Berlin auf dem Weg in die Provinzialität

Künstlerische Hochschulen sehen sich vor Zahlungsunfähigkeit

Schon im Februar protestierten Studierende der Universität der Künste mit einer Verhüllungsaktion gegen Kürzungen an ihrer Hochschule.
Schon im Februar protestierten Studierende der Universität der Künste mit einer Verhüllungsaktion gegen Kürzungen an ihrer Hochschule.

Nicht Jericho, sondern Berlin: Vor dem Abgeordnetenhaus haben sich am Montagmorgen Posaunenspieler aufgestellt. Der Klang ihrer Instrumente soll aber nicht das Landesparlament zu Fall bringen, sondern warnen. Es sind Studierende der Musikhochschule Hanns Eisler, die mit ihrem Spiel auf Kürzungen an ihrer Hochschule hinweisen wollen.

Im Gebäude beraten Abgeordnete und Vertreter der künstlerischen Hochschulen im Wissenschaftsausschuss die prekäre Lage der Institutionen. »Aktuelle Forderungen nach einem weiteren strukturellen Abbau greifen die künstlerischen Hochschulen in ihrem Kernbestand an«, sagt Angelika Richter, Rektorin der Weißensee-Kunsthochschule. »Mehr geht nicht.« Man zehre schon seit Jahren von der Substanz und der chronischen Überlastung der Mitarbeiter. Doch die Kürzungsvorgaben, die den künstlerischen Hochschulen nun abverlangt werden, gingen darüber hinaus. »Sie bedrohen uns in unserer Existenz«, so Richter.

Die künstlerischen Hochschulen müssen wie andere Hochschulen und Universitäten 8 Prozent ihres Budgets einsparen. So sieht es der Nachtragshaushalt vor, der Ende des vergangenen Jahres vom Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. Dabei war den Hochschulen ursprünglich mit den Hochschulverträgen sogar ein Mittelaufwuchs versprochen worden. Doch dann wurde im Rahmen der Haushaltsdiskussion entschieden, dass die Wissenschaftsverwaltung 200 Millionen Euro einsparen muss.

»Die Einhaltung der Hochschulverträge ist für uns existenziell«, sagt Richter. Es gebe keine Rücklagen oder Verschiebemassen, die eingespart werden könnten. Real seien die Kürzungsvorgaben höher als die nominellen 8 Prozent. Denn die Kunsthochschulen müssen Kostensteigerungen ausgleichen. Faktisch müsste daher eher im Bereich von 15 bis 20 Prozent gespart werden. »Wir sehen nach unseren Berechnungen, dass wir mit achtprozentigen Kürzungen trotz Besetzungsstopp in zwei Jahren zahlungsunfähig werden«, warnt Richter.

Bereits jetzt hätten die Hochschulen große Sparanstrengungen unternommen. An der Universität der Künste wurden den Fakultäten etwa knapp ein Drittel der Sachmittel gesperrt. Die Folge: Lehraufträge und Repetitorien entfallen, Labore müssen ihre Öffnungszeiten einschränken. Der damit verbundene Qualitätsverlust schicke Berlin auf einen »Weg der Provinzialität«, gibt Richter zu bedenken.

Dabei stehen die Kunsthochschulen unter doppeltem Spardruck. Denn zu den Einsparungen bei ihnen selbst kommen noch Kürzungen bei Kulturinstitutionen wie Theatern und Konzerthäusern, die oft eng mit den Ausbildungsorten zusammenarbeiten. »Uns geht Potenzial verloren, wo sich Studierende in der professionellen Welt erproben können«, sagt Andrea Tober, Rektorin der Musikhochschule Hanns Eisler. Die Staatsoper und die Komische Oper hätten aus Kostengründen schon Kooperationsprojekte einstellen müssen.

Dabei seien diese für die Ausbildung essenziell. »Das sind Erfahrungen von unschätzbarem Wert«, sagt sie. Dass sich die Musikstudierenden an Inszenierungen an den Opernhäusern beteiligen, sei eine praktische Erfahrung, die keine Vorlesung ersetzen könne. Für viele seien die Kooperationen auch ein wichtiger Karrierefaktor. Nicht selten würden Studierende nach den Inszenierungen direkt von den Konzerthäusern »wegengagiert«, so Tober.

Wissenschaftsstaatssekretär Henry Marx (SPD) verspricht Nachbesserungen. »Acht Prozent sind für die Kunsthochschulen nicht tragbar«, sagt er. Bis Juli sollen die Nachverhandlungen für die Hochschulverträge abgeschlossen sein, stellt Marx in Aussicht. Damit soll der Spardruck zumindest abgemildert werden. Dafür müssten manche Hochschulen allerdings besondere Verantwortung übernehmen. »Die Acht-Prozent-Sperre muss so verteilt werden, dass auch die Häuser, die keine Rücklage haben, überleben können«, sagt Marx.

Die Implikation: Die Hochschulen, die noch über Rücklagen verfügen, müssen sich darauf einstellen, diese abgeben zu müssen. »Rücklagen gehören nicht einer Hochschule, sie gehören dem Hochschulsystem«, sagt Marx. »Sie müssen vergemeinschaftet werden.«

Zumeist dienen die Rücklagen allerdings dazu, die Sanierung maroder Hochschulgebäude zu finanzieren. Das soll nach schwarz-roten Plänen künftig eine gemeinsame Infrastrukturgesellschaft der Hochschulen übernehmen, die einfacher und zu besseren Konditionen Kredite aufnehmen können soll.

Die Kunsthochschulen werden wohl trotzdem vor schmerzhaften Einschnitten stehen. Gemeinsame Infrastruktur etwa bei den Serviceleistungen oder der IT könnten den Spardruck kaum auffangen. »Das sind einige Personalstellen, mehr ist da nicht rauszuholen«, sagt Weißensee-Rektorin Richter. Auch der Verwaltungsapparat sei bereits jetzt »extrem schlank«. »Wir sind alle in Doppelfunktionen unterwegs«, so Richter.

Stattdessen könnten Maßnahmen greifen, die aktuell noch undenkbar scheinen: »Wir werden über betriebsbedingte Kündigungen nachdenken müssen«, sagt Markus Hilgert, Präsident der Universität der Künste. Auch ein anderes Tabu könnte dann auf den Tisch kommen: »Wir müssen mittelfristig auch über Studiengebühren nachdenken«, sagt Eisler-Rektorin Tober.

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