Ende des Gaza-Boykotts: Netanjahus purer Eigennutz

Wolfgang Hübner über wiederaufgenommene Hilfslieferungen für Palästinenser

So sieht der tägliche Kampf von Palästinensern um Lebensmittel aus.
So sieht der tägliche Kampf von Palästinensern um Lebensmittel aus.

Dass die israelische Regierung endlich wieder Hilfslieferungen in den völlig chaotisierten Gazastreifen lassen will, ist eine gute Nachricht für die Palästinenser dort. Eigentlich. Die Einschränkung muss sein, weil diese Entscheidung erstens weit überfällig ist. Wer mehr als zwei Monate lang die Menschen in einem weitgehend zerstörten Territorium von Lebensmitteln, Sanitär- und Medizinbedarf abschneidet, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, massenhaftes Aushungern der Zivilbevölkerung als Kriegswaffe einzusetzen. Und zweitens ist das Kabinett Netanjahu keineswegs von humanitären Anwandlungen beeindruckt. Israel nimmt die Hilfslieferungen wieder auf, weil seine internationalen Unterstützer langsam unruhig werden. Und weil, so Netanjahu, eine drastische Hungersnot in Gaza die israelische Militäroffensive gefährden könnte.

Das ist allerdings an Zynismus schwerlich zu überbieten. Geht es darum, dass eine Bevölkerung, die man weiter kreuz und quer durch den Gazastreifen scheuchen will, nicht komplett ausgehungert sein darf, sondern halbwegs fit sein muss? Gerade erst wurden die Bewohner des südlichen Gazastreifens zur Evakuierung aufgefordert; Tausende sind auf der Flucht. Wer bleibt, gerät in schwere Bombenangriffe; wer geht, landet im nächsten Elend. Und die jüngste Kriegsoffensive Israels zielt unverhohlen auf die komplette und dauerhafte Besetzung des Palästinensergebiets. Für die Zerstörung der Hamas wird »das, was vom Gazastreifen übrig geblieben ist, ausgelöscht«, sagt ein Minister Netanjahus. Das geht weit über jedes Recht auf Selbstverteidigung gegen islamistische Angriffe hinaus; das ist Vernichtungswille. Im Hintergrund stehen absurde Umsiedlungspläne, die ein Ziel haben: den Gazastreifen von Palästinensern zu säubern. Denen wird angesichts von etwa 50 000 Kriegstoten die Debatte egal sein, ob man von Genozid sprechen darf oder nicht. Sie werden sich vorerst über jeden Sack Reis oder Mehl freuen, der bei ihnen wieder ankommt. Der aber an ihrem dramatischen Schicksal kaum etwas ändert.

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