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- 75 Jahre DDR
»Ich frage mich immer, woher sie ihren Optimismus nahmen«
Die Schriftstellerin Regina Scheer über die DDR, die Sozialistin Hertha Gordon-Walcher und verallgemeinernde Geschichtsschreibung
In den meisten Medien ist von der DDR heute nur noch als der »zweiten Diktatur auf deutschem Boden« die Rede. Das ist insofern absurd, als in Westdeutschland 1945 deutlich weniger mit dem Faschismus gebrochen wurde als im Osten. Gleichzeitig gibt es aber auch keinen Grund, die DDR zu verklären: Sie haben eine Biografie über Hertha Gordon-Walcher (1894 bis 1990) geschrieben, die 1928 aus der KPD ausgeschlossen wurde und trotzdem später als Antistalinistin in die DDR ging. Was würde Gordon-Walcher zu 75 Jahren DDR sagen?
Wie sie die DDR-Gründung beurteilte, weiß ich: Sie sah sie mit großer Hoffnung. Eine Standardformulierung der Walchers über die DDR lautete: »unsere gute Sache, die oft in schlechten Händen liegt«. Die Walchers haben sich ja auch in großer Bedrängnis geweigert, in den Westen zu gehen – was ich nicht immer verstanden habe, weil ja auch viele ihrer Freunde und Genossen dort lebten. Willy Brandt, der mit ihnen in der SAP (Sozialistischen Arbeiterpartei) gewesen war, kam im selben Monat wie Jacob aus dem Exil nach Berlin und versuchte sie davon zu überzeugen, dass unter Stalins Herrschaft kein Sozialismus, wie sie ihn sich vorstellten, möglich sein würde. Aber die Walchers entschieden sich für die DDR, auch als ihnen dort die alte Feindseligkeit der Stalinisten begegnete.
In Ihrem Buch »Bittere Brunnen« steht, dass Jacob Walcher sehr enttäuscht über Brandts Entscheidung für die Bundesrepublik gewesen sei.
Es gibt einen Briefwechsel der beiden dazu. Ich denke, Brandt sah einfach klar die Gründungsfehler der SED, den Mangel an Demokratie, den Umgang mit Andersdenkenden. Seine Hoffnung lag bei der Sozialdemokratie. Die Walchers hingegen, die aus den USA kamen, waren überzeugt, dass es im kapitalistischen Westen erst recht keine Entwicklung in ihrem Sinne geben würde und man mit den Widersprüchen umgehen müsse. Obwohl sie 1947 beide nicht mehr jung waren – Jacob war 60, Hertha 53 Jahre alt –, ließen sie sich mit aller Kraft auf die spätere DDR ein. Nur zwei Jahre später gerieten sie dann ins Visier der Kontrollorgane. Ihnen war klar, dass es ums Überleben ging und zwar nicht nur ums politische. Mehrere ihrer ehemaligen Kampfgefährten waren in der Sowjetunion im Gulag verschwunden, auch noch nach dem Krieg. Als 1952 im »Neuen Deutschland« stand, Jacob Walcher sei »ein Feind der Arbeiterklasse«, wussten sie deshalb, was ihnen drohte. Brandt schickte einen Boten, um ihnen mitzuteilen, dass es im Westen Wohnung und Arbeit für sie gebe. Aber sie haben dem Mann abgesagt. Die Walchers hatten natürlich auch starke Unterstützer. Der Präsident Wilhelm Pieck, mit Jacob Walcher 1918 Vorsitzender auf dem Gründungsparteitag der KPD, hielt viel von ihnen. Offen eingesetzt hat er sich nicht für sie, aber vielleicht Schlimmeres verhindert. Und sie waren mit Bertolt Brecht und Helene Weigel befreundet, die damals schon weltberühmt waren.
Regina Scheer, Jahrgang 1950, wurde in Ostberlin geboren und arbeitete als freie Redakteurin unter anderem für die DDR-Studentenzeitung »Forum« und die Literaturzeitung »Temperamente«. Einem breiten Publikum bekannt wurde sie mit ihrem Roman »Machandel«, für den sie 2014 den Mara-Cassens-Preis erhielt und der sehr unterschiedliche Perspektiven auf die Geschichte der DDR intelligent miteinander verwebt. Ihre Biografie der jüdischen Sozialistin Hertha Gordon-Walcher, »Bittere Brunnen«, gewann 2024 den Preis der Leipziger Buchmesse.
