Sperrmülltag

Zum Kieztag im Wedding läuten sogar die Kirchenglocken. Hinaus zum BSR-Flohmarkt!

  • Robert Rescue
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausmisten schafft Platz für Neues!
Ausmisten schafft Platz für Neues!

Der Lärm aller Kirchenglocken des Wedding erfüllt die Luft. Doch es ist kein Gottesdienst, zu dem gerufen wird, sondern der Kieztag der BSR, der hier so etwas wie ein Feiertag geworden ist. Aus den Häusern strömen die Bürger, Kinder laufen voran und schwenken Taschen mit alten Kabeln oder kaputten Lampen. Eltern schleppen durchgelegene Matratzen, 100-Zoll-Fernseher, die aussortiert werden, weil das Fernsehprogramm schlecht ist, und Möbel in Farben, die nicht mehr im Trend liegen.

Früher hat man all das auf den Bürgersteig gefeuert, aber jetzt sind die Leute darauf konditioniert, mal eine Kreuzung zu überqueren und eine Straße zu betreten, die sie vorher nicht kannten. Das Ziel sind die drei orangen Wagen der BSR, an denen Mitarbeiter helfen, die Möbel in die hungrigen Mäuler der Pressen zu schmeißen. Was zu gut für die Zerstörung ist, kann auf einen Tisch zum Mitnehmen abgelegt werden. Doch um die Abgabestelle zu erreichen, muss man an den Gestalten in Trenchcoats vorbei, die an der Ecke stehen, einen heranwinken und so Dinge fragen wie: »Haben sie Rokoko oder Biedermeier? Reliquien mindestens von einem Heiligen oder sogar Jesus?«

Was historische Möbel angeht, haben sich diese Gestalten wohl im Bezirk geirrt. In Zehlendorf werden sie bestimmt fündig. Die Weddinger verweisen auf ein schwedisches Einrichtungshaus, was die Eck-Käufer mit einer abfälligen Geste kommentieren. Ein stetiges Hin und Her herrscht an dem Tisch. Die Leute legen Sachen hin wie Tastaturen, Bücher oder Monitore und andere nehmen sie mit, entweder zum Eigengebrauch oder um sie im Internet weiterzuverkaufen.

Julia will unter anderem eine große Blechkiste loswerden, die auf 50er Jahre getrimmt ist, so mit Slogans längst untergegangener Fluggesellschaften und mit Rostflecken ohne echten Rost. Einer der Eck-Käufer spricht mich an und fragt, ob er die Kiste haben könne. Komisch, die ist weder Rokoko noch Biedermeier. Ich vertröste ihn auf später, er verzieht sich wieder und Julia kommt von der Entsorgung mehrerer Lampen zurück, packt die Kiste und trägt sie zum Müllwagen für Matratzen, Bügelbretter und Kisten, die auf alt gemacht sind. Blöd, denke ich, das habe ich nicht gewusst. Bald darauf kommt wieder der Eckensteher und fragt erneut nach der Kiste. Was soll ich ihm jetzt sagen? Ich behaupte, dass die gar nicht zur Entsorgung bestimmt ist, sondern zum Transport benutzt wird. Ob wir sie später noch brauchen, will er wissen. Ja, die komme wieder in die Wohnung, antworte ich, weil zu gut für den Müll.

Ich beobachte, wie er zu dem Tisch weitergeht und dort einen Monitor, ein Bügelbrett und einen Wandspiegel mitnimmt.

Wir treten den Nachhauseweg an, lassen die Antiquitätenjäger hinter uns. Die Möbel haben den Weg aller unnütz gewordenen Habseligkeiten angetreten und in der Wohnung gibt es wieder Platz. Platz, der gefüllt werden will mit neuen Dingen.

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