- Kommentare
- Italien
Ungarn wird übergriffig
Cyrus Salimi-Asl zum Angriff auf die Immunität der Antifaschistin Ilaria Salis
Die rechtsextreme ungarische Regierung macht auch vor Parlamentariern nicht halt, wenn sie politische Gegner ausschalten will. Mit deutscher Amtshilfe wurde den ungarischen Behörden die Antifa-Aktivistin Maja T. ausgeliefert. Ihr Schicksal ist völlig ungewiss, und die deutsche Bundesregierung legt die Hände in den Schoß – wohl wissend, dass die Rechte von Angeklagten vor ungarischen Gerichten nicht garantiert sind, allen voran das Prinzip der Unschuldsvermutung.
Wenn Menschen in Handschellen vor den Richter geschleppt werden, müssten in Berlin und Brüssel alle Alarmglocken klingen. So erging es der italienischen Antifaschistin Ilaria Salis, die im Juni freikam, nachdem sie ins Europaparlament gewählt worden war. Jetzt will die ungarische Regierung der Europaparlamentarierin doch noch ans Leder: Seit dem 10. Oktober liegt ein formaler Antrag vor, ihre Immunität aufzuheben. Ihr drohen nach eigenen Aussagen bis zu 24 Jahre Haft.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Der ungarische Staat legt einen unversöhnlichen Verfolgungswillen an den Tag, der weit über das hinausgeht, was man als verhältnismäßig bezeichnen könnte. Da müht sich ein autoritär regierter Staat ab, all derer habhaft zu werden, die gegen einen jährlichen, betont aggressiven Aufmarsch von Neonazis und Rechtsextremisten aus ganz Europa in Budapest protestieren. Der wahre Rechtsbrecher ist Ungarn, das Faschisten durch seine Hauptstadt marschieren lässt, regelmäßig europäisches Recht ignoriert und Strafgefangene Bedingungen aussetzt, die einem Rechtsstaat widersprechen. Auf Ilaria Salis, wie auch auf andere Angeklagte im Antifa-Komplex, wartet in Budapest kein faires Verfahren. Soviel ist sicher.
Unsicher ist, was aus dem Antrag zur Aufhebung der Immunität wird. Dieser muss erst in einer Kommission hinter verschlossenen Türen behandelt werden, bevor er im Plenum des Europaparlaments zur Abstimmung kommt. Der Weg ist also nicht vorgezeichnet. Aufschlussreich und entscheidend dürfte die Frage sein, wie sich die rechten und konservativen Parteien zu diesem Antrag stellen.
Dass die konservative Europäische Volkspartei (EVP) bei den laufenden Haushaltsberatungen einen Änderungsantrag der AfD mitgetragen hat, der die Auslagerung von Asylverfahren außerhalb der EU-Grenzen fordert, lässt nichts Gutes erwarten. An diesen Positionen wird man auch ablesen können, was für ein Europa im Entstehen ist: ein Kontinent nationaltrunkener Chauvinisten, die nur zufällig in einer supranationalen Organisation zusammenhocken, oder ein demokratisches Europa, das die Rechte seiner Menschen garantiert und offen ist für Neu-Europäer, die von auswärts dazukommen.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.