»Die Autogramme kommen in Tausenderkisten«

Tobias Wimbauer handelt mit Autogrammen, den neuen Außenminister hat er 75-mal im Angebot

Ein Autogramm von Friedrich Merz aus Wimbauers Bestand.
Ein Autogramm von Friedrich Merz aus Wimbauers Bestand.

Herr Wimbauer, wie kommt man an 75 Autogramme vom neuen Außenminister Johann Wadephul?

Das klingt erst mal viel, aber eingedenk der über 200 000 anderen Autogramme, die wir vorrätig haben, relativiert es sich. Wir kaufen ständig Sammlungen und Nachlässe an und bereiten sie für den Wiederverkauf auf. Wadephul scheint jedenfalls ein gewissenhafter Beantworter von Sammlerpost zu sein.

Sie kaufen Kisten mit 1000 Autogrammen. Wissen Sie denn, was da drin ist oder ist das eine Überraschung?

Tausenderkisten sind eine der üblichen Grössenordnungen für Ankäufe. Wir kooperieren mit verschiedenen Sammlern und Zwischenhändlern, es ist meist grob vorsortiert (»zweitausend Fussballer, dreitausend MdBs, 500 Radio-Moderator*innen, 1000 TV-Serien-Darsteller*innen, 1500 Wintersport« usw.). Aber das ist sozusagen die Massenware, reines Business, spannender sind Einzelstücke oder kleine Sammlungen. Bei einer Kiste aktueller Landespolitiker hüpft das Herz nicht. Einen gewidmeten Robert J. Oppenheimer oder einen Brief von Ulrike Meinhof zu finden, ist sehr viel aufregender und das, was den eigentlichen Reiz des Autografenhandelns und -Sammelns ausmacht.

Interview
Tobias Wimbauer

Tobias Wimbauer (48) und seine Familie betreiben seit fast 25 Jahren ein Versandantiquariat und haben 500 000 Bücher und Autografen vorrätig. Auf Facebook bittet Wimbauer seine Freund*innen regelmäßig um Hilfe bei rätselhaften Autogrammen. Außerdem berichtet er über den alltäglichen Kundenkontakt eines Antiquars.

Wie zufrieden sind Sie als Autogrammhändler mit der neuen Ministerriege?

Mit ein, zwei Ausnahmen haben wir alle da, zum Teil dutzendfach. Aus Händlersicht ist das also super. Als politisch denkender Mensch schüttele ich über so manche Personalie den Kopf. Und ich würde für einen Kanzler Habeck sofort gern auf alle CDU-Verkaufsautogramme verzichten, echt. Für Sammler ist es wichtig, dass wir die dahaben. Jetzt ist der Ansturm auf die neuen Minister groß, da wird es so schnell keine positiv beantworteten Autogrammanfragen geben, oder es werden Drucke oder Autopens (Unterschriftenautomaten) verschickt, die beide uninteressant sind. Da ist es gut, wenn man als Händler genügend Originale aus Abgeordnetenzeit hat, um die Sammler bedienen zu können. Es gibt recht viele Sammler, die Landes- oder Bundeskabinette auf Vollständigkeit sammeln, und die dann nicht abwarten wollen, bis der erfolglose erste Ansturm vorbei ist.

Sprechen wir über die Preisfindung. Schauen Sie da auf Politiker-Rankings oder wie finden Sie die Preise?

Wir haben für unbeschädigte Autogramme einen Mindestpreis von 10 Euro, der die Fixkosten, eine bombenfeste Verpackung usw. gewährleistet. Wer also viel signiert, oder ein Hinterbänkler ohne Aufsehenerregen ist, der bleibt bei 10 Euro. Bei Staatssekretären und Ministern machen wir üblicherweise 15 Euro und ansonsten hängt es von Angebot und Nachfrage ab. Ein Bundespräsident kostet natürlich mehr als ein Landtagsabgeordneter, allzumal, wenn er wie Gauck oder Steinmeier nur noch Autopens verschickt und das Angebot von Originalen relativ gering ist.

Heidi Reichinnek kostet bei ihnen 25 Euro, Gregor Gysi nur 12 Euro, warum ist das so?

Gysi ist ein eifriger Signer, deswegen ist er beim Mindestpreis, Reichinnek signiert nicht ganz so viel, und im letzten Wahlkampf war der Ansturm aufgrund ihrer großen Tiktok-Beliebtheit so groß, dass wir den Preis anheben mussten, um nicht auf einen Schlag ausverkauft zu sein.