Dass die »gute Sache in schlechten Händen« lag, war also keine Erkenntnis der späten DDR.
Nein, das haben sie schon 1947 so formuliert. Jacob Walcher kam einige Monate vor seiner Frau aus den USA zurück, und in einem Brief, den er ihr aus dem zerstörten Berlin schickte, zeigte er sich überzeugt vom Wiederaufbau, vom beginnenden Wandel der Gesellschaft. Da schreibt er in etwa: Unsere gute Sache ist bisweilen in schlechten Händen, aber es bleibt eine gute Sache. Diese Hoffnung hat die beiden nie verlassen. Nach dem 20. Parteitag 1956 wurden sie wie viele wieder in die SED aufgenommen, haben ihre Renten wieder bekommen. Die beiden waren bescheidene Leute, die wenig Geld für sich brauchten und immer anderen etwas abgegeben haben. Aber sie waren raus, kaltgestellt.
Was bedeutet das genau?
Sie haben nie wieder politische Funktionen ausgeübt. Jacob Walcher war jahrzehntelang ein Politiker großen Formats gewesen, ein führender kommunistischer Gewerkschaftler. Hertha hatte durch ihre Arbeit bei Clara Zetkin, für Karl Radek im Kreml und für die Komintern, Einblicke und Erfahrungen wie wenige. Aber in der DDR beschränkte sich Jacobs Leben zunehmend darauf, Eingaben zu verfassen – über langweilige Hochhausfassaden, nicht funktionierende Busverbindungen und so weiter. Allerdings schrieb er unermüdlich politische Erinnerungen und historische Darstellungen, die natürlich niemand druckte. In seiner Wohnparteigruppe galt er, je nach Bedarf, als »Trotzkist« oder »Stalinist«. Die Staatssicherheit hat sie überwacht, aber es kamen ständig Leute zu ihnen, alte Kampfgefährten und junge Leute, vor allem aus dem Berliner Ensemble. Benno Besson, der junge Heiner Müller… Die Verbindung zu bewährten Freunden wie Gerhart Eisler, John Heartfield oder Paul Böttcher riss sowieso nie ab. Sie waren also nicht isoliert. Trotzdem frage ich mich immer, woher sie ihren Optimismus nahmen.
Weil es nichts Besseres gab und die Erfahrung des Faschismus hinter ihnen lag?
Ja, und Jacob hat in den USA ja auch als Dreher gearbeitet. Er sah die Situation der Arbeiter dort, den Rassismus… Das war für sie keine Alternative.
Ihre Biografie Hertha Gordon-Walchers kann man unterschiedlich lesen: Es ist die Lebensgeschichte einer Sozialistin, die auch revolutionäre Kommunistin war, einer antifaschistischen Widerstandskämpferin, die für die DDR eintrat, aber dort wegen ihrer politischen Haltung zumindest anfangs ihr Leben riskierte. Das können die wenigsten heute wahrscheinlich noch richtig einordnen. Sie waren ja viel auf Lesungen. Hat das Publikum in Ost- und Westdeutschland das Buch unterschiedlich begriffen?
Nach Ost und West kann man das nicht eindeutig aufteilen. In Osnabrück und Dortmund hatte ich Veranstaltungen vor einem politisch nicht unbedingt spezialisierten Publikum, und trotzdem waren viele hochinteressiert und aufgeschlossen. Außerdem hatte ich Einladungen aus Gewerkschaften, vor allem von älteren Linken, die das Buch politisch diskutieren wollten. Und dann gab es Lesungen, wo mein Publikum wirklich wenig mit dem Buch anfangen konnte. In der DDR gab es eine offizielle Geschichtsschreibung, die von Filmen wie »Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse« geprägt war. Leute, die damit aufgewachsen sind, konnten die Lebensgeschichte der Walchers überhaupt nicht zuordnen.
Auch Ostdeutsche besitzen ein verkürztes Bild der DDR-Geschichte?
Natürlich ist es unter Westdeutschen bisweilen noch seltsamer. In einem kleinen Kurort kam nach einer Lesung vor nur fünf Zuhörern ein Mann auf mich zu und fragte: »Glauben Sie etwa auch an diese sozialistische Lehre?« Als ich zu erklären begann, was ich unter Sozialismus verstehe, nahm er seine Frau und sagte: »Komm, wir gehen.«
Wie war eigentlich Ihr eigener Werdegang in der DDR?
