Horte in Berlin: Die schleichende Privatisierung

Immer mehr Schulhorte werden von freien Trägern verantwortet – gegen den Protest von Gewerkschaftern

Bis zur dritten Klasse ist der Besuch des Schulhorts kostenfrei.
Bis zur dritten Klasse ist der Besuch des Schulhorts kostenfrei.

Zu schön, um wahr zu sein? An der Albert-Gutzmann-Grundschule in Wedding übernimmt der Basketball-Bundesligaverein Alba Berlin die Nachmittagsbetreuung der Schüler. Der Profi-Klub bietet den Kindern die Möglichkeit, bei einem Basketball-Schulvereinsteam mitzumachen, das in stadtweiten Ligen mitspielt. Auch andere Bewegungsangebote können genutzt werden, daneben gibt es auch Kunst- und Musik-AGs. 30 Erzieher, Sozialarbeiter und Coaches hat Alba für das Projekt angestellt.

An drei weiteren Schulen in Berlin agiert Alba als Träger in der ergänzenden Förderung und Betreuung an Grundschulen (eFöB), umgangssprachlich Schulhort genannt. Auch »nd« berichtete wohlwollend über das Projekt, es sei ein »kleines Großstadtmärchen«, schrieb nd-Redakteur Lennart Garbes im April. Die Senatsverwaltung hatte kurz zuvor gemeinsam mit Alba und dem Landessportbund eine Handreichung veröffentlicht, in der Sportvereine ermutigt werden, sich als freie Träger in der Nachmittagsbetreuung an Schulen zu engagieren.

»Wenn man das liest, denkt man sich: Endlich kommt der Sport an die Berliner Schulen«, sagt eine Erzieherin, die schon seit vielen Jahren im Hort einer Grundschule in Wedding arbeitet. »Dabei machen wir das schon seit Jahren.« An ihrer Schule gebe es neben mehreren Fußballmannschaften auch ein Bogenschießen-Angebot. »Für uns war die Handreichung ein ziemlicher Affront«, sagt sie.

Die Alba-Horte – an deren pädagogischem Konzept dem allgemeinen Vernehmen nach tatsächlich wenig auszusetzen ist – sind das Aushängeschild einer Entwicklung, die in ganz Berlin zu beobachten ist: In immer mehr Schulen wechselt die Hort-Betreuung aus der öffentlichen Hand an freie Träger. Neben den nur in wenigen Fällen tätigen Sportvereinen sind dies zumeist vorgeblich gemeinnützige Gesellschaften. Eine »Privatisierungsoffensive« nennt ein Erzieher im Gespräch mit »nd« den schleichenden Prozess. Strenggenommen ist das nicht ganz korrekt: Die Horte bleiben weiter in der Verantwortung des Staates, ihr Betrieb wird nur an freie Träger ausgelagert.

In der ergänzenden Förderung und Betreuung wird oft Nachhilfeunterricht und Hausaufgabenbetreuung angeboten. Dazu kommen Sport- und Kreativangebote. Zumeist umfasst die Betreuung für die Kinder auch die Möglichkeit des freien Spielens unter Aufsicht. Die Betreuung wird hauptsächlich von Erziehern getragen, teilweise sind auch Sozialarbeiter beteiligt. An vielen Schulen wird die Betreuung auch zu Ferienzeiten angeboten. Für die Klassenstufen eins bis drei ist sie kostenlos, für ältere Kinder wird eine Kostenbeteiligung der Eltern verlangt.

»Auch wenn die Trägerschaft gemeinnützig ist, sie findet in einer unternehmerischen Rechtsform statt«, sagt ein Erzieher, der anonym bleiben will. Er glaubt, dass hinter der Entwicklung eine Strategie steht. »Der Senat macht es für die Träger einfacher, in die Schulen reinzugehen«, sagt er. Dies stehe auch vor dem Hintergrund des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung, der ab 2026 bundesweit greifen wird.

