Neues vom Fadenwurm C. elegans

Der Nobelpreis für Medizin geht an die US-Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun

Thomas Perlmann, Sekretär des Nobelkomitees, verkündet die Verleihung des diesjährigen Nobelpreises für Physiologie oder Medizin an Victor Ambros und Gary Ruvkun.
Thomas Perlmann, Sekretär des Nobelkomitees, verkündet die Verleihung des diesjährigen Nobelpreises für Physiologie oder Medizin an Victor Ambros und Gary Ruvkun.

Die Woche der Nobelpreis-Verkündigungen startete am Montag wie üblich mit der Sparte Medizin und Physiologie. Nicht nur am Karolinska-Institut in Stockholm hatten sich Journalisten eingefunden, um die Namen der diesjährigen Preisträger zu erfahren. Auch an der Berliner Charité gab es parallel eine kleine Begleitveranstaltung mit langer Tradition. Eingeladen hatten unter anderem die Charité-Stiftung und die Virchow Foundation. Letztere Stiftung vergibt in diesem Jahr zum dritten Mal einen ebenfalls hoch dotierten Preis – für globale Gesundheit.

Am späten Montagvormittag wurde jedoch erst einmal klar, dass die US-amerikanischen Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun den Nobelpreis für die Entdeckung der microRNA erhalten, eine »bis dahin unbekannte Dimension der Genregulation«. Biologe Ambros, geboren 1953, ist Professor für Naturwissenschaften an der medizinischen Fakultät der University of Massachusetts. Wie auch der Genetiker Ruvkun, der am Massachusetts General Hospital tätig ist und eine Professur an der medizinischen Fakultät von Harvard innehat, forschte er am Fadenwurm Caenorhabditis elegans, der in Entwicklungsbiologie und Genetik als Modellorganismus gilt. Die Arbeiten beider Wissenschaftler zu verschiedenen Mutationen bei C. elegans erfolgten ab Mitte der 80er Jahre zunächst parallel, bis 1993 die Labore Daten austauschten und erkannt wurde, dass zwei Mutationen an unterschiedlichen Gen-Orten sich zueinander komplementär verhielten.

Die folgende Zusammenarbeit führte zur Entdeckung der ersten microRNA. Zunächst nahm man an, dass es sich um eine Besonderheit der Wurmgenetik handelt. Erst im Jahr 2000, mit der Entdeckung einer weiteren regulatorischen (micro-)RNA, die auch in anderen Tieren existiert, wurde das Forschungsfeld etabliert.

MicroRNA sind also spezielle RNA-Moleküle, die eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Gen-Aktivitäten spielen – und nicht zu verwechseln mit mRNA. Bei letzterer »messenger«- oder Boten-RNA handelt es sich um längere Moleküle, die codierende Sequenzen für Proteine enthalten.

Die viel kleinere microRNA hingegen reguliert die Genexpression, indem sie an mRNA bindet und deren Übertragungsfähigkeit hemmt oder deren Abbau fördert. MicroRNA kann zum Beispiel die Expression von etwa 200 verschiedenen mRNA beeinflussen, und damit die Herstellung von Proteinen in Lebewesen entsprechend der in der DNA gespeicherten Informationen.

Vermutlich hat sich microRNA aus bestimmten Genen von Bakterien entwickelt. Während mRNA also als eine Art Blaupause für die Proteinsynthese dient, fungiert microRNA als Regulator, der die Proteinproduktion fein abstimmt und kontrolliert. Dieser Prozess zeigte sich zunehmend komplexer, als ursprünglich angenommen.

Die Forschung der beiden US-Amerikaner lasse laut dem Nobelpreis-Komitee wichtige Rückschlüsse auf die Entwicklung und Funktion von Organismen zu – unter anderem dazu, wie unterschiedliche Gewebseigenschaften genau so »programmiert« werden, wie sie in den entsprechenden Zellen benötigt werden. Denn die in den Chromosomen gespeicherte Erbinformation ist eigentlich in jeder Zelle gleich, obwohl sich etwa Muskel- und Nervenzellen durchaus unterscheiden.

Das Komitee verwies darauf, dass der Mechanismus in der Evolution immer komplexere Organismen ermöglichte. Wenn die microRNA nicht richtig reguliert werden, könne das zum Beispiel zur Entstehung von Krebs beitragen. Dieser Hinweis war aber auch das Äußerste an Vorstellungen dazu, was die Entdeckung für die Medizin bedeuten könne.

Auch in Berlin wurde am Montag die Auffassung geteilt, dass es hier eher um das grundlegende Verständnis von biologischen Vorgängen ging – es in diesem Jahr also eher einen Nobelpreis für Physiologie gab. Die Zweiteilung des Preises war schon im Testament von Alfred Nobel intendiert. Es ging dabei um mehr als die medizinische Physiologie, sondern auch um Gebiete, die heute eher der Biologie oder Biochemie zugeordnet würden. Damit konnten die Preise den Bereich der Lebenswissenschaften allgemein erfassen und den Spielraum für die Auswahl der Preisträger vergrößern.

In der internationalen wie der Berliner Wissenschafts-Community hatte es vor der Verkündung der Nobelpreisträger durchaus andere Favoriten gegeben. An der Spitze standen die Mechanismen um das Hormon GLP1, Grundlage für die Entwicklung der sogenannten Abnehmspritzen. Auch die Car-T-Zell-Therapie wurde hier genannt, eine Krebsimmuntherapie. Bei dem Experten-Tippspiel in Berlin gab es keinen Gewinner. Insofern wurde die ausgelobte Flasche Champagner einvernehmlich im größeren Kreis geteilt und genossen. Und gemeinsam hofften die Wissenschaftler auf größere Überraschungen bei künftigen Nobelpreisen.

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