Äthiopien: Der Architekt, der Häuser recycelt

In Äthiopien werden mit Abbruch­materialien neue Wohn­stätten geschaffen

  • Bettina Rühl, Addis Abeba
  • Lesedauer: 6 Min.
Dieses Privathaus in Addis Abeba wurde fast ausschließlich mit recycelten Materialien gebaut.
Dieses Privathaus in Addis Abeba wurde fast ausschließlich mit recycelten Materialien gebaut.

Die Schallplatte ist hörbar verkratzt, die Hülle vom häufigen Gebrauch bereits abgegriffen. Der äthiopische Architekt Ahadu Abayneh hat die Platte des Komponisten Ashenafi Kebede aus dem Jahr 1968 auf den Plattenteller gelegt; er steht in einem der Häuser, die er entworfen hat. »Wir haben uns beim Entwurf von der Musik inspirieren lassen«, erzählt der Architekt. Mit »wir« meint er sich und den Bauherren des Hauses. Ahadu* lädt zum Zuhören ein, weist darauf hin, wie das Flötenstück mal lauter und mal leiser wird, das Tempo ebenfalls variiert. »So ist auch die Raumfolge«, erklärt der Baumeister. »Mal gibt es nur ein Stockwerk, dann wird das Gebäude höher und wieder tiefer. Die musikalischen Pausen sind die Freiflächen, die Sie hier und dort und auch da drüben sehen.«

Während er spricht, führt Ahadu in dem Gebäude herum. Mit jedem Schritt öffnet sich der Blick in einen anderen Raum oder in den üppig grünen Garten, vor vielen Fenstern wachsen Blumen. Ungewöhnlich ist auch das Material: Fast alles ist recycelt. Mehr als 20 abgerissene Gebäude haben in diesem Privathaus ein zweites Leben bekommen, ganze Treppenläufe, Türen, Fenster, Steinsäulen haben überdauert – bis auf die Eingangstür ist hier kaum etwas neu.

Recycling ist der Weg in die Zukunft

Der Bauherr, der anonym bleiben will, erklärt die Idee dahinter: »Ich bin der Meinung, dass wir all diese Materialien erhalten müssen.« Denn das alte Addis Abeba sei durch einen Bauboom schon zu großen Teilen zerstört worden. »Wir können das nicht aufhalten, das Alte muss dem Neuen weichen«, ist der Bauherr überzeugt. Aber die hochwertigen und gut verarbeiteten alten Materialien seien zu wertvoll, um sie einfach verfallen zu lassen. »Sie zu recyceln und für den Bau eines neuen Gebäudes zu verwenden, ist meiner Meinung nach ein Weg in die Zukunft.«

Der Architekt Ahadu sieht das genauso. Das Recycling historischer Steine, Holztüren, Säulen oder ganzer Treppen ist seine Spezialität. Gegründet wurde die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba Ende des 19. Jahrhunderts. Unter Kaiser Haile Selassie, der von 1930 bis 1974 herrschte, erlebte sie 50 Jahre später einen ersten Bauboom. Der Kaiser wollte sich als moderner, kosmopolitischer Herrscher zeigen, »seine« Hauptstadt sollte das spiegeln. So entstand eine ganz besondere Mischung aus traditioneller Bauweise und moderner Architektur.

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Vieles davon fiel bereits einem Bauboom zum Opfer, der seit Jahren anhält: Ministerpräsident Abiy Ahmed will Addis Abeba ein anderes Image geben. Bürotürme mit verspiegelter Fassade und Wohnstädte werden in die Höhe gezogen, Straßenschneisen durch die historische Bausubstanz geschlagen.

»Dass die Gebäude klimagerecht sind, hat dabei keine Priorität«, bedauert Abel Estefanos, der in der äthiopischen Hauptstadt für das UN-Programm für menschliche Siedlungen arbeitet, kurz UN-Habitat. »Die meisten Türme sind verglast, sie verstärken den Effekt, dass die Stadt eine Wärmeinsel ist.« In den Vorschriften für Baugenehmigungen spiele das keine Rolle, bedauert er, weder in denen des Landes noch in denen der Stadt. »Daran müssen wir arbeiten, das Land und die Stadt«, ist der Stadtplaner überzeugt.

