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Jugendliche Neonazis bauen permanente Bedrohungslage auf

Im Nordosten von Berlin nimmt die Präsenz von lose organisierten, rechtsextremen Jugendgangs merklich zu

Die von rechten Jugendlichen gestörte Antifa-Veranstaltung fand wenige hundert Meter entfernt vom S-Bahnhof Wartenberg statt.
Die von rechten Jugendlichen gestörte Antifa-Veranstaltung fand wenige hundert Meter entfernt vom S-Bahnhof Wartenberg statt.

Im Berliner Ortsteil Hohenschönhausen ist eine linke Veranstaltung von vermeintlich jungen Neonazis gestört worden. Darüber informierten Organisator*innen des Abends, das »Offene Antifa-Treffen Hohenschönhausen«, in einer selbst verbreiteten Mitteilung. Der Vorfall fügt sich in die jüngste Entwicklung im Bezirk Lichtenberg ein. Die Veranstalter*innen kritisieren den Versuch der schnell eingetroffenen Polizei, die Räumlichkeiten zu durchsuchen, die Ziel der Störaktion waren.

Am Freitag sollte in einem alternativen Kulturzentrum nahe dem S-Bahnhof Wartenberg im Rahmen eines offenen Antifa-Treffens über eine in Jena geplante Demonstration für inhaftierte Linke informiert werden. Auch Bus-Tickets für die Anreise konnten dort erworben werden. Doch der Abend verlief anders als von den Veranstalter*innen geplant – mal wieder.

»Die Veranstaltung war ordentlich besucht«, erzählen zwei Augenzeug*innen. Doch während drinnen ein Vortrag lief, hätten sich von außen sechs vermummte Personen dem Veranstaltungsort genähert. »Statt dem Vortrag weiter zuzuhören, mussten wir den Laden schützen«, berichten die beiden Augenzeug*innen. »Die kamen in voller Montur. Ich dachte, was passiert hier jetzt gleich«, sagt eine*r.

Dann sei aber sehr schnell die Polizei mit Sirene vorgefahren, woraufhin sich die Gruppe entfernt habe, schildern die Augenzeug*innen. »Es kam jetzt zu keiner Konfrontation oder so, dazu waren sie noch zu weit weg. Ich kann nicht abschätzen, was uns da sonst geblüht hätte.«

Glaubt man den Schilderungen der Betroffenen, so hat das schnelle Eintreffen der Polizei womöglich Schlimmeres verhindert. Allerdings kritisieren sie gleichwohl, dass die Maßnahmen der Polizei sich sehr schnell auf sie als Betroffene fokussierten. »Statt die Gruppe, die uns offensichtlich bedrohte, zu konfrontieren, hatten wir den Eindruck, die Polizei war unseretwegen gekommen«, schildern die Augenzeug*innen ihre Eindrücke. Die Beamt*innen wollten demnach den Veranstaltungsort durchsuchen.

Anderthalb Stunden lang hätten die Einsatzkräfte versucht, einen richterlichen Beschluss dafür zu bekommen, seien am Ende aber ohne Erfolg geblieben. Als Grundlage für die Maßnahme sollen die Polizeibeamt*innen den Verdacht eines »versuchten schweren Landfriedensbruchs« genannt haben. Den ganzen Abend über seien »im Kiez noch vermehrt rechte Jugendliche unterwegs« gewesen.

Die Polizei kann am Sonntag keine weiteren Auskünfte zu dem Einsatz geben. Eine Sprecherin verweist auf die dünne Besetzung der Pressestelle. Die Aussagen des Lichtenberger Linke-Politikers und Rechtsanwalts Antonio Leonhardt decken sich aber im Wesentlichen mit dem Bericht der Aktivist*innen, mit denen »nd« sprechen konnte.

»Wir sehen uns eher mit ganz jungen lose organisierten Jugendgangs konfrontiert, die vor allem offen auftreten und im Straßenbild präsent sind.«

Aktivist*in vom Offenen Antifa-Treffen Hohenschönhausen

Er sei zunächst informiert worden, dass vor Ort am alternativen Kulturzentrum »wb13« eine neonazistische Bedrohungsituation vorgelegen habe. Später habe er dann einen Anruf erhalten, dass die Polizei den Veranstaltungsort durchsuchen wolle. Er sei kurz darauf dorthin gefahren, um an der Seite der Verantwortlichen der Location die Lage zu klären und eine Durchsuchung abzuwenden.