Aktuell liegt an 138 der 476 Berliner Grundschulen die Verantwortung für die Nachmittagsbetreuung bei einem freien Träger. An 282 Schulen übernehmen schuleigene Kräfte die Betreuung, an 56 Schulen gibt es eine Mischform. Das geht aus einer Anfrage der SPD-Abgeordneten Maja Lasić hervor. Je nach Bezirk schwankt das Verhältnis erheblich. Anteilsmäßig am stärksten sind freie Träger im Bezirk Mitte vertreten, wo nur noch ein Viertel der Grundschulen die Nachmittagsbetreuung selbst trägt.

Die Entscheidung darüber, ob der Hort von Landesbeschäftigten oder einem freien Träger betreut wird, treffen die Schulen selbst. Entscheidet sich die Schule für einen freien Träger, schließt sie einen Kooperationsvertrag ab, in dem Vorgaben für die Betreuung gemacht werden. »Jede Schule entscheidet, welche Kooperationen zu ihrem Schulkonzept passen und von welchen Kooperationen die Kinder am meisten profitieren«, erklärt ein Sprecher der Senatsbildungsverwaltung auf nd-Anfrage. Zuletzt wurden die Hürden für einen Wechsel entscheidend gesenkt: Musste bislang die Gesamtkonferenz einer Schule mit Zwei-Drittel-Mehrheit über den Wechsel zu einem freien Träger entscheiden, genügt nun ein Beschluss der deutlich kleineren Schulkonferenz.

»Die freien Träger werben aggressiv für sich«, sagt eine Erzieherin, die das Gebaren der Träger aus nächster Nähe kennt. »Die sind wie eine Werbeagentur.« Vor allem bei Schulleitern, die neu ins Amt kommen, buhlen die freien Trägern oft um einen Trägerwechsel. »Die bringen dann schicke Präsentationen mit«, sagt eine andere Erzieherin. Die dort gemachten Versprechen würden nicht immer gehalten. Ihr seien Schulen bekannt, in denen ein Großteil des angekündigten Programms am Ende nicht stattgefunden habe. »Die Kinder haben sich dann gelangweilt«, sagt sie.

Hört man sich bei Eltern um, ergibt sich kein eindeutiges Bild: An manchen Schulen habe sich die Qualität der Betreuung durch den Wechsel durchaus verbessert, heißt es von manchen, an anderen häuften sich seit dem Wechsel die Probleme. »Es geht nicht darum, die Arbeit der Kollegen schlechtzureden«, sagt ein Erzieher. Die Arbeitsabläufe seien bei freien Trägern nicht grundsätzlich anders. Und zur Wahrheit gehört auch: Auch bei Horten in öffentlicher Trägerschaft gibt es teils erhebliche Qualitätsunterschiede.

Die Arbeit mit freien Trägern steht allerdings vor einer Hürde: Während beim Land beschäftigte Erzieher Teil des Kollegiums einer Schule sind, sind die freien Träger von der restlichen Schulgemeinschaft weitgehend getrennt. »Wir sind immer in der Struktur drin«, sagt eine beim Land angestellte Erzieherin. »Bei der freien Trägerschaft ist man ein Dienstleister. Das ist ein ganz anderes Verhältnis.« Beschäftigte bei freien Trägern sind zwar in der Gesamtkonferenz einer Schule stimmberechtigt, der Schulleiter ist ihnen gegenüber aber nicht weisungsbefugt. Dadurch seien sie weniger an das pädagogische Gesamtkonzept angebunden, Qualitätsentwicklung werde so erschwert. »Wenn alles ineinander verzahnt ist, läuft es viel besser«, sagt sie.

