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Draufzahlen für Facharzt-Termine?
Der Ärztetag berät auch darüber, wie eine bessere Patientensteuerung Versorgungslücken schließen könnte
Könnte es bald einfacher sein, einen Facharzttermin zu bekommen? Ein sogenanntes Primärarztsystem soll hier helfen, so jedenfalls Pläne der Bundesregierung. Das würde bedeuten, dass Patienten in der Regel zuerst eine Hausarztpraxis aufsuchen. Letztere könnte entweder selbst die gesamte Behandlung übernehmen oder den Patienten bei Bedarf zu Fachärzten überweisen. Die Idee ist, wie auch Ärztekammerchef Klaus Reinhardt suggeriert, dass dann Patienten von Anfang an schneller zum geeignetsten Versorgungsort kommen. So könnten unnötige Facharzttermine vermieden und damit Kosten gespart werden. Weil das Thema stark in die Arbeit der niedergelassenen Ärzte eingreift, wird es auch auf dem Ärztetag in Leipzig in dieser Woche für Diskussionen sorgen.
Einerseits begrüßen Teile der Ärzteschaft ein solches System, es gab bereits den Vorschlag, dass hier noch eine Steuerung über Gebühren aufgesetzt werden sollte: Wer durchaus auf eigene Faust und per eigener Entscheidung zuerst und sofort bei einem Facharzt seiner Wahl behandelt werden will, soll zusätzlich zahlen. Wer sich in die Vermittlung über Allgemeinmediziner einreiht, kommt hingegen finanziell relativ ungeschoren davon. Andererseits setzt schon am Punkt der Kostenersparnis der Dissens ein, der nicht nur von Kammerpräsident Reinhardt selbst kommt. Zum einen ergeben sich steigende Kosten vielmehr aus einer älter werdenden Bevölkerung mit mehr Krankheiten. Ein anderer Ausgabentreiber sind exorbitante Therapiekosten für wenige Erkrankungen, unter anderem in der Krebsmedizin oder bei Erbkrankheiten. Ungünstiges Verhalten in Bezug auf die eigene Gesundheit, darunter zu wenig Bewegung und zu viel vom falschen Essen, befördern Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden.
Bereits jetzt verhalten sich rund 21 Millionen gesetzlich Versicherte so, als gäbe es schon ein Primärarztsystem.
Gegen zu große Hoffnungen auf Effekte eines Primärarztsystems spricht aber noch mehr: Es ist nicht nur ein Eindruck, dass sich viele Patienten ohnehin schon so verhalten, wie es das System vorgeben würde. Das hat zuletzt auch eine Auswertung von Behandlungsfällen ergeben, die am Dienstag vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) veröffentlicht wurde. Demnach würden sich deutlich weniger zusätzliche Hausarztkontakte ergeben als erwartet beziehungsweise befürchtet. In der günstigsten Variante wären es nur zwei zusätzliche Kontakte pro Tag und Praxis, im schlechtesten Fall kamen die Wissenschaftler auf 2000 zusätzliche Behandlungsfälle pro Jahr und Praxis. Nach den Zi-Angaben verhalten sich bereits jetzt rund 21 Millionen gesetzlich Versicherte so, als gäbe es bereits ein Primärarztsystem.
Es könnte sein, dass ein anderes Thema im Gesundheitssystem deutlich mehr Sparpotenzial hat als der steuernde Hausarzt. Dass es sich hierbei um Künstliche Intelligenz (KI) handelt, ist nicht überraschend. Kurz vor dem Ärztetag fand dazu ein Forum mit jungen Medizinern statt, die der Technologie auf jeden Fall offen gegenüberstehen. Zu den dort vorgestellten technischen Lösungen gehört eine, die von der Jameda GmbH (bekannt durch ein gleichnamiges Buchungsportal für Arzttermine) entwickelt wird. Damit ließe sich der Dokumentationsaufwand um bis zu 70 Prozent reduzieren, berichteten Fachmedien. Am Anfang steht hier eine Audioaufnahme – meist vom Gespräch mit dem Patienten. Deren Inhalte werden einem Wunschziel entsprechend strukturiert, können also in einen Behandlungsplan, ein Aufklärungsprotokoll oder in einen Arztbrief einfließen.
