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Emilie Winkelmann: Frau am Bau

Vor 150 Jahren wurde Emilie Winkelmann geboren. Sie war die erste freischaffende Architektin in Deutschland – und bezog auch frauenpolitisch Stellung

  • Steffen Adam
  • Lesedauer: 6 Min.
Erbaut 1914/15 von Emilie Winkelmann: die Tribüne im Viktoria-Studienhaus, Berlin-Charlottenburg
Erbaut 1914/15 von Emilie Winkelmann: die Tribüne im Viktoria-Studienhaus, Berlin-Charlottenburg

Emilie Winkelmann wurde vor 150 Jahren am 8. Mai 1875 in Aken an der Elbe geboren. In der großväterlichen Zimmerei spielten die Enkel, lernten dort später das Handwerk. Die Eltern waren Lehrer. Emilie zimmerte in der Werkstatt und auf dem Bau. Die Wertschätzung zu allen am Bau beteiligten Handwerkern prägte Emilie Winkelmann für ihr ganzes Leben, dazu zeichnete sie präzise und akkurat.

Ihr wird früh die Anfertigung der erforderlichen technischen Werkpläne nach Entwürfen der Auftraggeber anvertraut. Aus der Umsetzung fremder Kreativität stellt sich bei Emilie schnell der Wunsch ein, selbst planerisch wirken zu dürfen. Dafür ist ein Studium der Architektur notwendig. Frauen sind im Preußen Kaiser Wilhelms II. an Universitäten nicht zugelassen. Also schreibt sich Emilie 1902 als »E. Winkelmann« an der Technischen Universität in Hannover ein. Das Immatrikulationsamt kann Emilie überzeugen, das Studium muss sie jedoch als »Hospitantin« absolvieren. Wie Häuser handwerklich aussehen müssen, weiß sie längst. Sie belegt daher, entsprechend des damals gängigen Historismus in der Baukunst, vorzugweise die Fächer Baugeschichte, Stilkunde und Ornamentik. Das Staatsexamen aber wird Emilie Winkelmann 1906 noch am Tage der Prüfung versagt.

1907 zieht Emilie Winkelmann in die aufstrebende Metropole an der Spree. In ihrer ersten Wohnung, Hohenstauffenstraße 49, Berlin W30, III. Hof richtet Emilie sofort ihr eigenes Büro ein. Selbstständig beteiligt sich Emilie an einem Wettbewerbsentwurf für einen Theater- und Versammlungssaal mit Wohnungen auf einem komplizierten Grundstück in der Blumenstraße in Friedrichhain. Emilie Winkelmann erringt den ersten Preis: Die Fachwelt ist begeistert – und das großbürgerliche Publikum auch.

Kontext Reformarchitektur

Aus persönlichen Erfahrungen hatte Winkelmann die ungeheure Bedeutung von Frauenrechten, Frauenbildung und Frauenwohlfahrt für beide Hälften der Bevölkerung erkannt. Sich für diese einzusetzen, falls nötig für diese zu streiten und zu kämpfen, war ihr selbstverständlich. Sie engagierte sich im Berliner Lyceum Club, der auch Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen ein Forum bot, darunter die bedeutende Grafikerin Käthe Kollwitz. Emilie Winkelmann erhält Aufträge von den Ehemännern der Lyceumsdamen für Villen und Landhäuser aus Babelsberg, Zehlendorf, Grunewald und Neu Westend.

Diese Entwürfe folgen der damals neusten Reformarchitektur in der Formensprache eines Hermann Muthesius, eines Ludwig Hoffmanns oder Alfred Messels. Winkelmann entwirft von nun an etwa drei bis fünf Villen pro Jahr und verstärkt Ihr Büro personell: Elisabeth von Knobelsdorf und Therese Mogger haben 1908 ihr Studium als Innenarchitektinnen mit Prüfung abschließen dürfen. Nun arbeiten sie mit anderen im Büro Winkelmann. Neue Räumlichkeiten müssen her. 1910 zieht Emilie samt Büro in die Geisbergstraße 43, I. Hof, Berlin W50.

Die Hotelbesitzerin Emma Tscheutschner aus dem Lyceum Club erinnerte sich in einem Brief an Joachim von Rosenberg zu ihrer Anfrage über den erforderlichen Umbau ihres Hotels, Kurfürstenstraße 112a Ecke Keithstraße: »Als ich Frl. Winkelmann den Hausplan vorlegte u. sie insbesondere auf die ärgerlichen Schwierigkeiten hinwies, die mir die drei Eckzimmer mit ihrem Eingang in jeder Etage bereiteten, sagte sie nach 12 Minuten des Überlegens – ich hatte die Uhr vor mir u. zufällig darauf gesehen: ›Ich weiß, wie man es machen könnte!‹ 2 Architekten u. den Erbauer des Hauses hatte ich vorher um Rat gefragt, wie man das Haus vorteilhafter ändern könnte. Keiner dieser drei Architekten wusste Rat – mit welcher Genialität meisterte Emilie W. alle Schwierigkeiten.«

Emilie Winkelmann, fotografiert 1908
Emilie Winkelmann, fotografiert 1908

Frau Tscheutschner beeindruckte nicht nur der Entwurf, sondern auch die kurze, dreimonatige Bauzeit. Nach Fertigstellung durfte Emilie Winkelmann 1912 ihr gesamtes Büro mit allen 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hochparterre und Zwischengeschoss des Hotels unterbringen. Der Hotelumbau begeisterte auch die Hotelgäste, Landadlige, die sich nach dem wunderbaren »Architekten« erkundigten. Sie alle besäßen Rittergüter oder Landsitze, die dringend des Umbaus und der Sanierung bedürften. Frau Tscheuschner verwies darauf, dass ihr Hotel nun mehr über ein Architekturbüro verfügt, betrieben und geleitet von Emilie Winkelmann, der ersten selbstständig freischaffenden Architektin in Deutschland.

