Eine Stadt, zwei Welten

Der Deutsche Städtetag soll kommunalen Zusammenhalt demonstrieren. Zugleich grenzen Wohnpreise Geflüchtete immer stärker aus

Reihenhaus oder Platte? Das ist in vielen deutschen Städten eine Frage der Papiere.
Reihenhaus oder Platte? Das ist in vielen deutschen Städten eine Frage der Papiere.

Unter dem Motto »Zusammen sind wir Stadt« findet sich derzeit der Deutsche Städtetag zur Hauptversammlung in Niedersachsen zusammen. In Hannover diskutieren etwa 1500 Delegierte über kommunale Themen wie Konsolidierungspolitik, Klimafragen oder die Rolle der Städte in der internationalen Zusammenarbeit. Zeitgleich, ebenfalls in Hannover und zufälligerweise parallel zur Versammlung des Städtetags, findet dieser Tage die sogenannte »Real Estate Arena«, eine großen Immobilienmesse statt.

»Städte bauen Brücken, wo andere Mauern errichten«, sagt Maja Roth-Schmidt, Fraktionssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen aus Viersen, Nordrhein-Westfalen, im Vorfeld der Versammlung. Dem entgegen warnen Wissenschaftler*innen vor steigender Segregation Geflüchteter in den Städten. In Ostdeutschland, im Ruhrgebiet und in manchen Orten Niedersachsens.

Etwa eine Stunde von Hannover entfernt liegt Salzgitter. Die niedersächsische Stadt mit ungefähr 100 000 Einwohner*innen fällt in Studien immer wieder auf – wegen eines verhältnismäßig hohen Zuzugs von Geflüchteten und einer besonders hohen innerstädtischen Segregation. Diese führt, im schlechtesten Fall, zu ungleichen Lebenschancen und einer Steigerung gesellschaftlicher Ungleichverhältnisse. 2017 machte Salzgitter Schlagzeilen – als die Stadt, die als erste eine »negative Wohnsitzauflage« verhängte.

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Wohnsitzauflagen verpflichten im Normalfall Personen im Asylverfahren oder mit Duldung, an bestimmten Orten zu leben. Salzgitter lieferte einen Präzedenzfall der anderen Art. Geflüchtete mit anerkanntem Asylstatus durften dort explizit nicht mehr hinziehen. Die Boulevardpresse betitelte die Stadt als »Salzghetto«, Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) argumentierte, die Stadt sei am Limit ihrer Kapazitäten.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen setzt sich seitdem gegen die Auflage ein. Etwaige Strukturprobleme vor Ort seien, so Geschäftsführer Kai Weber zu »nd«, nicht auf Geflüchtete zurückzuführen, sie erfüllten viel mehr eine »billige Ableiterfunktion«. Es gebe nach wie vor einen hohen Leerstand. »Wir sehen Defizite im Aufnahme- und Unterbringungsmanagement der Kommune.«

Laut einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) ziehen Geflüchtete inzwischen insgesamt vermehrt in strukturschwache Städte mit hohen Arbeitslosigkeitsraten. Denn dort ist der Wohnraum noch leistbar. Zwischen 2015 und 2019 zogen demnach aufgrund des Wohnungsleerstands besonders viele geflüchtete Menschen in Städte des Ruhrgebiets. Viele Orte dort verzeichneten einen Anstieg des Anteils Geflüchteter um über fünf Prozent.

In ehemaligen Industriestädten wie Salzgitter stieg die Anzahl sogar um 7,2 Prozent, deutschlandweit im gleichen Zeitraum um nur 2,9 Prozent. In Ostdeutschland erhöhte sich der Anteil Geflüchteter allein in Cottbus von 0,7 auf 7,2 Prozent. Die Anzahl von Asylanträgen sank im Übrigen deutschlandweit 2024 um mehr als 20 Prozent.

Aus ihrer Arbeit würden sich klare Handlungsanweisungen für die Politik ableiten, schreiben die Studienautoren Jonas Wiedner und Merlin Schäffer: Das Wohngeld für Geflüchtete müsse erhöht werden, so dass sie es sich auch leisten könnten, in andere Regionen zu ziehen. Und es brauche, das sei »noch wichtiger«, leistbaren Wohnraum in Städten mit Arbeitskräftemangel. Weitere Optionen wären, den Zugang zu Arbeit für Geflüchtete zu erleichtern und in strukturschwachen Städten Betreuungs- und Bildungsangebote wie Schulen oder Kitas auszubauen.

Noch polarisierter geht es, so heißt es im Sozialbericht der Bundeszentrale für politische Bildung, innerhalb der Städte zu. In ostdeutschen Metropolen war demnach die Armutssegregation zwischen 2013 und 2022 am höchsten. 2022 hätten rund 38 Prozent aller Personen, die im SGB II-Bezug von der Grundsicherung leben, umziehen müssen, um eine gleiche Verteilung innerhalb der Städte zu erreichen.

»Ein gutes kommunales Migrationsmanagement heißt nicht zwingend eine gleichmäßige Verteilung.«

Kai Weber Flüchtlingsrat Niedersachsen

Auch im Ruhrgebiet zeigte sich ein starker Anstieg der Segregation, in Süddeutschland war die Entwicklung dagegen rückläufig. Den Hauptgrund für die steigende Segregation sieht Forscher Marcel Hebig vom Leibniz Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) und dem WZB im Zuzug von Geflüchteten, die häufiger auf SGB II-Bezüge angewiesen sind.

Unter den Städten mit der höchsten Armutssegregation befanden sich viele ostdeutsche Städte, wie Schwerin, Rostock, Halle (Saale) oder Erfurt. Und norddeutsche Städte, wie Kiel oder Salzgitter. »Der Anteil von Migrant*innen und Geflüchteten konzentriert sich auf wenige Straßen und Häuser, ist aber in Salzgitter nicht sonderlich hoch«, sagt Weber vom Flüchtlingsrat dazu.

Dieser fordere seit Jahren ein gutes kommunales Migrationsmanagement, dass die Beschulung, Unterbringung und die Kindergartenbetreuung von Beginn an mitdenke. »Das heißt nicht zwingend eine gleichmäßige Verteilung«, so Weber. Die Unterstützung von Neuankömmlingen durch bereits in der Kommune lebende Communities sei eine wichtige Ressource. Auch Infrastrukturhilfen seien sinnvoll, um die Folgen einer verfehlten Baupolitik in den Griff zu bekommen.

Einen anderen Ansatz, der die Segregation durchbrechen soll, versucht beispielsweise die Soli*dbase. Deutschlandweit organisiert die NPO (nicht profitorientierte Organisation) Wohnraum für geflüchtete Menschen, insbesondere Wohngemeinschaften. Die Organisation vernetzt, unterstützt bei der Kostenübernahme durch Ämter und setzt sich für eine dezentrale Unterbringung ein. »Langfristig wollen wir dazu beitragen, eine offene Gesellschaft zu gestalten, in der ein solidarisches Miteinander und ein Zusammenleben auf Augenhöhe als selbstverständlich gelten«, beschreibt sich Sol*idbase selbst.

Zurück in Hannover, auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages, scheinen derlei Wünsche fromm. Dort fordert Verbandspräsident Markus Lewe (CDU) indes einfachere Gesetze für den Wohnungsbau – und mehr soziale Sicherheit. Weitere Brennpunkte, mit deren Finanzierung sich die schwarz-rote Bundesregierung ebenfalls wird auseinandersetzen müssen.

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