»Es stellte sich heraus«, sagt Leonhardt, »dass die Polizeikräfte versuchten, auf Grundlage eines nicht strafbaren Tatbestandes, nämlich ›versuchten schweren Landfriedensbruchs‹, die Räumlichkeiten zu durchsuchen beziehungsweise einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen.« Gleichzeitig hätten die eingesetzten Beamt*innen gefragt, ob auch »freiwillige Stubenschau« infrage käme, »also eine Durchsuchung im Einverständnis mit den Veranstaltern«, ergänzt Leonhardt. Das habe er gemeinsam mit den Veranstalter*innen abgelehnt. »Nachdem die sieben, acht Dienstkräfte des örtlichen Polizeiabschnitts in der Folge vergeblich versucht hatten, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, war der Einsatz vor Ort dann beendet«, sagt der Rechtsanwalt.

Leonhardt findet den Polizeieinsatz bedenklich: »Statt die Räumlichkeiten, die regelmäßig Ziel von rechten Störungen werden, vor der Bedrohungsituation zu beschützen, wurde versucht, diese zu durchsuchen. Von ihren angedachten Maßnahmen konnten die Polizeibeamten Staatsanwaltschaft und Gericht glücklicherweise nicht überzeugen.«

Die beiden Veranstalter*innen erklären, dass ihnen einige der Personen bekannt seien, die an der Aktion beteiligt waren. »Sie sind häufiger vor unseren Treffen präsent und provozieren.« Auch an besagtem Freitag seien zwei Personen schon vor Beginn der Veranstaltung vor Ort gewesen. »Nachdem wir sie des Ortes verwiesen hatten, kamen sie diesmal offenbar zu sechst wieder«, sagen die beiden Augenzeug*innen.

Die Rechten seien »kiezbekannt«, heißt es in dem verbreiteten Schreiben. Die beiden Organisator*innen des Offenen Antifa-Treffens erläutern: »Das ist keine organisierte Gruppe, in der Nachbarschaft sind sie als Stresser bekannt, so zwischen 13 und 18 Jahre alt. Einige von ihnen sind durch die Übergriffe auf Leon am Grünen Campus in Malchow aufgefallen.« Wie »nd« berichtete war der 16-jährige Schüler Leon, der im Viertel offen links auftritt, wiederholt Ziel neonazistischer Übergriffe geworden.

Im Nachgang einer Attacke habe es im Rahmen des Offenen Antifa-Treffens ein Betroffenentreffen gegeben, erzählen die beiden Aktivist*innen, die auch am vergangenen Freitag dabei waren. Nach den Vorfällen nahmen sie in der Nähe ihres Treffpunkts vermehrt rechte Aktivitäten wahr. Plakate mit dem Foto und der Adresse des Schülers Leon seien in der Nachbarschaft aufgehängt worden. »Die hingen vom S-Bahnhof Wartenberg bis zu unserer Eingangstür«, sagen die zwei vom Antifa-Treff.

Auch abseits des monatlichen Treffens seien Besucher*innen von Konzerten von den Jugendlichen bepöbelt und rassistisch beleidigt worden. Laut den Aktivist*innen seien ein paar von ihnen auch im Rahmen von AfD-Kundgebungen und rechten Demonstrationen in der Innenstadt gesehen worden.

Doch die Entwicklung in Hohenschönhausen scheint sich zu unterscheiden von den gut vorbereiteten und organisierten Aktivitäten der rechtsradikalen Kleinstpartei »Dritter Weg« oder deren Nachwuchsorganisation Nationalrevolutionäre Jugend, die vor allem in Pankow und Marzahn-Hellersdorf auftreten. Auch in das Bild der auffälligen Gruppen »Deutsche Jugend voran« und »Jung & Stark« passen sie nur bedingt. Zwar seien Schnittmengen nicht auszuschließen, aber, sagen die zwei vom Antifa-Treff: »Wir sehen uns eher mit ganz jungen lose organisierten Jugendgangs konfrontiert, die vor allem offen auftreten und im Straßenbild präsent sind.«

»Nach Jahrzehnten, in denen Auseinandersetzungen mit offen Rechtsradikalen
die Ausnahme waren, versuchen die Jugendlichen den Kiez nun wieder rechts zu färben«, sagen die beiden Aktivist*innen. Das Problem, dass die jungen Rechten hier gerade Oberwasser haben, sei auch vielen Parteipolitiker*innen und Vereinen bekannt. Auch die würden, ebenso wie die Besucher*innen des monatlichen Antifa-Treffens versuchen, gegenzusteuern. »Wir fühlen uns jetzt nicht alleingelassen und haben auch nicht den Eindruck, dass versucht wird, das Problem kleinzureden«, sagen die zwei.

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