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Beim Giro d’Italia wartet der Schrecken der Berge
Das erste große Etappenrennen des Jahres geht in den Alpen in die dritte und entscheidende Woche
Die zwei Wochen bisher waren eine Art Vorspiel. Es wurde aussortiert. Einige Männer mit Ambitionen sind längst zu Hause. Giulio Ciccone etwa, Italiens Klassementhoffnung, reiste nach Sturzverletzung bereits ab. Vom Aus bedroht ist auch Primož Roglič. Der Slowene stürzte mehrfach. Die Blessuren zweier Stürze behindern ihn. »Wir haben das bisher gut verheimlichen können«, sagte sein sportlicher Leiter Christian Pömer am Sonntag. Aber spätestens die Etappe nach Asiago gab Aufschluss darüber, dass der Slowene nicht in allerbester Verfassung ist.
Roglič verlor anderthalb Minuten auf die Konkurrenz, weil er einem Angriff des Kolumbianers Egan Bernal nicht folgen konnte. Am Samstag, im heimischen Slowenien, wurde er durch einen Massensturz aufgehalten und verlor 48 Sekunden auf den Gesamtführenden Isaac Del Toro. Auch bei den Sprints um Bonussekunden hielt sich der gewöhnlich recht explosive ehemalige Skispringer auffallend zurück. »Primož hat Schmerzen. Er ist ein großer Kämpfer. Aber jetzt müssen die Ärzte entscheiden, wie es weitergeht«, sagte Pömer.
Die Woche der Sägezahnprofile
Die Vorfreude des Slowenen auf die Berge ist also mindestens getrübt. An diesem Dienstag stehen gleich fünf Gipfel auf dem Programm, der höchste mit 1196 Metern ist der San Valentino. Am Mittwoch geht es knapp unter die 2000-Meter-Grenze mit Tonale-Pass und dem legendären Mortirolo. Am Donnerstag wartet eine kurze Erholung mit einer Sprintetappe, bevor am Freitag wieder ein Sägezahnprofil mit fünf Anstiegen und am Samstag der Ausflug über den Colle delle Finestre nach Sestriere ansteht. In den Alpen wird der diesjährige Giro entschieden.
Auf die Etappen mit den vielen Höhenmetern freuen sich vor allem zwei Südamerikaner. Richard Carapaz und Egan Bernal haben den Giro in der Vergangenheit schon gewonnen, der Kolumbianer 2021, der Ecuadorianer 2019. Beide eint ihre große Widerstandsfähigkeit. Genau deshalb lancierte Bernal seine bisherigen Attacken schon knapp 100 Kilometer vor dem Ziel. »Egans Stärke ist die Erholungsfähigkeit und die Resistenz gegen Ermüdung. Deshalb müssen wir die Rennen schwer machen«, nannte sein sportlicher Leiter Zak Dempster gegenüber »nd« ganz rationale Gründe für das überraschende Vorgehen.
Bei der Konkurrenz löste das Respekt aus. Isaac Del Toro, der Gesamtführende, ging noch locker mit. Sein Teamkollege Juan Ayuso, derzeit auf Platz drei, hatte etwas Probleme. Carapaz hingegen nutzte die Verwirrung, die Bernals Attacke auf der elften Etappe ausgelöst hatte, für den Tagessieg. Das könnte das Muster für die dritte Woche sein.
UAE Emirates mit der doppelten Siegchance
Denn für Del Toro (21 Jahre jung) und Ayuso (22) ist der Kampf um den Sieg bei einer großen Rundfahrt noch Neuland. Beide haben zwar schon Grand-Tour-Erfahrung. Aber für Ayuso ist es das erste Mal, dass er als Kapitän mit Siegambitionen an den Start geht. Und prompt hat er Del Toro, der eigentlich nur Erfahrung sammeln sollte, teamintern vor sich. Das wird ein kitzliges Spiel bei UAE Emirates. Unpassend, dass ausgerechnet jetzt, wo es auf gute Kommunikation ankommt, dem Taktikfuchs im Rennstall, Matxin Fernandez, die Stimme wegen einer Virusinfektion versagt. »Für uns ändert sich nicht viel. Wir wollen als Team den Giro gewinnen. Welcher Fahrer am Ende vorn ist, ist für uns nebensächlich«, krächzte er, kaum verständlich, »nd« zu.
Für die beiden Fahrer selbst dürfte es weniger nebensächlich sein, wer gewinnt. Wie der Rennstall mit dieser Situation umgeht, wird spannend. Bei Jumbo-Visma führte diese Konstellation einst zum Dreifach-Sieg bei der Vuelta 2023. Aber kurz darauf flüchtete Primož Roglič, der eigentliche Kapitän, der laut Stallorder dem US-Amerikaner Sepp Kuss den Vortritt lassen musste, zum Team Bora-hansgrohe. Die Dominanz jenes Jahres erreichte der niederländische Rennstall danach nie wieder.
Immerhin hat Visma jetzt einen neuen Trumpf im Ärmel. Neuzugang Simon Yates fuhr bisher fehlerfrei, aber auch extrem unauffällig auf Rang zwei. »Sein Plus ist die große Erfahrung gegenüber der noch recht jungen UAE-Mannschaft«, macht sich sein sportlicher Leiter Marc Reef Hoffnung. Yates, eine gute Dekade älter als die beiden UAE-Fahrer, kann immerhin aus eigener Erfahrung sagen, wie es ist, am Colle delle Finestre einzubrechen. Nach fast zwei Wochen im rosa Trikot fuhr ihn 2018 ein gewisser Chris Froome aus den Pedalen. Es war der Schlussakkord eines historischen Giro. Mal sehen, ob diese Ausgabe damit standhalten kann.
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