Ich habe schon als Kind die ganzen sowjetischen Kinderbücher gelesen, Bücher wie Hedda Zinners »Wir fahren nach Moskau« vermittelten mir ein idealisiertes Bild der Sowjetunion. Auch die Erzählungen Tante Herthas haben mich geprägt, die mir gegenüber aber lange die Widersprüche und Konflikte aussparte. Weil ich einen Lyrik-Wettbewerb gewonnen hatte, durfte ich als 17-Jährige mit einer kleinen Gruppe von Musikstudenten zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution 1967 nach Moskau reisen und dort ausgerechnet im Hotel Metropol wohnen. Ich wusste von den Walchers, was das für ein Haus war, und mir hat das sehr viel bedeutet. Mit 17 wollte ich in die Partei eintreten und war dann zwei Jahre Kandidatin.
Bis hierhin klingt es nach einer gradlinigen Biografie.
Ja, aber durch das Studium der Theater- und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität ist mein Weltbild dann doch etwas differenzierter geworden, auch durch die Erfahrung des Einmarsches sowjetischer Truppen 1968 in Prag. Und am Ende der Kandidatur wollte ich gar nicht mehr unbedingt Parteimitglied werden. Die Parteileitung an der Sektion Ästhetik/Kunstwissenschaft hat mich daraufhin beiseite genommen: »Die Fragen, die du dir stellst, haben wir alle. Aber du hast Glück, dass du hier studierst. Hier kannst du über alles sprechen. Du bist als Kandidatin gekommen, wenn du jetzt nicht Mitglied wirst, heißt es, dass wir unseren Erziehungsauftrag nicht erfüllt haben. Wir stehen sowieso unter kritischer Beobachtung. Es geht nicht um Dich.« Einer unserer Dozenten hatte in der DDR jahrelang aus politischen Gründen im Zuchthaus gesessen, ein exzellenter Marxismus-Lehrer. Woanders hätte so jemand nicht lehren können. Und wegen solcher Leute wie ihm und Prof. Wolfgang Heise bin ich dann doch Parteimitglied geworden und bis in die 1990er Jahre geblieben. Was ich sagen will: Ich habe die DDR immer als widerspruchsvolle Gesellschaft erlebt und hatte lange das Gefühl, etwas machen zu können. Meine erste Arbeitsstelle nach dem Studium war die Zeitung »Forum«. Unsere Redaktion wurde wegen »konterrevolutionärer Tendenzen« 1973 aufgelöst. Aber ich habe erlebt, unter Gleichgesinnten eine gute, wahrhaftige Zeitung machen zu können. Mir wurde allmählich klar, dass die Konterrevolution in Teilen des Apparats steckte. Aber ich war doch – wie auch die Walchers – immer überzeugt, dass es eine andere DDR geben könnte.
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Hat sich der Blick alter Kommunisten wie der Walchers auf die DDR mit der Zeit eigentlich verändert?
Das kann ich so allgemein nicht beantworten. Ich habe 1987 zusammen mit der Historikerin Annette Leo, die auch an der Humboldt-Universität studiert, aber mit ihren Professoren ganz andere Erfahrungen gesammelt hatte als ich, lebensgeschichtliche Interviews mit KZ-Überlebenden geführt. Das waren alles Männer, die als junge Leute in Sachsenhausen gesessen hatten – die meisten Parteiarbeiter. Bis dahin war mein Wissen über ihre Biografien sehr holzschnittartig gewesen: Das Wachpersonal waren die Schweine, die Insassen die Helden. Im Prinzip stimmt das natürlich auch. Aber bei diesen 30 Interviews, die sich teilweise über zwei Jahre hinzogen, habe ich noch einmal sehr viel Neues, auch über die DDR-Geschichte, gelernt. Diese alten Männer waren politische Leute, die spürten, dass es mit der DDR zu Ende ging. Sie hatten mit dem Land große Hoffnungen verbunden, einige waren aber inzwischen sehr besorgt und desillusioniert. In meinen Roman »Machandel« schreibe ich über einen ehemaligen Häftling, dessen Freund im Slánský-Prozess hingerichtet wurde.
Slánský war bis 1951 Generalsekretär der tschechischen KP und wurde dann in einem antisemitischen Schauprozess zum Tode verurteilt.
