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Klingbeils neuer Geist
Wolfgang Hübner über die Rolle der SPD in der künftigen Koalition
Als die SPD mit Olaf Scholz 2021 überraschend die Bundestagswahl gewann, galt der damalige Generalsekretär Lars Klingbeil als das Wahlkampfgenie seiner Partei. Dreieinhalb Jahre später, nach einer dramatischen Niederlage, inszeniert er sich als Macher, von dem die Misere der SPD abperlt wie der Regen von einer frisch polierten Autoscheibe. Klingbeil hat seine Zeit als Parteichef seit Ende 2021 genutzt, um seine Positionen und seinen Machtbereich abzusichern.
Gravierender ist indessen, wohin er die SPD inhaltlich führt. Die »Verantwortung für Deutschland« – so der Titel des Koalitionsvertrags von Union und SPD – gebietet es den Sozialdemokraten offenbar, Merz und Söder den Weg für ihr rechtskonservatives Projekt zu ebnen. Zwar möchte die SPD die Hartz-Ära lieber vergessen als aufarbeiten, trägt jetzt aber den Rückbau des Bürgergelds in ein verschärftes Schikane- und Druckinstrument gegen Langzeitarbeitslose mit. Bei den uferlosen Milliarden für Rüstung und Bundeswehr ist Klingbeils Partei sowieso dabei und hat es sogar fertiggebracht, mit Militärminister Pistorius einen Publikumsliebling aufzubauen – der im Gegensatz zu anderen Parteifreunden im Amt bleiben darf. Und bei der Migrations- und Asylpolitik hat die SPD der Union Verschärfungen zugestanden, die Merz noch im Januar erfolglos mit AfD, FDP und BSW durchsetzen wollte. Das relativiert, ja konterkariert alle Bekenntnisse aus den letzten Tagen nach der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextremistisch«, man müsse diese Partei vor allem inhaltlich bekämpfen.
In dem Arbeiterlied »Wann wir schreiten Seit’ an Seit’«, das jahrzehntelang zum Abschluss von SPD-Parteitagen gesungen wurde, heißt es ganz am nur wenig bekannten Ende: »Mit uns zieht ein neuer Geist.« Klingbeils neuer Geist ist einer, der den Konservativen in Deutschland sehr gefallen wird. Sozialdemokratische Verantwortung für Deutschland sähe anders aus.
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