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Alle wollten Hitler glauben

»Der Diktator und die Journalisten« – eine Bestandsaufnahme des Medienforschers Lutz Hachmeister

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 5 Min.
Diebisch freut sich der Diktator. Die Journaille berichtet brav über ihn.
Diebisch freut sich der Diktator. Die Journaille berichtet brav über ihn.

Interviews mit Diktatoren oder Autokraten seien weitgehend sinnlos, behauptet der Medienforscher Lutz Hachmeister mit Blick auch in die Gegenwart. Denn solche Interviews dienten im Allgemeinen der Propaganda des Diktators oder Autokraten, Journalisten verkämen zu Stichwortgebern.

Hachmeister hat nun eine Übersicht über rund hundert Interviews mit Adolf Hitler aus den Jahren 1923 bis 1944 vorgelegt, im Untertitel: »Der Diktator und die Journalisten«. Damit ist die Stoßrichtung angezeigt.

Vor dem Putschversuch von 1923 erschien in den USA ein erstes längeres Interview mit Hitler, geführt von dem prominenten Deutsch-Amerikaner George Sylvester Viereck, einem Bestsellerautor, Publizisten und Esoteriker. Einen Monat vor dem misslungenen Bierkellerputsch in München (und natürlich auch vor Hitlers Buch »Mein Kampf« von 1925) verhehlt Hitler Anfang Oktober 1923 seine Absichten weniger als später. In seinem Antisemitismus sind mörderische Töne nicht zu überhören. »Wir haben es hier mit der Frage Jude und Arier zu tun«, sagt Hitler. »Die Mischrasse stirbt aus; sie ist ein wertloses Produkt. (…) Wir brauchen gewaltige Korrektive, starke Arznei, vielleicht Amputation.« Diese Menschenverachtung, dieser Vernichtungswille mündet 20 Jahre später im Holocaust.

So deutlich wird Hitler später nicht mehr. Fragen zum Antisemitismus bleiben in Hachmeisters Buch ohnehin die Ausnahme. Das hat einen Grund: Viele Auslandsjournalisten begnügten sich mit der Sensation einer Exklusiv-Begegnung mit einem angesagten deutschen Politiker und späteren Diktator, sie ließen ihn reden, ohne nachzufragen, verbreiteten ihr Gespräch als Clou. So gelingt Propaganda.

»Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet.«

Gustave Le Bon

Das erste (wenn auch kurze) Hitler-Interview in einer französischen Zeitung erschien am 19. März 1932 in »L’Œuvre« (»Das Werk«), einer linken Publikation. Es war allerdings kein klassisches Interview mit Fragen und Antworten, schreibt Hachmeister, sondern eher ein Monolog. Darin gibt sich Hitler als Friedensfreund: »Der Frieden in Europa, ich sage es noch einmal, wird nicht gestört werden, es sei denn ein Land will das. Wir werden das nicht sein.«

Interessant in diesem Buch sind die Einblicke in die internationale Journalistenszene, die Kurzbiografien, Eitelkeiten der Branche, Verführbarkeit und Karrieresucht. Dazu veranschaulicht die Auswertung einer Reihe bisher weitgehend unterbelichteter Memoirenliteratur skurrile Begegnungen mit einem Massenmörder und Kriegsverbrecher. Zur Einstellung französischer Journalisten fasst Hachmeister zusammen: »Die wenigen Interviewer verhielten sich zuvorkommend gegenüber Hitler. Vielleicht war es eine gewisse Complaisance oder eine Faszination, die er auf Journalisten aus dem Ausland ausübte. Oder zunehmende Rechtstendenzen spielten eine Rolle. Oder eine Selbsttäuschung, denn keiner wollte Krieg; alle wollten Hitler glauben, wenn er von Frieden sprach.«

Vielfach werden in den Berichten und Vorbemerkungen zu den Interviews die Umgebung, die Räumlichkeiten und die Physiognomie Hitlers beschrieben. Beispielsweise von Dorothy Thompson, die gemeinhin als US-Veteranin der Deutschland-Berichterstattung bezeichnet wird. Von ihr stammt das bekannteste aller Hitler-Interviews. Ende 1931 oder Anfang 1932 habe die Begegnung mit ihm stattgefunden, vermutet Hachmeister. Thompson veröffentlichte ihren Text im März 1932 zunächst als Reportage unter dem Titel »I saw Hitler!«, die sie noch im selben Jahr zu einem bebilderten Buch ausweitete, jetzt neu ediert.

Auch Thompson, mit Ende 30 eine erfahrene und bekannte Journalistin, ließ sich von Hitler täuschen, wenn auch etwas anders als andere. Als sie in den Salon zu Hitler vorgelassen wurde, so schreibt sie, sei sie noch der festen Überzeugung gewesen, »dem künftigen Diktator von Deutschland zu begegnen«. Doch »keine fünfzig Sekunden später war ich ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war«. Denn sie bemerkte »die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes (…): Er ist formlos, fast gesichtslos, ein Mann, dessen Miene einer Karikatur gleicht, ein Mann, dessen Körperbau knorpelig wirkt, ohne Knochen. Er ist belanglos und redselig, von schlechter Haltung und unsicher. Er ist die Verkörperung des kleinen Mannes.« Auch sie habe inhaltlich wenig aus Hitler herausholen können, urteilt Hachmeister.

Insgesamt bringt diese aufwendig recherchierte Bestandsaufnahme des Medienforschers nicht unbedingt neue Erkenntnisse für die Hitler-Forschung, dafür umso mehr über die Journalistenbranche, höchst aufschlussreiche und wenig schmeichelhafte. Es herrschte viel Opportunismus und Spökenkiekerei, Irrtümer, Naivität und Dummheit verstellten die Sicht, Servilität und Kollaboration waren verbreitet.

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Wiederholt warnt Hachmeister in seinem Buch generell vor Interviews mit Diktatoren oder Autokraten, auch mit Blick in die Gegenwart. In seinem Vorwort zitiert er den französischen Mediziner und Soziologen Gustave Le Bon aus dessen »Psychologie des foules« von 1895. Darin liest man über Massenpsychologie und die Macht von Täuschungen: »Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen mißfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer.«

Lutz Hachmeister starb Ende August dieses Jahres im Alter von nur 64 Jahren. So ist das dieser Tage auf den Markt gelangende Buch zu seinem publizistischen Testament geworden. Es sollte Pflichtlektüre für die Medienbranche sein. Journalisten der Gegenwart seien gewarnt und sollten ihre tägliche Arbeit stets selbstkritisch hinterfragen. Agitatoren, Autokraten und Diktatoren sind weltweit auf dem Vormarsch, sie benötigen die Öffentlichkeit, um ihre Propaganda zu verbreiten – und sind daher meistens sehr gern zu Interviews bereit.

Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten. Kiepenheuer & Witsch, 384 S., geb., 28 €; ab 7. November in den Buchhandlungen.
Dorothy Thompson: Ich traf Hitler! Eine Bild-Reportage. DVB, 276 S., geb., 26 €.

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