Erneuerung der SPD? Fehlanzeige

Lars Klingbeil mag frischer wirken als Olaf Scholz, doch er verkörpert exakt den gegenwärtigen Zustand der Partei

Verstehen sich (zu) gut: Der künftige KanzlerFriedrich Merz (r) und der SPD-Vorsitzende und designierte Vizekanzler Lars Klingbeil
Verstehen sich (zu) gut: Der künftige KanzlerFriedrich Merz (r) und der SPD-Vorsitzende und designierte Vizekanzler Lars Klingbeil

Bei der Bundestagswahl landete die SPD bei 16,4 Prozent. Umso erstaunlicher, dass die drängendste Frage, die aus dieser Zahl resultiert, seither nicht gestellt wird: Wie will diese einstmals große Volkspartei wieder wählbar werden und welche Entwicklungen sind schuld daran, dass das »S« in SPD von den Menschen nicht mehr wahrgenommen wird?

Stattdessen: Wochenlange Wasserstandsmeldungen bei den Koalitionsverhandlungen und immer wieder: Saskia Esken. Die weltbewegende Frage, ob sie Ministerin wird, ist seit Montag endlich beantwortet. Die Spekulationen, ob sie Parteivorsitzende bleibt, werden weitergehen. Gerne mit dem Subtext, irgendeine Konsequenz müsse die Wahlniederlage ja nun einmal haben. Als wäre nicht auch Lars Klingbeil für diese Wahlschlappe mit verantwortlich.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Zugegeben wäre Esken auch für mich kein Grund, SPD zu wählen. Das relativiert sich allerdings dadurch, dass mir auch sonst kein Grund einfällt, SPD zu wählen. Als GroKo-Kritikerin gewählt und als meinungslose Parteisoldatin geendet, steht Esken jedenfalls genauso für das Elend ihrer Partei wie Klingbeil. Zudem hat die SPD seit Schröders innerparteilich nie konsequent aufgearbeiteter Agenda fast eine halbe Million Mitglieder verloren. Wahlkampfstände sieht man kaum noch – auch weil die verbliebenen Mitglieder Besseres zu tun haben, als für eine Partei zu werben, die sich in den vergangenen 20 Jahren immer wieder in große Koalitionen geflüchtet hat, in denen sie dann unsichtbar blieb.

Ab 2022 stellte man dann selbst den Regierungschef. Das jedoch hat niemand mitbekommen. Immerhin, den sprachunfähigen Scholz sind die Sozialdemokraten nun los. Die Frage, was falsch lief, dass ein Mann wie er, der noch vor 20 Jahren allenfalls als fleißiger Staatssekretär im Justizministerium gehandelt worden wäre, Kanzler werden konnte, scheint sie sich allerdings nicht zu stellen.

Klingbeil mag frischer und jugendlicher wirken als Scholz, doch als Vorsitzender taugt er nur insofern, als er exakt den gegenwärtigen Zustand der Partei verkörpert. Selbst Sozialdemokraten können sich an keinen Gedanken oder gar einen Standpunkt von Klingbeil erinnern, der ihnen im Gedächtnis geblieben wäre. Für jemanden, der die SPD erneuern soll, ist das ein bisschen wenig. Was Klingbeil indes beherrscht, sind die männlichen Techniken der Macht. Noch in der Wahlnacht griff er nach dem Fraktionsvorsitz. Damit Partei und Fraktion mit einer, nämlich seiner Stimme, sprechen. Nun hat Klingbeil ein Team zusammengestellt, das seine Karriere allein ihm verdankt. Erneuerung mit einem, der bleibt, ist natürlich vor allem für dessen eigene Machtbasis günstig.

Nun ist er dabei, seine Mit-Vorsitzende kaltzustellen. Erst am Sonntag, als sie längst nicht mehr zu halten gewesen sein dürfte, ließ er via »Bild« erklären, die Debatte, die er seit Wochen mit einem einzigen klaren Satz hätte beenden können, sei »beschämend«. Schon Stunden nach der verlorenen Bundestagswahl hatte er seinen eigenen Machtanspruch mit einem Seitenhieb auf die Ko-Vorsitzende begründet, indem er auf sein eigenes Erststimmenergebnis von 41 Prozent verwies. Damit fiel der Blick automatisch auf Esken, die in Calw nur 12,9 Prozent geholt hatte. Das allerdings ist lächerlich. Calw liegt dort, wo selbst Baden-Württemberg besonders konservativ ist. Die Gegend ist so schwarz, dass auch Willy Brandt dort nicht über 15 Prozent kommen würde.

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