Selbsthilfe und Beistand

Zum Welt-Aids-Tag: Wie in Berlin Unterstützung für Menschen aus der Ukraine organisiert wird

Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind auch HIV-positive Menschen, die regelmäßig Medikamente benötigen.
Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind auch HIV-positive Menschen, die regelmäßig Medikamente benötigen.

Die Berliner Aids-Hilfe sitzt in einem Bürohaus im Bezirk Schöneberg, nahe der traditionellen Lesben- und Schwulenszene. Dort arbeitet auch Roman Ledkov. Als Referent für Strafvollzug und Substanzkonsum gehört er zum hauptamtlichen Team. Zwischen einer Sitzung und einem Kliententermin nimmt er sich Zeit, seine Arbeit vorzustellen.

Der freundliche 49-Jährige erzählt von seinem Weg – aus Russland nach Berlin. Dabei ist er mit seinem Deutsch noch nicht zufrieden, ab und zu schaut er im Smartphone-Übersetzer ein Wort nach. Seit 2004 arbeitet Ledkov zum Thema HIV und Aids, unter anderem als Streetworker, zunächst in Russland. Ursprünglich hatte er Religionswissenschaften studiert, aber schon immer im Sozialbereich gearbeitet. Konkret kam er über eine kirchliche Einrichtung zu den Problemen mit HIV und Aids, auch zu dem in Russland oft damit verbundenen Drogenkonsum. Als er noch in der sibirischen Region Krasnojarsk lebte, wurde er aktives Mitglied von Enpud (Eurasian Network of People Who Use Drugs). Ziel dieses Netzwerks war und ist es, Menschen zu unterstützen, die Drogen nehmen. Unter anderem als Koordinator von Enpud hatte er Kontakte nach Westeuropa, und nahm hier auch an Fortbildungen teil.

»Mit einer erfolgreichen Substitution kann es zurück in ein normales Leben gehen.«

Roman Ledkov
Berater bei der Berliner Aids-Hilfe

Es war schon länger die Idee von Ledkov und seiner Frau, nach Deutschland auszuwandern. Kontakte nach Berlin hatten sie seit 2018, er lernte Deutsch an einem Goethe-Institut. Im März 2022, kurz nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine, dachten beide: Wann, wenn nicht jetzt? Zugleich die Sorge: »Wir befürchteten, dass man uns an der Ausreise hindern würde.«

Dann ging es sehr schnell. »Am 8. März 2022 waren wir in Berlin. Und ab dem 10. März war ich, bereits beratend und begleitend, am Berliner Hauptbahnhof. Täglich kamen bis zu fünf Menschen neu hier an, die Hilfe brauchten. Sie waren plötzlich ohne Behandlung, die sie in der Ukraine noch erhalten konnten«, erzählt Ledkov. Zur Erinnerung: Für Heroinabhängige ist eine Substitutionstherapie, zum Beispiel mit Methadon, ein bewährtes Hilfsangebot. Immer wieder waren unter den Neuankömmlingen Personen mit Entzugssymptomen. »Sie hatten auch Probleme mit ihrem ›Umzug‹ nach Deutschland, die sich dann für sie in Massenunterkünften wie Berlin-Tegel fortsetzten.« Als Berater findet er auch deshalb guten Kontakt, weil er selbst HIV-positiv ist – und in Russland ebenfalls eine Haftstrafe absaß.

Eine Freundin von Roman Ledkov hatte 2017 in Berlin mit Unterstützung der Berliner Aids-Hilfe eine Selbsthilfegruppe gegründet, die sich seit sieben Jahren regelmäßig samstags trifft. Ledkov staunt über die Ausdauer der Teilnehmer. »Diese Gruppe ist vor allem für die wichtig, die neu nach Deutschland kommen. Sie müssen lernen, wie hier kommuniziert wird, wie das Gesundheitssystem funktioniert, wie sie zu einer Krankenversicherung kommen. Vor allem für Menschen aus der Ostukraine sind das ganz neue Erfahrungen, die sie in der Gruppe auch reflektieren können.« Auch darüber hinaus hilft sich die Community selbst: Einige Jüngere haben blitzschnell Deutsch gelernt und verstehen, wie das System hier funktioniert. Sie begleiten etwa Neuankömmlinge ehrenamtlich zu Ämtern oder zu Arztpraxen.

Die Vorgeschichten von Substanzgebrauch in Russland und der Ukraine sind etwa gleich, erzählt Ledkov. Typische Konsummuster sind bei den Jahrgängen von 1970 bis 1990 Opiode und Crack, bei jeweils der Hälfte kommt entweder Haschisch oder Alkohol dazu. Heroin sei in Russland einfacher zu bekommen. Jüngere Menschen nähmen eher synthetische Drogen oder auch Fentanyl – für die es keine Ersatztherapien gibt.

Unterschiedlich sind in diesen Herkunftsländern aber die Communities. »In der Ukraine sind diese groß und es gibt funktionierende Netzwerke, in Russland hingegen nicht. Die Unterstützungsmöglichkeiten sind in der Ukraine mindestens zehnmal besser als in Russland.« In der Ukraine erhalten bis zu 15 000 Menschen eine Substitutionstherapie, in Russland gibt es diese nicht. Aus sozialistischen Zeiten hat sich ein System erhalten, das Drogenabhängige oder HIV-/Aids-Patienten über spezialisierte Zentren versorgt. Auch hierbei müssen sich die Neuankömmlinge in Deutschland umorientieren. Versorgt wird in Arztpraxen, eine Krankenversicherung ist Voraussetzung. Denn die Zahl der Praxen, die für Menschen ohne Papiere da sind, nimmt ab.

Ledkovs typische Klienten sind im Schnitt 45 Jahre, substitutiert, HIV-positiv, viele haben Hepatitis C. Er trifft sie im Strafvollzug, wenn sie dort einen Arzttermin haben und bei der Übersetzung Hilfe brauchen. Nach der Entlassung muss zum Beispiel ein Suchtmediziner gefunden werden. Andere kommen in die psychosoziale Beratung, mit manchen spricht er auf der Straße. Er zögert einen Moment, sucht im Google-Übersetzer, findet »Mund-Propaganda« und muss lachen. Denn diese Art Weiterempfehlung funktioniert gut: Menschen rufen ihn an oder schreiben Mails, sogar aus der Ukraine.

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Für die Zukunft wünscht sich der Diplom-Pädagoge, dass das Leben seiner Klienten auf der Straße transparenter wird, auch in sozialen Netzwerken. Die Community sei kreativ, vielleicht könnte es kleine Theaterstücke geben, etwa zur HIV-Prävention.

Außerdem möchte Roman Ledkov gerne Minijobs für einige Jüngere aus der ukrainischen Community. Sie könnten mit kleinen Aufgaben lernen, Verantwortung zu übernehmen, etwa Klienten zu Terminen begleiten und ihnen den Nahverkehr in Berlin erklären. Ein weiteres Wunschprojekt wäre ein mobiler Testpunkt für HIV. So ein Fahrzeug könnte regelmäßig in der Nähe großer Flüchtlingsunterkünfte stehen. Ledkov ist auch überzeugt, dass mit einer erfolgreichen Substitution Menschen zurück in ein »normales« Leben finden können. Gemeinsame Unternehmungen Betroffener können ebenfalls dazu beitragen, dass sie ihrem Leben wieder eine gute Seite abgewinnen.

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