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Regierungspläne: Rechteabbau für Bürger, Kamelle für Firmen
Innenminister und Wirtschaftsministerin erläutern im Bundestag ihre politischen Vorhaben
Geflüchtete und arme Leute, aber auch Menschen, die Bürgerrechte wahrnehmen, müssen sich warm anziehen. Das ist seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD klar. Zugleich werden Unternehmen großzügig gefördert, mit »Turboabschreibung«, Strompreissenkungen und Co. Am Freitag erläuterten der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) die Vorhaben ihrer Häuser in den nächsten vier Jahren.
Dobrindt stellte es einmal mehr so dar, dass mehr Grenzkontrollen, mehr Zurückweisungen auch Asylsuchender, mehr Abschiebungen und die Erschwerung der Einbürgerung von Migranten für mehr Sicherheit sorgen. Die irreguläre Migration gefährde »die Stabilität unseres Landes«, behauptete er. Diese Maßnahmen sind für ihn ebenso zentral wie die erneute Ausweitung der Befugnisse von Ermittlungsbehörden. Widerspruch gegen seine Pläne kam von den Grünen und von der Linksfraktion, deren Redner*innen ihm einen Bruch des Europarechts und eine Schleifung des Grundrechts auf Asyl vorwarfen.
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Die zusätzlichen Befugnisse für Sicherheitsbehörden sollen zügig umgesetzt werden. »Die Bürger erwarten von uns einen Politikwechsel«, sagte Dobrindt. Dieser habe nun begonnen – an den deutschen Grenzen. Wenige Stunden nach seinem Amtsantritt hatte Dobrindt in der vergangenen Woche eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt. Gleichzeitig ordnete er an, dass auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden. Ausnahmen soll es nur für Hochschwangere, Frauen mit Kindern und besonders »vulnerable« Personen geben.
Während AfD-Mann Gottfried Curio forderte, alle Menschen »zurückzuweisen«, die sich bereits im Land befinden, sofern sie »unberechtigt« eingereist sind, warf Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz dem Minister Kurzsichtigkeit vor. Zu den Grenzkontrollen sagte er: »In spätestens drei Wochen wird die massive personelle Überlastung Ihre Maßnahmen faktisch beenden.« Die Linke-Abgeordnete Clara Bünger monierte, dass »Grundrechte von Menschen auf der Flucht an der Grenze ausgesetzt« würden. Das sei »ein Einstieg in eine Herrschaft des Unrechts«.
Bünger widersprach auch der Darstellung, dass es einen Notstand in den Grenzregionen gebe: »Die Antragszahlen sinken, die Unterkünfte in den Bundesländern sind halb leer.« Der Notstand bestehe vielmehr in einer »neoliberalen Politik, die die Kommunen ausgeblutet hat«. Die Pläne der Koalition seien eine »Kapitulation vor der AfD«, deren Forderungen sie übernehme.
Der Bundesinnenminister kündigte zudem mehr Rückführungen Ausreisepflichtiger an. »Wir werden nach Afghanistan und Syrien abschieben«, sagte er. Die neue Bundesregierung werde zudem einen dauerhaften »Ausreisearrest« für ausreisepflichtige Gefährder und »schwere Straftäter« einführen, sodass es für diese Menschen künftig nur noch die Möglichkeiten »Haft oder Heimflug« gebe.
Der »Werkzeugkasten der Sicherheitsbehörden«, so der Innenminister, müsse besser gefüllt sein. Polizisten seien in der Vergangenheit zu oft unter Generalverdacht gestellt worden. Forderungen wie Kontrollquittungen, Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte und unabhängige Beschwerdestellen lehne er ab, machte Dobrindt klar.
Ein Entwurf der Ampel-Regierung für ein neues Bundespolizeigesetz sah vor, dass Menschen, die von der Bundespolizei etwa an Flughäfen, Bahnhöfen oder in Zügen befragt werden, sich sogenannte Kontrollquittungen ausstellen lassen können. Auch eine Kennzeichnungspflicht der Polizist*innen war in der nicht mehr verabschiedeten Gesetzesnovelle vorgesehen. Mit den Kontrollquittungen wollte man vor allem »Racial Profiling« vorbeugen. Davon spricht man, wenn Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer physischer Merkmale kontrolliert werden.
