Berlin: Streit über Abschiebepraxis

Flüchtlingsrat fordert im Innenausschuss eine andere Prioritätensetzung bei den Behörden

Polizist*innen suchen oft ohne Erfolg in Unterkünften nach Geflüchteten, die sie abschieben wollen.
Polizist*innen suchen oft ohne Erfolg in Unterkünften nach Geflüchteten, die sie abschieben wollen.

Trotz vehementer Kritik an der Abschiebepraxis in Berlin durch Organisationen wie den Flüchtlingsrat halten CDU und SPD an ihrem Ziel fest, mehr Menschen als bislang zur Ausreise zu zwingen. Bereits im September legte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) einen Fünf-Punkte-Plan vor, in dem sie unter anderem in Erwägung zieht, Familientrennungen bei Abschiebungen zu ermöglichen und Menschen in Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam zu nehmen. Nun diskutierten Abgeordnete sowie Vertreter*innen von Geflüchtetenorganisationen und Polizei am Montag in einer Sitzung des Innenausschusses über die aktuelle Abschiebepraxis in Berlin.

Zuvor hatte bereits die Gewerkschaft der Polizei (GDP) Berlin ihre Forderung wiederholt, dass die Anwesenheit von Geflüchteten in Unterkünften täglich erfasst werden soll, damit Polizist*innen diese zu geplanten Abschiebungen auch dort vorfänden. »Leute sind nicht an den bekannten Orten, weil sie gewarnt werden«, sagt GDP-Landesvorsitzender Stephan Weh zu den Abgeordneten.

Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat kritisiert die Forderung angesichts der bereits bestehenden Überlastung der Behörden. So dauere es beispielsweise zu lange, um überhaupt eine behördliche Anmeldung für Geflüchtete in Berlin zu gewährleisten. »Die Behörden schaffen es nicht mal, ihren regulären Diensten für die Bevölkerung nachzukommen.« Ebenso wie das Landesamt für Einwanderung spreche auch die Berliner Polizei von einer dünnen Personaldecke und Kapazitätsgrenzen. Deshalb sollten aus Barnickels Sicht die begrenzten Kapazitäten nicht auf die Durchführung von Abschiebungen fokussiert werden. »Da werden Prioritäten in die falsche Richtung verschoben.«

Barnickel erzählt von Einzelfällen, in denen humanitäre Standards bei Abschiebungen nicht eingehalten werden. Etwa habe man eine Mutter abschieben wollen, kurz nachdem ihr Kind nach der Geburt verstorben war, obwohl noch keine Beerdigung stattgefunden hatte und im Krankenhaus eine gesundheitliche Gefährdung der Mutter festgestellt wurde, sagt sie. »Die Familie ist nur nicht abgeschoben worden, weil sie zu dem Zeitpunkt bei der Beerdigung des Kindes war.«

Innensenatorin Spranger hält Geschichten wie diese für Einzelfälle. »In Berlin wird eine humanitäre, aber sehr klare konsequente Abschiebepraxis verfolgt«, sagt sie. Spranger möchte bei Abschiebungen die Weisungen ihrer Verwaltung an die Behörden überdenken, die Familientrennungen bislang bei Abschiebungen untersagen. Ihrer Wahrnehmung nach nutzten geflüchtete Familien diese Weisung aus, um sich vor einer anstehenden Abschiebung in getrennten Räumen aufzuhalten und so ihrem Schicksal zu entgehen.

Sollte die Weisung wie geplant geändert werden, werde dennoch auch zukünftig sichergestellt, dass Kinder in Obhut eines Elternteils blieben, sagt Spranger. Der Flüchtlingsrat berichtete bereits regelmäßig über stattfindende Familientrennungen bei Abschiebungen, auch Emily Barnickel berichtet in der Ausschusssitzung von einem solchen Fall.