Manche der Männer, die wir interviewten, kannten einen der Hingerichteten, der auch in Sachsenhausen gesessen hatte, sehr gut. Einer kannte ihn so gut, dass er sicher war, dass der kein Feind des Sozialismus gewesen war, im Gegenteil. Trotzdem musste er sich vor der Partei für diese Nähe verantworten. Und dieser Mann, der immer mutig gewesen war, distanzierte sich von dem tschechischen Lagerkameraden. Das hat uns sehr erschüttert. Ihn selbst auch. Wenn heute von »Kommunisten« die Rede ist, denkt man an Walter Ulbricht oder bürokratische Funktionäre, vielleicht an Stalin und seine Vasallen. Aber für mich verbinden sich mit dieser Bezeichnung Leute wie die alten Widerstandskämpfer. Leute wie die Walchers.
Sie haben damals in der Literaturzeitschrift »Temperamente« gearbeitet.
Ich war seit 1976 freiberufliche Autorin und Redakteurin. In den festen journalistischen Strukturen habe ich keinen Platz mehr für mich gesehen. Für »Temperamente« habe ich seit 1980 die Sparte Dokumentarliteratur betreut und mit damals jungen Autoren zusammengearbeitet. Das war zwar nicht gut bezahlt, ich habe nur 400 Mark im Monat verdient, aber ich habe mir als freie Mitarbeiterin den täglichen Frust erspart. Manchmal schrieb ich für den Rundfunk, für die »Weltbühne«, den »Sonntag«… Eigentlich gab es in der DDR gar keine freien Journalisten, aber weil ich auch Liedtexte machte und Gedichte und gelegentlich literarische Texte veröffentlicht hatte, bekam ich die Steuernummer. In den Schriftstellerverband bin ich erst 1989 eingetreten, kurz vor seiner Auflösung.
Sie haben Ihren Roman »Machandel« gerade schon erwähnt. Ein wirklich vielschichtiges Buch: Es geht um die antifaschistischen Ursprünge der DDR und Alltagsfreiheiten, aber auch um Stalinismus, Spießigkeit und Repression. Wie kommt es eigentlich, dass Sie Ihren ersten Roman erst 2014, im Alter von 64 Jahren, veröffentlicht haben?
Na ja, ich habe ja auch davor schon einige Bücher geschrieben. Die Trennung zwischen Belletristik und dokumentarischer Literatur, wie sie in Deutschland gemacht wird, habe ich nie verstanden. 1992 habe ich mit »AHAWAH, das vergessene Haus« mein erstes Buch veröffentlicht – über jüdisches Leben in Berlin-Mitte, für das ich 20 Jahre lang recherchiert hatte. Dann habe ich unter anderem ein Buch über die Liebermanns gemacht; eine Familiengeschichte. »Im Schatten der Sterne« war eine Darstellung der Widerstandsgruppe um Herbert Baum. Diese Geschichten wollte ich nicht fiktionalisieren, da kam es mir auf Genauigkeit und Nachprüfbarkeit im Detail an. Aber was ich in »Machandel« erzählen wollte, konnte ich nur als Roman schreiben.
Es war gleich ein großer Erfolg.
Bei den Lesungen habe ich festgestellt, dass das Buch im Osten und Westen unterschiedlich gelesen wurde. Im Westen meinten Leser zu mir, es sei für sie eine Aufarbeitung ihrer Flüchtlingsgeschichte. Darüber war ich ein bisschen überrascht, denn das Thema taucht zwar in »Machandel« auf, aber steht für mich gar nicht im Mittelpunkt. Andere Leser haben mir erzählt, dass sie kommunistische Funktionäre zwar immer verachtet hätten, aber dass dieser Hans Langner ihnen menschlich sehr nah gekommen sei, sie sehr mit ihm getrauert hätten. Und viele sagten mir, dass sie Elemente ihrer eigenen Familiengeschichte in dem Buch wiedererkannt hätten.
Als in Berlin der Palast der Republik abgerissen war, sprühte jemand in großen Buchstaben auf die Reste des Fundaments: »Die DDR hat es nie gegeben.« Ein sarkastischer Kommentar auf die Geschichtsbereinigung. Wie kann man Jüngeren, die keinerlei eigene Erinnerungen mehr an die DDR haben, diese Widersprüchlichkeiten vermitteln?