Die Bundesregierung werde die Speicherpflicht für IP-Adressen umsetzen, um schwere Kriminalität zu bekämpfen, kündigte Dobrindt an. Außerdem werde sie die Befugnisse der Nachrichtendienste ausweiten und »einen effizienten und effektiven Datenaustausch zwischen den Diensten gewährleisten«.
Sanfte Kritik am Koalitionsvertrag kam von dem SPD-Abgeordneten Lars Castellucci. Er betonte, es sei wichtig, niemals ganze Gruppen pauschal zu verdächtigen, denn »so treiben wir die Menschen nur in die falsche Richtung«. »Der Islam ist im Koalitionsvertrag kein einziges Mal als normaler Bestandteil der religiösen Vielfalt benannt, ausschließlich der Islamismus«, monierte Castellucci.
Derweil will die Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Katherina Reiche, in der »längsten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik« Wirtschaftswachstum »ermöglichen«. Es komme nicht von allein und bleibe auch nicht, »wenn man sich nicht kümmert«, sagte sie. Ohne Wachstum »verlieren wir die Mitte der Gesellschaft«, warnte sie – und überließen diese »den Populisten von rechts und links, die mit vermeintlich einfachen Lösungen« auf Stimmenfang gingen.
Als dringendste Aufgaben der Koalition nannte Reiche, den Mittelstand zu stärken, das Fachkräftepotenzial zu heben sowie den Bürokratieabbau. Den Unternehmen im Land versprach sie, eine degressive Abschreibung auf Investitionsgüter in diesem Jahr einzuführen. Ab 2028 werde die Regierung dann die Körperschaftsteuer schrittweise senken.
Die Energiepolitik werde die Bundesregierung »einem Realitätscheck« unterziehen, sagte die Ministerin weiter. Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit müssten wieder ins Zentrum des politischen Handelns rücken. Die Erneuerbaren allein könnten Deutschland nicht »zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen« mit der nötigen Energie versorgen, sagte Reiche. Die Regierung werde daher »so schnell wie möglich« die Ausschreibung für neue Gaskraftwerke mit insgesamt 20 Gigawatt Leistung starten.
Es brauche gesicherte Leistung, wenn Kohle aus Klimaschutzgründen und wegen des CO2-Preises vom Markt verschwinde, hatte die CDU-Politikerin die Pläne zuvor beim Tag des Familienunternehmens in Berlin verteidigt. Zugleich sorge man für die Abscheidung und Speicherung von CO2 in tiefen Erdschichten und sichere so die Einhaltung von Klimazielen.
»Eine Bundesregierung, die unbeirrt an der Schuldenbremse festhält, sollte nicht von Wachstum und wirtschaftlicher Erneuerung sprechen.«
Ines Schwerdtner Ko-Vorsitzende der Linken
Von Grünen und Linken hatte es Kritik an Reiche gegeben. Der Energieminister Schleswig-Holsteins, Tobias Goldschmidt (Grüne), hatte im »Handelsblatt« von einem »Durchmarsch der Gaslobby« gesprochen. Der Linke-Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin warf der Bundesregierung vor, die Klimaziele »zugunsten fossiler Interessen« über Bord zu werfen. »Dass diese Pläne ausgerechnet von einer früheren Energielobbyistin wie Reiche kommen, ist bezeichnend für die Pläne dieser Konzernkoalition«, sagte er. Vor ihrem Amtsantritt hatte Reiche den Energiekonzern Westenergie geleitet.
Die Linke-Ko-Vorsitzende Ines Schwerdtner warf Reiche vor, »gebetsmühlenartig das überholte Mantra von Steuersenkungen und Deregulierung« zu wiederholen. Das »Konzept, den Raubtierkapitalismus aus dem Käfig zu lassen und zu hoffen, dass er die Felder bestellt«, sei aber gescheitert. Nötig seien vielmehr massive öffentliche Investitionen. »Eine Bundesregierung, die unbeirrt an der Schuldenbremse festhält, sollte nicht von Wachstum und wirtschaftlicher Erneuerung sprechen«, so Schwerdtner.
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