Der Globale Süden ächzt unter der Schuldenlast

Zins- und Tilgungszahlungen liegen in vielen Ländern über Ausgaben für Bildung und Gesundheit

Die Generation Z. stand in Kenia in vorderster Reihe bei den Kundgebungen gegen die Steuererhöhungen, die im Rahmen der Sparpolitik geplant waren.
Die Generation Z. stand in Kenia in vorderster Reihe bei den Kundgebungen gegen die Steuererhöhungen, die im Rahmen der Sparpolitik geplant waren.

Die globale Schuldenlast ist erdrückend und wächst. »Mehr als die Hälfte der Niedrig- und Mitteleinkommensländer ist durch den Schuldendienst an ausländische Gläubiger hoch oder sehr hoch belastet«, nennt Malina Stutz bei der Vorstellung des Schuldenreports 2025 eine der zentralen Erkenntnisse der Analyse. Stutz ist politische Referentin beim deutschen Entschuldungsbündnis Erlassjahr.de, das den Schuldenreport alljährlich zusammen mit dem katholischen Hilfswerk Misereor herausgibt.

47 der 198 untersuchten Länder gelten laut Stutz als sehr hoch belastet: »Das heißt, sie müssen in den kommenden drei Jahren durchschnittlich mehr als 15 Prozent ihrer Staatseinnahmen in Form von Zins- und Tilgungszahlungen an ihre ausländischen Gläubiger abführen.« Und das hat konkrete Folgen für die Menschen in diesen Ländern: »Wir müssen davon ausgehen, dass mindestens in den 47 Ländern aufgrund der hohen Schuldenlast Menschenrechte verletzt werden«, erläutert Stutz, eine der Hauptautor*innen des Berichts. Gemeint sind damit beispielsweise grundlegende Rechte auf Bildung, Gesundheit oder Ernährung. Extreme Beispiele seien der Libanon und Laos, die im Schnitt 88 beziehungsweise 77 Prozent ihrer Staatseinnahmen in den kommenden drei Jahren aufbringen müssten, um den Schuldendienst an ausländische Gläubiger zu leisten. Das sei jenseits ihrer Möglichkeiten, weshalb beide bereits den Zahlungsausfall erklärt hätten. In solchen Fällen stehen dann Umschuldungsverhandlungen an, die die Schuldenlast auf ein tragfähiges Maß senken sollen. Dass die Restrukturierung von Schulden aber nicht zwingend zu einer dauerhaften Entlastung der Schuldnerländer führe, zeigten die Beispiele Suriname und Sri Lanka. »Beide Länder gehören trotz abgeschlossener Umschuldung weiterhin zu den 47 sehr hoch belasteten Ländern.«

Trauriger Negativrekord beim Schuldendienst

2024 war der Schuldendienst für Länder im Globalen Süden so hoch wie noch nie. »Es ist ein trauriger Negativrekord«, sagt Klaus Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor und Mitautor des Schuldenreports 2025. »Mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Tag fließen aus Ländern des Globalen Südens in den Schuldendienst. Mehr als 3,3 Milliarden Menschen leben in Ländern, die mehr für den Schuldendienst ausgeben als sie in Bildung und Gesundheit investieren.«

Kenia und Pakistan gehören zu den 47 sehr hoch belasteten Ländern. Sie versuchten bisher unter allen Umständen, einen Zahlungsausfall zu vermeiden. »Kenia steckt in einem Teufelskreis aus Staatsverschuldung, drastischen Steuererhöhungen und steigenden Lebenshaltungskosten«, erläutert Schilder mit Blick auf ein Partnerland von Misereor. Die Folgen sind vielerorts drückende Armut. Rund ein Viertel der Staatseinnahmen flösse in den Schuldendienst – fast fünfmal so viel wie in das Gesundheitswesen, beschreibt Schilder die Diskrepanz und zitiert den kenianischen Kollegen Collins Liko, der seine Länderexpertise in den Schuldenreport eingebracht hat: »Kenia zahlt einen hohen Preis für den Schuldendienst, der vor allem von den verarmten Gemeinschaften getragen wird.« In Kenia protestierte im vergangenen Sommer die Generation Z, die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, gegen die vom Internationalen Währungsfonds geforderten Steuererhöhungen. Nach mehr als 50 Toten durch Polizeirepression zog die Regierung zwar die ursprünglichen Steuerpläne zurück, der Teufelskreis aber blieb erhalten.

Die Folgen des hohen Schuldendienstes für die 47 Länder macht Schilder deutlich: »Ihr fiskalpolitischer Handlungsspielraum ist dadurch massiv eingeschränkt. In diesen Ländern sind etwa 231 Millionen Menschen von extremer Armut betroffen. Das sind rund 18 Prozent der Bevölkerung und damit gut doppelt so viele wie im weltweiten Durchschnitt. Das ist ein echtes Armutszeugnis im 21. Jahrhundert.«

Neben den 47 sehr hoch belasteten Ländern ist der fiskalpolitische Handlungsspielraum in weiteren 28 Ländern durch hohe Zins- und Tilgungszahlungen stark begrenzt. Besonders hoch ist die Schuldenlast in vielen Staaten in Subsahara-Afrika, wo sich 25 Länder in einer öffentlichen Auslandsschuldenkrise befinden. Als hoch belastet gilt ein Haushalt, wenn der Schuldendienst mindestens zehn Prozent der Staatseinnahmen verschlingt, als sehr hoch ab 15 Prozent. Zum Vergleich führt Stutz Deutschland an: 3,8 Prozent – ein deutlich niedrigeres Niveau.

Nationale Reformanstrengungen allein reichen nicht

In diesem Jahr wurden erstmals alle Länder weltweit in die Analyse des Schuldenreports aufgenommen. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse machen deutlich, dass insbesondere Länder des Globalen Südens einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, in eine öffentliche Auslandsschuldenkrise zu geraten. »Zwar setzen viele Schuldnerstaaten auf nationale Reformanstrengungen, doch diese allein können das Krisenrisiko kaum verringern«, kritisiert Stutz. Die Länder seien weiterhin massiv benachteiligt, denn ihr Zugang zu Kreditfinanzierungen ist gegenüber Ländern mit höherer Bonität wie beispielsweise Deutschland deutlich erschwert. »Um dauerhaft wirksame Lösungen zu schaffen, braucht es deshalb tiefgreifende Reformen der internationalen Finanzarchitektur.«

Über eine solche Reform wird seit Jahrzehnten diskutiert. Demnächst steht die 4. Internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD4) an, die vom 30. Juni bis 3. Juli 2025 in Sevilla stattfindet. »Die neue Bundesregierung muss sich jetzt klar positionieren und in den Vorbereitungen für Sevilla Reformvorschläge aus dem Globalen Süden aufgreifen. Dazu zählt insbesondere, einen zwischenstaatlichen Prozess unter dem Dach der Vereinten Nationen zu unterstützen, mit dem endlich ein faires Staateninsolvenzverfahren auf den Weg gebracht werden kann«, fordern Schilder und Stutz unisono. Um dem Aufruf Nachdruck zu verleihen, bedarf es eines erhöhten Drucks. Die zivilgesellschaftliche Kampagne »Erlassjahr 2025 – Turn Debt into Hope« will dafür sorgen und Schulden in Hoffnung verwandeln.

Wir sind käuflich.

Aber nur für unsere Leser*innen. Damit nd.bleibt.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Werden Sie Teil unserer solidarischen Finanzierung und helfen Sie mit, unabhängigen Journalismus möglich zu machen.