Das weiß ich nicht. Ich habe jetzt einige, zum Teil hochgelobte Bücher von jüngeren Autoren über die DDR gelesen, bei denen ich dachte: Die haben nicht erlebt, was die da beschreiben, sie sprechen eine andere Sprache und ihr Bild ist geprägt von den medialen Darstellungen der letzten 30 Jahre. Aber auch das kann man nicht verallgemeinern. Ich glaube daran, dass wahrhaftige künstlerische und literarische Darstellungen immer entstehen und auch bleiben. Wie gesagt, es geht nicht darum, Schwarz und Weiß zu benennen, sondern die Zwischentöne und Schattierungen aufzuzeigen.
Die Argentinierin Lola Arias inszenierte 2016 im Gorki-Theater das Theaterstück »Atlas des Kommunismus«. Darin rekonstruieren Frauen im Alter zwischen 10 und 86 die Geschichte der DDR. Das ist neben »Machandel« für mich das gelungenste Beispiel einer differenzierten DDR-Geschichtsschreibung. Interessant, dass eine Südamerikanerin das besser macht, als viele deutschsprachige Autoren der Gegenwart.
Mir gefiel das Stück auch, überrascht war ich, dass ich mehrere, die darin auftreten, kannte. Monika Zimmering …
…1943 in London im Exil geboren …
… hatte ich in meiner Zeit im Oktoberklub kennengelernt. Mit Ruth Reinecke, die ja immer schon am Gorki-Theater gespielt hat, hatte ich einmal ein Interview gemacht. Salomea Genin … Mich hat es überrascht und erfreut, dass es so viele Überschneidungen zwischen diesem Stück und meinen eigenen Erfahrungen gab. Das lag auch daran, dass die DDR nicht so groß war. Wenn man in Berlin lebte, kannte man sich innerhalb einer Generation. Auch mit Leuten, mit denen man politisch nicht so einverstanden war, gab es Verbindungen. Es wurde viel diskutiert, man kannte und erkannte sich.
Wie sehen Sie im Rückblick eigentlich das Ende der DDR – vor allem die Zeit ab September 1989?
Die Maueröffnung in diesem historischen Moment war eine Zäsur. Jetzt ging es vielen nicht mehr um Veränderungen in der DDR, sondern um eine Wiedervereinigung. Aber die zwei Monate davor, die Zeit der Demonstrationen und Runden Tische – die kommen mir im Nachhinein vor wie Jahre. In diesen Wochen schien alles möglich, es war eine glückliche Zeit. Ich bin anfangs selbst mit Listen für das Neue Forum rumgelaufen und habe Unterschriften gesammelt. Der Gründungsparteitag der PDS war für mich auch ein wichtiges Erlebnis. Da tauchten plötzlich ganz andere Leute auf als die bekannten Funktionäre und versuchten, die Partei zu erneuern. Für einige Zeit hatte ich das Gefühl, es könnte gelingen. Eine Weile war ich noch auf Versammlungen, die bis spät in die Nacht gingen. Ich dachte, dass aus dieser historischen Niederlage etwas Neues entstehen könnte. Aber als es dann um die Listenaufstellung für das Abgeordnetenhaus ging, sah ich plötzlich auch Verhaltensweisen, die mich abstießen. Ich habe mich dann zurückgezogen, was auch persönliche Gründe hatte. Kurz nach der Wiedervereinigung starb mein Lebensgefährte, wenige Wochen später auch Hertha Gordon-Walcher. Meine Zeitungen und Rundfunksender gab es nicht mehr, auch »Temperamente« wurde eingestellt. Ich musste Geld verdienen, die Miete wurde immer teurer, meine Tochter, die gerade in die Schule gekommen war, hatte ihren Vater verloren; die ältere stand im Abitur. Diese Einschnitte, Gefühle von Trauer und Verlust, prägen natürlich meine Erinnerungen an die Wendezeit. Aber die Vergangenheit, wir wissen es, ist nicht vergangen. Was wir täglich erleben, in Deutschland und in der Welt, hat seine Wurzeln auch in dieser Zeit des Systemwechsels. Schon deshalb ist es wichtig, sich zu erinnern.
»Wenn heute von ›Kommunisten‹ die Rede ist, verbinde ich mit der Bezeichnung die alten Widerstandskämpfer. Leute wie die Walchers.«
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