Klimagerechtes Bauen ist zwingend

Laut Abel zieht Addis Abeba mit seinen jetzt schon über fünf Millionen Einwohnern immer mehr Menschen an, auch infolge des Klimawandels. Denn Dürren und Überschwemmungen nehmen zu, vernichten Ernten und Existenzen auf dem Land. Vielen erscheint die Metropole dann als letzte Möglichkeit, eine neue Einkommensquelle aufzutun. Andere hoffen einfach auf eine bessere Arbeit in der Stadt als die beschwerliche Plackerei auf den Feldern. Schneller Wohnungsbau ist also wichtig, um den rasant steigenden Bedarf zu decken.

Allerdings: »Durch die massive Verstädterung auch des Umlands versickert jetzt weniger Wasser im Boden, die Grundwasservorräte werden nicht mehr aufgefüllt«, beschreibt Abel. Stattdessen fließt mehr Wasser ab, wodurch wiederum die Zahl der Überschwemmungen zunimmt. »Menschen, die gegen alle Vorschriften in den Pufferzonen bauen, in denen sich das Wasser sammelt, erleben dann unmittelbar die rohe Gewalt der Überschwemmungen«, bedauert Abel – ihre Hütten und Häuser werden von Wasser und Schlammlawinen weggerissen. In den vergangenen Jahren habe es immer wieder solche Vorfälle mit teils massiven Schäden gegeben.

Der äthiopische Architekt Ahadu Abayneh will die Geschichte und die Natur erhalten.
Der äthiopische Architekt Ahadu Abayneh will die Geschichte und die Natur erhalten.

Das Grundstück am Rande der Stadt, auf dem das recycelte Haus steht, scheint in einer anderen Welt zu liegen. Auf dem Grundstück wächst viel Grün, Vögel und Insekten sind zu hören. »Aus unserer Sicht hat Nachhaltigkeit viele Facetten«, erklärt der Architekt Ahedu. »Dazu gehört, die Kultur zu erhalten. Und die Pflanzen, die Sie im Garten sehen.«

Der Garten ist ebenfalls recycelt: Die Pflanzen wurden auf Grundstücken ausgegraben, die zubetoniert werden sollten. Nun wachsen sie hier: Bäume, blühende Sträucher und Blumen. Mittendrin rauscht ein Springbrunnen. »Man kann die Pflanzen zerstören oder daraus Räume wie diesen Garten schaffen«, beschreibt Ahadu. »Wer hierherkommt, spürt, dass solche Bereiche auch in anderen Teilen von Addis Abeba wichtig wären. Aber so wie sie die neue Stadt geplant haben, ist dort kein Platz für Pflanzen.«

Pflanzen, um CO2 zu binden. Bewachsene Flächen, um nicht noch mehr Flächen zu versiegeln, das Einsickern von Regenwasser in den Boden zu verhindern. Aber auch, weil der Mensch sich in der Natur wohler fühle, meint Ahadu: Der Anblick der Natur mache ihn glücklich. Sie zu erhalten, sei seine größte Leidenschaft. Allerdings seien viele Schmetterlingsarten, Blumen und Bäume aus dem Großraum Addis Abeba schon verschwunden. »Hier im Garten sehe ich mittlerweile wieder Schmetterlinge, die es in der Innenstadt nicht mehr gibt, weil die Natur dort im Namen der Entwicklung zerstört haben.« Wenn er ein Haus entwerfe, mache er die Natur, so weit es geht, immer zu einem Teil des Gebäudes: Es gibt drinnen und draußen Gärten, Innen und Außen sind nach Möglichkeit miteinander verzahnt.

Die Geschichte und die Natur zu erhalten, das war für den Architekten und den Bauherren von Anfang wichtig. Dagegen hat der Gedanke an den Klimawandel zunächst für beide keine Rolle gespielt. Im Laufe der Zeit hat sich das geändert. »Fast alle Materialien hier bestehen aus Steinen oder Holz«, beschreibt der Hausbesitzer. »Indem wir das zum Bauen verwenden, tun wir etwas für den Erhalt der Umwelt und gegen den Klimawandel.« Denn Beton ist ein Klimakiller, bei seiner Herstellung wird viel CO2 ausgestoßen, ein Treibhausgas, das den Klimawandel beschleunigt – und damit auch zum Artensterben beiträgt. Etwas, was Ahadu auf jeden Fall vermeiden möchte. Auch durch die Art und Weise, wie er baut.

* In Äthiopien steht der Familienname vorn.

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