Sahra-Wagenknecht-Autogramme verkaufen sich gut.
Sahra-Wagenknecht-Autogramme verkaufen sich gut.

Bei den Gysi-Autogrammen in Ihrem Angebot habe ich auch einen einfachen Zettel mit persönlicher Widmung gesehen. Verkauft sich so was?

Ja, durchaus. Meist sogar besser als die offizielle Autogrammkarte, weil die ja Massenware ist, indes eine sagen wir signierte Serviette von einer Veranstaltung ein Einzelstück ist. Sammler, die nach ihrer Sympathie und nicht nach Vollständigkeitskriterien sammeln, mögen das Besondere lieber. Ein Autogramm ist ja immer ein Stück Lebenszeit. Wenn ich beispielsweise von einer/einem Lieblingsschriftsteller*in oder -forscher einen mehrseitigen Brief habe, dann habe ich da eine Stunde vielleicht aus dem Leben desjenigen in Händen. Das ist etwas Besonderes.

Machen Ihnen Selfies eigentlich das Geschäft schwer? Wer kauft schon ein Autogramm, wenn er sich mit der Lieblingspolitikerin fotografieren kann?

Richtige Fans wollen sicher beides. Der klassische Politiksammler, der auf Vollständigkeit sammelt (Kabinette, Parlamente usw.), ist an der konkreten Person weniger interessiert als an der Funktion, der wird dann eher das Selfie ausschlagen.
Und wer gegen seine politischen Überzeugungen ein Autogramm haben möchte, macht das auf jeden Fall lieber beim Händler, als mit dem Autogrammschreiber gesehen zu werden. Markus Söder wird beispielsweise häufig als Scherzgeschenk gekauft. Das schreiben die Kunden dann extra dazu, um nicht in den Verdacht zu kommen, ein Fan des Foodbloggers zu sein. Ähnlich sieht’s aus mit jenen, die Parlamente sammeln und zum Beispiel AfDler zur Komplettierung benötigen, aber nicht bei denen auf irgendeiner Adressliste landen möchten. An letzteren verdienen wir übrigens nichts, da wird der Gewinn gespendet, nicht zuletzt, weil uns der Gedanke gefällt, dass diese Leute ein bisschen ihrer Lebenszeit beim Signieren unfreiwillig zur Aufklärung verwenden, das Geld geht nämlich unter anderem an Correctiv und die Amadeu-Antonio-Stiftung. Genauso wie Till Lindemann an Fonds zur Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt. Geldverdienen und Familie ernähren ist schön und wichtig und gut, aber es gibt echt Grenzen.

Sahra Wagenknecht finde ich gar nicht in Ihrem Angebot, verkauft sie sich so gut?

Sie ist in der Tat immer rasch ausverkauft. Im letzten Wahlkampf hatten wir gar keine da, sie fällt da also als Gradmesser aus.

Was wissen Sie über Ihre Kunden? Sammeln Menschen in der Hoffnung auf Wertsteigerung? Oder wie kommt man dazu?

Ein Brief von Ernesto »Che« Guevara gehört zu den liebsten Stücken von Wimbauer.
Ein Brief von Ernesto »Che« Guevara gehört zu den liebsten Stücken von Wimbauer.

Da gibt es gewiss alle denkbaren Beweggründe. Generalisten sind seltener, die meisten haben klar umrissene Sammelgebiete. Grosse Wertsteigerungen gibt es nur bei besonderen Umständen: Papst werden, sich als Serienkiller entpuppen. So etwas.

Haben Sie selbst eigentlich Lieblingsautogramme, die Sie nicht in den Verkauf geben?

Ja, meine Lieblingsforscher*innen von Marie Curie bis Roald Amundsen, Notizen von Richard Feynman aus der Untersuchungskommission der Challenger-Katastrophe. Das sind schon Herzensangelegenheiten. Andere Stücke sind so selten und einzigartig, dass ich sie nur gegen ein Gebot, das ich nicht ablehnen kann, abgeben würde, denn eigentlich möchte ich sie behalten, aus dem Bereich des Politischen etwa den Briefwechsel von Ulrike Meinhof mit dem Maler René Magritte und Gudrun Ensslin oder einen Brief von Che Guevara.

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