugzeugen auszumachen.
Bereits im Februar gab es eine Sabotage-Aktion im Kieswerk. Bei der Aktion unter dem Titel »Disrupt Sehring« verschafften sich Menschen Zugang zum Gelände, schnitten Förderbänder durch und beschädigten einige Maschinen. »An einem Ort, wo Wald für Kies für Beton und Beton für Megaprojekte abgebaut wurde, wollten einige Mutige ein Zahnrad der Zerstörung zum Stillstand bringen«, hieß es damals in einem Bekennerschreiben. Die Aktivist*innen kritisierten auch, dass Sehring als Hauptzulieferer für den Neubau des Flughafenterminals 3 den »langjährigen Konflikt um Lärmschutz, Luftverschmutzung und Waldzerstörung rund um den Frankfurter Flughafen« befeuere.
Vielleicht deshalb sagt ein vorbeikommender Fahrradfahrer: »Es ist wie ein Traum, es ist wie früher«. Vielleicht erinnert ihn das entstehende Camp an die Proteste und Waldbesetzungen gegen die sogenannte »Startbahn West« des Flughafens, die zu einem der wichtigsten Bezugspunkte der Umweltbewegung ab den 1970er Jahren wurde. Damals beteiligten sich allerdings Tausende Menschen daran.
In der Gegenwart bekommen die Besetzer*innen Besuch vom Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Stefan Naas. Einige Aktivist*innen kennen ihn aus den letzten Jahren, da er öfters, manchmal auch gemeinsam mit »Bild«-Reportern, bei Besetzungen und linken politischen Aktionen auftaucht. »Ich schaue mir gerne alles an«, sagt er bei seiner Stippvisite am Dienstag. Schnell kommt es zu Wortgefechten über Aktionsformen und Eigentum. »Man kann nicht alles umverteilen«, sagt Naas. Das sei ungerecht. »Ihre Zahnbürste können Sie behalten«, sagt ein Aktivist darauf ironisch. »Uns geht es nur um Privatbesitz an Produktionsmitteln«, erklärt er. »Kommis«, also Kommunist*innen, seien sie hier aber nicht, versichert er später.
Den Besetzer*innen zur Seite springt Matthias Rohrbach, Vorsitzender der zweiköpfigen Linksfraktion in der Langener Stadtverordnetenversammlung, mit seinem Dackel Gismo. Er ist aktiv im »Aktionsbündnis Langener Bannwald«, das sich schon seit acht Jahren gegen die Rodungen wehrt. Er verstehe den Widerstand der Bürger*inneninitiative als »Dreiklang« von Parlamentarismus, juristischen Mitteln und Protest auf der Straße, erläutert Rohrbach. Derweil gräbt Gismo ein Loch im Waldboden.
Die juristischen Möglichkeiten scheinen indes ausgeschöpft zu sein: 2022 entschied das Bundesverwaltungsgericht Leipzig endgültig, dass die Schürfgenehmigung von Sehring rechtmäßig ist. Politisch könne der Gemeinderat seine über zehn Jahre alte Entscheidung aber durchaus zurücknehmen, betont Rohrbach. Dafür kämpfe er.
Der Linke-Kommunalpolitiker überbringt die Nachricht, dass die Bürger*initiative eine Solidaritätserklärung mit den Besetzer*innen geschrieben habe. Sie sieht die Besetzung auch als kulturellen Beitrag für das Leben in Langen. Generell sei die Unterstützung im Ort groß.
»Die Entscheidung, den Langener Wald zu roden, ist so alt, dass die Niederschriften dazu nicht mal digital zugänglich sind«, erzählt Rohrbach. Die versprochene Renaturierung werde immer wieder nach hinten verschoben, die Vorgaben dafür stammten aus den 1980er Jahren.« Letztes Jahr habe die Gemeinde das erste Mal das Wasser rationieren müssen, sagt der Linke-Politiker. »Die örtliche Trinkwasserversorgung ist wegen Sehring in Gefahr«. FDP-Mann Naas irritiert das nicht. Er betont, er sei für die die Rodung. Man brauche schließlich »günstige Rohstoffe« in der Region.
Am Montag hatte auch die Ko-Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, im »Banny« vorbeigeschaut. Sie forderte die hessische Landesregierung auf, endlich aufzuhören, »Natur und Umwelt für wirtschaftliche Interessen zu opfern«.
Weder die Stadt Langen noch das Unternehmen Sehring waren gegenüber »nd« zu einer Stellungnahme bereit. Auf der Lichtung lesen die Aktivist*innen einander aktuelle Artikel über die Besetzung vor. Gegenüber der Hessenschau räsonnierte Stefan Sehring, der Geschäftsführer des Kieskonzerns, Unternehmer in Deutschland müssten sich künftig überlegen, ob sie noch in die »Rohstoffbranche« investieren.
Im »Banny« wird währenddessen die Schaffung fester Strukturen geplant. Man will bleiben, schließlich beginnt im Oktober die Rodungssaison. In den kommenden Wochen wollen die Besetzer*innen Workshops und Bürger*innen-Dialoge veranstalten, um mit Interessierten und potenziellen Mitstreiter*innen ins Gespräch zu kommen.
»Es kann nicht sein, dass in Zeiten des Waldsterbens und einer sich verschärfenden Klimakrise wertvolle und intakte Waldstücke wie der Langener Bannwald gerodet werden.«
Feli Möhrenfeld Klimaaktivistin
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