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Wasserboxen mit Dschinghis Khan
Unsere Kolumnistin schwört auf die Aqua-Kurse in ihrem Fintessstudio – inklusive der musikalischen Begleitung
Die Marmorplatte unter Beinen und Po ist mäßig heiß, die Säule aus Mosaiksteinchen im Rücken angenehm kühl. Ich creme mir das Gesicht ein und schließe die Augen. Da ploppt er auf, der neue Ohrwurm: Papa Americano.
Vor drei Jahren hatte ich meinen Bandscheibenvorfall überstanden, Kur und ambulante Reha absolviert, als ich hier landete – in meinem Fitnessstudio, das einem Traum entsprungen scheint: Es verfügt über Pool nebst Sportbahn, einen separaten Frauen-Sauna-Dampfbad-Bereich und bietet sechs Tage pro Woche Aqua-Kurse an. Als Dessert kann man von der Dachterrasse in die umliegenden Büros am Gendarmenmarkt lugen oder den Tauben, die unter der Holzbohlendecke nisten, beim Gurren lauschen.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Erst die Arbeit. Zunächst knechtete ich mich mit Yoga, Laufband und fürchterlichen Geräten, bis ich nach ein paar Wochen mit mir übereinkam, dass Aqua-Kurse am besten zu mir passen. Die Kursleitenden bieten morgens jeweils zwei bis drei davon an, manche starten um acht, andere weit nach neun. Nunmehr turne ich zu Wochenbeginn und oft auch freitags gegen zehn Uhr eine halbe Stunde im Takt. Wir sind zwischen zehn und zwanzig, meist weibliche, über die App angemeldete Club-Mitglieder, Altersdurchschnitt 50 Jahre.
Wer anleitet, bringt Musik mit. Wir stehen in zwei Reihen im schulterhohen Wasser bereit, während hinter uns auf der Sportbahn geschwommen wird. Das Musikprogramm ist so eigenwillig wie der Stil des Lehrenden: Von Schlagermusik über Zumba, Neue Deutsche Welle und Techno ist (außer Blasmusik und Punk) alles vertreten. Dann geht es los, die Trainer und Trainerinnen turnen vor, wir machen es nach. Nach dem Aufwärmen mit Nudeln oder Hanteln.
Manch Trainer übt komplexe Choreografien mit uns ein, zweimal dies, dreimal das, drehen, springen, durchs halbe Becken tanzen. Bei solchen Abläufen verheddere ich mich gern, besonders, wenn die Arme etwas anderes als die Beine tun sollen. Einfacher ist es, wenn wir mit Schaumstoff-Hanteln schnell unter Wasser boxen und dabei auf der Stelle joggen. Falls die zackige Trainerin dazu noch Dschinghis Khan laufen lässt und uns mit kleinen Hu- und Ha-Rufen anfeuert, prügeln wir das Wasser wie Besessene. Ich renne, boxe und träume. Mir gelingen gedanklich lang gesuchte Textanfänge, mir fällt eine aufgeschobene E-Mail-Antwort ein oder der schon verloren geglaubte Albtraum der letzten Nacht.
Wir schwingen die Nudeln, pflügen das Wasser, drücken die Hanteln – und sind glücklich. Manchmal bricht Gelächter aus, zum Beispiel wenn wir in die Griffe der Hanteln steigen und darauf herumwatscheln sollen oder uns die Nudeln nicht gehorchen und aus dem Wasser schießen. Beim abschließenden Achten-Malen mit den Füßen greife ich schon nach meiner Schwimmbrille am Beckenrand. Noch einmal ein- und ausatmen, Brust weiten, klatschen und Schluss. Ich tauche rüber auf die Sportbahn und schwimme eine halbe Stunde. Der Schwung meiner Damen ist dann durch, ich habe öfters Sauna und Dampfbad für mich allein. Hänge meinen Gedanken nach, bis er mich erwischt – der neue Ohrwurm aus dem Kurs.
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