Bei anderen auf dem Forum präsentierten Anwendungen geht es darum, Wissen aus medizinischen Leitlinien und Datenbanken den Ärzten niedrigschwellig bereitzustellen. Sie müssen dann nicht selbst aufwendig suchen, sondern erhalten über einfache Textanfragen die passenden Empfehlungen. Oder es können Komplikationen von Patienten auf Intensivstationen vorhergesehen oder vermieden werden. Trainiert wurde diese KI mit Routinedaten, die auf jeder dieser Stationen erfasst werden.
Allgemein wurde auf der Veranstaltung aber auch diskutiert, wie Patientendaten zu sichern sind und eben nicht unversehens über die KI-Werkzeuge an Unternehmen im außereuropäischen Ausland gelangen. Andererseits müssten auch die Patienten selbst bei einer Einbindung von KI mitgenommen werden. Zur Umsetzung bedarf es einer soliden digitalen Infrastruktur, unter anderem müsste auch die elektronische Patientenakte tatsächlich im Alltag funktionieren. Das wurde aber bis jetzt in der Fläche noch nicht erreicht – auch hier besteht also aus Ärztesicht noch Verbesserungs- und Diskussionsbedarf. Immerhin bewerten 78 Prozent der Ärzte in Deutschland einer neuen Studie zufolge KI als große Chance für die Medizin, zugleich forderten 76 Prozent eine strenge Regulierung.
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Eines der strittigsten Themen auf dem diesjährigen Ärztetag wird vermutlich die Neufassung der Gebührenordnung Ärzte (GOÄ) sein. Diese regelt die Entgelte für ärztliche Tätigkeiten, die für privat Versicherte oder Selbstzahler erbracht werden. Das Thema tangiert damit auch jene gesetzlich Versicherten, die sich entscheiden, eine sogenannte individuelle Gesundheitsleistung (Igel) in Anspruch zu nehmen, für die gesetzliche Kassen nicht aufkommen.
Die Gebührenordnung war 1982 erlassen und 1996 zum letzten Mal angepasst worden. Neue Therapien und Methoden wurden nicht eingearbeitet, sondern mussten analog zu den vorhandenen abgerechnet werden. Entsprechende Einordnungen sorgten immer häufiger für Rechtsstreitereien.
Über eine neue Version verhandeln Bundesärztekammer, Beihilfe (Krankensicherungssystem für Beamte und Richter) und der Verband der privaten Krankenversicherung seit Jahren. Eigentlich war eine Einigung dieser Akteure erzielt worden, aber nach deren Bekanntwerden gab es viele Nachbesserungswünsche. Zuletzt hatte die Krankenhausgesellschaft Bedenken geäußert: Sie forderte eine Auswirkungsanalyse und wollte so Benachteiligungen der Klinikärzte verhindern.
Der Ärztetag muss nun entscheiden, ob der überarbeitete GOÄ-Entwurf als Kompromiss an das Bundesgesundheitsministerium übergeben werden kann. Das Ministerium müsste dann das Novellierungsverfahren einleiten. Ob letztendlich auch die Bundesländer bereit wären, die Neufassung umzusetzen, ist unklar. Wenn die Vergütungen in der Folge jedoch stark ansteigen, könnte es hier Widerstand geben, denn eben über die Beihilfe entstehen den Ländern immer höhere Kosten.
Sollte die Novellierung jedoch auf den Weg kommen, empfiehlt ein neues Rechtsgutachten, das Regelwerk laufend und periodisch zu überarbeiten und zu aktualisieren. Der Ärztetag wird sich also mit etlichen Themen befassen, welche die Kosten des Gesundheitswesens nicht absehbar senken werden.
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