Die freien Träger seien über einen Vertreter in der erweiterten Schulleitung in die Schulentwicklung eingebunden, erklärt die Bildungsverwaltung. Es komme seitens der Schulleitung nur selten zu Beschwerden über die Arbeit der freien Träger. »Ein Wechsel zurück zu einer Kooperation mit öffentlichem Personal ist in den letzten 15 Jahren genau zweimal von Schulen beantragt worden«, schreibt ein Sprecher.

Für Arbeitnehmervertreter besonders ins Gewicht fallen die erheblichen Unterschiede bei den Arbeitsbedingungen. »Wenn man sich die Verträge bei den freien Trägern anguckt, dann sind die in den meisten Fällen schlechter«, sagt eine Erzieherin im Landesdienst. Zumeist seien die Arbeitsverträge nur an den Tarifvertrag der Länder, der für die im Landesdienst stehenden Erzieher gilt, angelehnt. Häufig würden die Arbeitsverträge zudem nur befristet für ein oder zwei Jahre und in Teilzeit ausgestellt – im öffentlichen Dienst ist dagegen eine unbefristete Beschäftigung in Vollzeit üblich.

»Die freien Träger sind wie eine Werbeagentur.«

Eine Erzieherin

»Das Land Berlin geht davon aus, dass die Fachkräfte nach Tarif bezahlt werden«, sagt ein Sprecher der Bildungsverwaltung. Die Tariftreue werde durch die Senatsfinanzverwaltung geprüft. »Arbeitsplatzsicherheit dürfte im Spiegel des Fachkräftemangels auch kein Problem sein«, heißt es weiter.

»Mit den Angestellten bei den freien Trägern kann gut jongliert werden, ohne dass sie sich wehren können«, hat eine Erzieherin beobachtet. Denn zumeist gebe es bei den freien Trägern keinen Betriebsrat. Die Folge: »Man kann viel mehr Schindluder treiben mit den Kollegen.« Dem berlinweit größten Träger im Bereich Schulhorte, die Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft, werfen Gewerkschafter vor, mit verschiedenen Tricks die Einrichtung eines Betriebsrats verhindern zu wollen. Zuletzt geriet die Gesellschaft in die Schlagzeilen, als sie nach einem Gerichtsbeschluss eine Sozialarbeiterin wieder einstellen musste, der sie wegen eines Rundbriefs gekündigt hatte.

Die Vielzahl freier Träger führe dazu, dass die Arbeitnehmerschaft »zersplittert wird«, warnt ein Gewerkschafter. Die Erzieher sprächen dann nicht mehr mit einer Stimme und könnten nicht mehr gemeinsam einen Tarifvertrag aushandeln. »Wenn wir eine kleine Gruppe sind, dann können wir für uns etwas aushandeln, aber es ist nicht mehr die Richtschnur«, sagt er.

»Arbeitsrechte werden erodiert«, sagt Maja Lasić, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Sie vermutet, dass genau das aber der Grund dafür sein könnte, warum freie Träger so häufig den Zuschlag für die Horte erhalten: »Sie sind einfach billiger.«

Grundsätzlich lehne sie die Beteiligung freier Träger an der Nachmittagsbetreuung nicht ab. »Man kann die nicht alle über einen Kamm scheren«, sagt sie. Aktuell sei aber zu beobachten, dass sich die freien Träger weitgehend ungesteuert in den Horten ausbreiten. »Die Bildungsverwaltung hält sich da raus«, sagt Lasić. Stattdessen müsse man zu einem »gesunden Mischungsverhältnis« kommen. Dafür müsse die Bildungsverwaltung Anreize setzen, um eine Kooperation mit Landesbeschäftigten für die Schulen attraktiver zu machen. »Es braucht eine Steuerung aus einem Guss«, so Lasić.

Zumindest offiziell will die Bildungsverwaltung auf eine solche Steuerung aber lieber verzichten. Auf die nd-Anfrage, ob die Bildungsverwaltung bei der Trägerschaft der Schulhorte eine Strategie verfolge, verweist ein Sprecher auf die »Eigenverantwortung« der Schulen.

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