- Politik
- »Welt«, Union, AfD und Zentralrat
Orchestrierte Antisemitismusvorwürfe gegen Vereine
Zur Bundestagswahl hatte die Union mit einer Kleinen Anfrage antirassistische Organisationen attackiert. Jetzt legt eine Zeitung nach
Nach einer vielfach kritisierten Kleinen Anfrage der Unionsfraktion starten mehrere Parteien und Organisationen einen neuen Angriff gegen Begünstigte des 180-Millionen-Euro-Programms »Demokratie leben!«. Es wird vom Bundesfamilienministerium geführt. Die »Welt am Sonntag« wirft einzelnen geförderten NGOs antisemitische Äußerungen vor – und zwar solchen, die gegen Muslimfeindlichkeit arbeiten.
Im Fokus steht der Heidelberger Verein Teilseiend, der für die 2020 gegründete Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim) als Träger fungierte und dafür 2,8 Millionen Euro erhielt. Ein Vorstandsmitglied von Teilseiend hatte auf X jüdische Zionist*innen als »eine Krankheit« bezeichnet und unter einem Chanukka-Leuchter-Foto gefragt: »Verkommen wir hier zu einem Judenstaat?«
Nach Bekanntwerden der Aussagen zog sich die Person prompt aus dem Verein zurück. Teilseiend distanzierte sich von deren Äußerungen. Auch Claim zeigte sich davon »schockiert« und betont gegenüber »nd«, dass Teilseiend seit diesem Jahr auch nicht mehr Träger sei.
Ein weiterer Vorwurf trifft den Berliner Verein BIWOC Rising, der aus dem Bundesprogramm 800 000 Euro für ein Projekt gegen strukturelle Diskriminierung von Sintizze und Romnja, Muslim*innen sowie Jüd*innen of Color erhielt. Die Geschäftsführerin von BIWOC Rising hat laut »Welt« zum Jahrestag des 7. Oktober 2023 einen Beitrag geteilt, der die Angriffe auf israelische Militärs und Zivilist*innen als »Widerstand gegen Kolonialismus« bezeichnete. Die Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, sagt die Betroffene zu »nd«. Sie verurteile Antisemitismus aufs Schärfste und weise die Anschuldigungen entschieden zurück.
BIWOC Rising äußert sich auch selbst zu dem Bericht. Rechte Bewegungen gewännen immer mehr an Einfluss, heißt es in einer Mail an »nd«. Pauschale Vorwürfe weise man aber kategorisch zurück, »insbesondere wenn sie auf aus dem Kontext gerissenen privaten Social-Media-Äußerungen einzelner Mitarbeiter*innen beruhen«.
Der Unionspolitiker Alexander Throm fordert in der »Welt am Sonntag«, die Finanzierung von NGOs von »absoluter Treue zu unseren Staatszielen« abhängig zu machen. Der AfD-Politiker Gottfried Curio will einen solchen Förderstopp für »extremistische sowie antisemitische Aussagen und Verbindungen«. Welche Äußerungen gemeint sind, erläutert Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er unterstellt den angegriffenen Vereinen eine »Normalisierung von israelbezogenem Antisemitismus« und verlangt in der »Welt am Sonntag« eine »umfassende Überarbeitung« des Demokratie-Programms.
Mittlerweile habe sich der Bundes-Antisemitismusbeauftragte Felix Klein »eingeschaltet« und sei mit der Familienministerin Karin Prien (CDU) im Austausch, schreibt die »Welt am Sonntag«. Prien kündigte anschließend eine Revision von »Demokratie leben!« an. Zukünftig sollten Mittel »effizienter zur Stärkung der Mitte der Gesellschaft genutzt werden«. Die SPD unterstützt diesen Kurs.
Der Ex-Grüne Volker Beck, derzeit Geschäftsführer des israelnahen Tikvah-Instituts, fordert indes zu Förderungsbeschränkungen eine Änderung der Bundeshaushaltsordnung und verweist auf eine entsprechende Ankündigung im schwarz-roten Koalitionsvertrag.
Die innenpolitische Sprecherin für Bündnis 90/Die Grünen Lamya Kaddor verwies indes auf bereits im Demokratie-Programm verankerte »umfangreiche Prüfungen« der begünstigten Vereine. Die Linke-Politikerin Clara Bünger nannte die Vorwürfe gegenüber der »Welt am Sonntag« eine »Kampagne von rechts«.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.