Alter schützt vor Arbeit nicht

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will Senioren länger arbeiten lassen. Andreas Koristka fragt, was das mit Friedrich Merz zu tun hat.

Findet, dass Senioren mehr arbeiten könnten: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.
Findet, dass Senioren mehr arbeiten könnten: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

In den letzten Tagen gab es einigen Wirbel um den CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, weil er sich nichts sehnlicher wünscht, als dass die Rentner im Lande ein wenig mehr arbeiten. Ein Aufschrei hallte daraufhin durch die Seniorenheime, als hätte Linnemann gefordert, dass sich alle Alten in den Steinbrüchen oder – schlimmer noch – in den Amazon-Logistikzentren zu Tode schuften sollen.

Die Kritik war unangebracht, denn Carsten Linnemann wollte lediglich betonen, welches Potenzial in der Arbeitskraft älterer Menschen liegt. Man darf es nicht brach liegen lassen wie ein Gymnastikband, das für regelmäßigen Seniorensport angeschafft wurde und seitdem ungenutzt in der Eichenholz-Imitat-Schrankwand liegt. Denn es trägt zum gesamtgesellschaftlichen Wohlstand und zur Volksgesundheit bei, wenn Alte nicht auf der faulen Haut liegen und maßlos Brandweinbohnen in sich hineinschaufeln, sondern stattdessen mit dem Austragen von Werbeprospekten die Volkswirtschaft in neue ungeahnte Sphären hieven.

Andreas Koristka
Autorenfoto von Andreas Koristka am Donnerstag, den 10. Oktober ...

Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.

Wenn welkes Fleisch den Kaffeeautomaten in der Bäckerfiliale bedient, dann ergibt sich für das hochbetagte Verkaufspersonal zudem ein interessanter Perspektivwechsel: Hier erfährt es, wie es sich anfühlt, wenn man auf der anderen Seite des Tresens steht und dort mit den zittrigen Knochen nach den passenden Münzen fischt, in der irrigen und wahnwitzigen Vorstellung, man könnte ein Zwei-Cent-Stück erhaschen. Gespannt darf man auf den Tag warten, an dem es völlig normal sein wird, dass die alten Verkäufer freundlich lächelnd die Kasse herüberreichen, damit sich die Kunden das Wechselgeld selbst passend herausnehmen können.

Das sind Szenarien, die Carsten Linnemann elektrisieren. Er weiß, was Senioren leisten können. Sein Chef Friedrich Merz ist schließlich selbst so einer, der sich nach einem harten Arbeitsleben noch den einen oder anderen Euro dazuverdient. Und Linnemann sieht, wie effektiv Merz auch in seinem hohen Alter noch arbeiten kann. Natürlich riecht es im Kanzlerbüro gelegentlich nach Doppelherz-Dragees und altem Mann. Aber die Politik ist ja auch kein Streichelzoo, sondern ein Pumakäfig.

Die Leute sollten sich den Kanzler zum Vorbild nehmen. Frei nach dem Motto »Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern frage bei Lidl, ob du dort als Wareneinräumer aushelfen darfst!«. Das sollte der Spirit eines Volkes sein, das die ganzen billigen Arbeitskräfte aus dem Ausland schon an der Grenze abweisen möchte. Für dieses mittelfristige Ziel ist es nicht zu viel verlangt, wenn auch die Alten mit anpacken. Denn nur so wird unsere Wirtschaft so stark bleiben, dass sie auch zukünftig jedem Rentner einen Arbeitsplatz garantieren kann.
Dafür wird die CDU alles tun. Wenn man besieht, wie emsig sie aus Rentnern Arbeiter macht, muss man konstatieren, dass die Partei von Carsten Linnemann die eigentliche Arbeiterpartei in Deutschland ist. Ihre Politik wird dazu führen, dass Rentnerarbeit aller Orten geschätzt wird wie ein Eukalyptusbonbon, das einem die eigene Oma schenkte. Ein Bonbon, das sie sich jetzt wieder leisten kann, seitdem sie zweimal in der Woche eine Schicht im Shell-Backshop übernimmt und jede zweite Woche in der CDU-Parteizentrale putzen geht.

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