Bauen für Frauen

1912 organisierte Gertrud Bäumer für den Lyceum Club in den Ausstellungshallen am Zoologischen Garten die Ausstellung »Die Frau in Haus und Beruf«. Emilie Winkelmann konnte sich daran mit 30 umgesetzten Projekten beteiligen. Die Ausstellung wurde sogar finanziell ein so großer Erfolg, der es dem Lyceum Club erlaubte, ein Wohnhaus am vornehmen Lützowplatz zu erwerben. Für den erforderlichen Umbau verpflichtete der Club seine rührige Architektin. Im gleichen Zeitraum war es der Genossenschaft für Frauenheimstätten gelungen, zur Wohnungsversorgung alleinstehender, berufstätiger Frauen und Ruheständlerinnen ein Baugrundstück im Babelsberg bei Potsdam zu erwerben. Emilie Winkelmanns Entwurf sah 14 separate Wohnungen um Gemeinschaftsräume und Gemeinschaftsküche vor. Das Haus wurde 1914 von jenen Frauen bezogen, »die sich nach der Mühe eines arbeitsreichen Daseins eine gewisse Selbständigkeit bewahren wollten, ohne dabei zu völliger Einsamkeit verdammt zu sein«. Der Lehrerinnenzölibat beispielsweise galt noch bis 1919!

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Große Bekanntheit errang Emilie Winkelmann mit ihrem Wettbewerbsgewinn zum Bau des »Haus der Frau« für die Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik auf der Leipziger Buchmesse 1914. Sie erhielt die goldene Medaille der Stadt für die Ausführung und gewann im selben Jahr den Wettbewerb zum Victoria-Studienhaus. Zur breiten Berliner Straße 37/38 (heute Otto-Suhr-Allee) legt Winkelmann in Sichtweite der Technischen Universität Charlottenburg einen großen Portikus mit Altan. In diesem Gebäudetrakt waren die Gemeinschafts- und Klassenräume sowie ein Hör- und Theatersaal untergebracht. Die Wohnräume der Studentinnen lagen in den Seitenflügeln, die einen parkartigen Garten umschlossen. An der hinteren Grundstücksgrenze blieben das Pförtner- und Kutscherhaus im Bestand erhalten. Die Sponsorin des Studienhauses für Frauen, Ottilie von Hansemann, gestattete es Winkelmann, das Kutscherhaus als Wohnung und Architekturbüro umzubauen und zu nutzen. Ab 1917 residiert Winkelmann in der Frauenhofer Straße 23–27.

Weimarer Republik und Weltkrieg

Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg wurden schwer für das Büro Winkelmann: Wer sich noch keine Villa hatte bauen lassen, baute auch keine mehr. Außerdem gab es mit dem Bauhaus in Weimar und dem Neuen Bauen nun eine neue zeitgemäße Architektursprache. Winkelmann verschließt sich dieser Moderne keineswegs. Mit dem Landhaus für Frau Irmgard Bennaton folgt sie der hanseatische Moderne eines Fritz Schumachers oder Karl Schneiders mit einer Fassade aus Klinkern. Als dann die Auftragslage trotzdem nicht mehr reicht, zieht die Architektin mit stark reduziertem Büro im in die Nürnberger Straße 7–8.

Ab 1933 bemühte sich Emilie Winkelmann, ihren Beruf fortsetzen zu können. Aber schon 1942 lässt sie der Architekt und Rüstungsminister Albert Speer auffordern, sich wie alle Architekten der Rüstungsproduktion zur Verfügung zu stellen. Frau von Saldern-Grünthal bietet Winkelmann Schutz und Versteck in dem von ihr saniertem Gut bei Bernau. Nach Bombardierung ziehen beide Frauen in das Anwesen Heovedissen in Leopoldshöhe. Hier erleben sie das Kriegsende. Winkelmann sieht die Not der Flüchtlinge und baut jeden freien Quadratmeter im Gut und im umliegenden Bestand zu Notunterkünften um.

Emilie Winkelmann starb am 4. August 1951.

Steffen Adam ist Architekt und gewählter Beisitzer im Vorstand des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg (AIV-BB). Im Februar dieses Jahres erschien im Bebra-Verlag sein Buch »100 Jahre GEHAG – Gegenwart und Zukunft des Solidarischen Wohnungsbaus« im Bebra Wissenschaftsverlag.

Frauen sind im Preußen Kaiser Wilhelms II. an Universitäten nicht zugelassen, also schreibt sich Emilie als »E. Winkelmann« ein.

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