Ein weiterer Streitpunkt in der Sitzung des Innenausschusses ist die Debatte über die forcierte Abschiebung von »vollziehbar ausreisepflichtigen« Personen, die Straftaten begangen haben sollen. Spranger wiederholt mehrmals, dass die Priorität bei Abschiebungen bei »Straftätern und Gefährdern« liege. Den Abgeordneten der Linken- und der Grünen-Fraktion fehlt allerdings eine Einordnung der Schwere dieser verübten Straftaten. »Welche Regeln meinen Sie, an die Menschen sich nicht anpassen? Drogenkonsum, weil sie traumatisiert vom Krieg sind?«, fragt Ferat Koçak, fluchtpolitischer Sprecher der Linksfraktion. »Fahren ohne Ticket, Diebstahl von Lebensmitteln, weil das Amt geflüchteten Menschen über Monate hinweg nichts zahlt?«

»Da werden Prioritäten in die falsche Richtung verschoben.«

Emily Barnickel Flüchtlingsrat

Bislang habe die Senatsinnenverwaltung auch auf parlamentarische Anfragen hin nie Details zu den begangenen Straftaten genannt. Die Frage beschäftigt auch Jian Omar, migrationspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. »Sie müssen uns die Möglichkeit geben, Ihre Arbeit zu kontrollieren, das ist schließlich unsere Aufgabe«, sagt er zu Innensenatorin Spranger. »Wir kriegen oft die Antwort auf unsere parlamentarischen Anfragen bezüglich Abschiebungen, dass Sie die Daten nicht erfassen, wenn es um die Schwere von Straftaten geht.«

Bei der Debatte um schnellere Abschiebungen geht es oft um Geflüchtete aus Georgien und Moldau, beide Länder sind Ende des vergangenen Jahres zu sicheren Herkunftsstaaten im Sinne des Asylrechts erklärt worden. Sowohl Koçak als auch Barnickel vom Flüchtlingsrat widersprechen dieser Auffassung. Koçak weist außerdem darauf hin, dass vor allem Roma nach Moldau abgeschoben würden, wo sie starker Diskrimierung ausgesetzt seien. Nach der massenhaften Verfolgung und Ermordung von Roma im Nationalsozialismus sollte es eigentlich »Staatsräson sein, Roma nicht abzuschieben«, sagt Koçak.

Diesen Punkt bekräftigt Milan Raković vom Rroma-Informations-Centrum. »Deutschland hat eine besondere Verantwortung gegenüber Roma«, sagt er vor den Abgeordneten im Innenausschuss. Raković berichtet davon, dass in Moldau Angehörige der Roma-Minderheit starkem Antiziganismus, auch von Sachbearbeiter*innen in den Behörden, ausgesetzt sind. »Ihre Papiere werden dann einfach geschreddert.« Aber auch in Deutschland zeige die öffentliche Stigmatisierung von Roma als »Kriminelle« und der Umgang mit dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Europa im Tiergarten, wie weit entfernt die Roma-Community von der Mehrheitsgesellschaft und von einem »humanitären Dialog« sei.

Raković fordert die Innensenatorin außerdem auf, einen Platz in der Härtefallkommission für die Roma-Verbände zu schaffen. Die Härtefallkommission kann Abschiebungen von Geflüchteten verhindern, wenn diese für einen Verbleib in Berlin »humanitäre oder persönliche Gründe« geltend machen können. Sie besteht aus Vertreter*innen von Senat, Wohlfahrtverbänden, Kirchen, Flüchtlingsrat und Migrationsrat. Ferat Koçak und Emily Barnickel bemerken in der Ausschusssitzung positiv, dass unter Iris Spranger zuletzt mehr Härtefallanträge von der Kommission angenommen worden seien als in vergangenen Zeiten. Dass Roma in dem Gremium keine eigene Vertretung haben, möchte Raković ändern. »Wir müssen immer bei anderen betteln«, sagt er. Innensenatorin Spranger konnte lediglich zusagen, sich die Sache anzuschauen, und wollte darüber hinaus keine Versprechungen machen.

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