Gekürzte Flüchtlingshilfe

UNHCR weist in den »Global Trends« auf Rückkehr-Lichtblicke und neue Vertreibungen hin

Trinkwasser-Ausgabe an Vertriebene im Sudan
Trinkwasser-Ausgabe an Vertriebene im Sudan

Rund eine dreiviertel Million Menschen sind vor dem brutalen Krieg im Sudan in das bitterarme Nachbarland Tschad geflohen. In dem Sahel-Staat leben sie in überfüllten Flüchtlingslagern, die notdürftig von internationalen Hilfsorganisationen versorgt werden. Gerade im Grenzgebiet zum Sudan ist aber die Lage aufgrund fehlender Verkehrsinfrastruktur, rudimentärer Gesundheitsversorgung und zunehmender Wasserknappheit ohnehin prekär. Da die Arbeitslosigkeit hoch ist, gibt es für die Vertriebenen auch kaum Möglichkeit, sich etwas hinzuzuverdienen. Als wäre das nicht schlimm genug, machen sich jetzt die massiven Kürzungen von Hilfsgeldern bemerkbar: So musste etwa in der Flüchtlingssiedlung Farchana eine Entbindungsstation für geflüchtete Frauen schließen, viele gebären nun unter gefährlichen Bedingungen zu Hause – mit steigender Sterblichkeit bei Müttern und Neugeborenen, wie es heißt. Auch die Schule für Geflüchtete wurde geschlossen, die Lehrer erhalten keine Gehälter mehr, Tausende Kinder haben kaum noch Zugang zu Bildung. »Die Kinder haben die Schule verlassen. Viele nehmen gefährliche Migrationsrouten, einige ertrinken im Meer, andere landen in Goldminen«, berichtet Schulleiter Abdelrahim Abdelkarim.

Das Finanzthema nimmt auch breiten Raum in den »Global Trends 2025« ein, die das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Donnerstag in Genf vorstellte. Die Organisation spricht von der »größten Finanzierungskrise in der 75-jährigen Geschichte von UNHCR«. Während sich die Zahl der vertriebenen Menschen in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt habe, lägen die zur Verfügung stehenden Mittel heute in etwa auf dem Stand wie 2015, heißt es in dem 63-seitigen Bericht. Die jüngsten Mittelkürzungen insbesondere durch die USA haben massive Folgen, worauf die Uno-Flüchtlingshilfe in Bonn, nationaler Partner des UNHCR, hinweist: Im Südsudan mussten drei Viertel der Schutzhäuser für Frauen geschlossen werden. Hier geht es um 80 000 von oftmals sexueller Gewalt betroffene Frauen und Mädchen, die keine medizinische oder psychologische Unterstützung mehr bekommen. In Ägypten wurde sudanesischen Flüchtlingen die Gesundheitsversorgung gestrichen. Im Sudan ist für eine halbe Million Menschen der Zugang zu Trinkwasser und medizinischer Versorgung gefährdet. Obwohl UNHCR eine multilaterale Organisation der Staatengemeinschaft ist, sieht sich die Bonner Uno-Flüchtlingshilfe genötigt, auf »dringend benötigte private Spenden« hinzuweisen.

Die Finanzprobleme kommen zu einer Zeit, in der die Zahl der gewaltsam Vertriebenen weltweit auf einen neuen Höchststand in der 75-jährigen UNHCR-Geschichte gestiegen ist. Ende April waren laut dem Bericht demnach weltweit 122,1 Millionen Menschen vor Krieg und Verfolgung geflohen, gut zwei Millionen mehr als ein Jahr zuvor. Dabei flohen die meisten Menschen vor Kriegen und großen Konflikten, vor allem im Sudan, Myanmar und der Ukraine. Rund 40 Prozent aller Vertriebenen sind Kinder.

»Wir leben in einer Zeit starker Unbeständigkeit in den internationalen Beziehungen. Die moderne Kriegsführung hat eine fragile und erschütternde Situation geschaffen, die von großem menschlichem Leid geprägt ist«, sagte Filippo Grandi, Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, bei der Vorstellung des Berichts. »Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um Frieden zu schaffen und dauerhafte Lösungen zu finden. Für Flüchtlinge und für andere Menschen, die gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen.«

Die Gesamtzahl der Flüchtlinge, also der Menschen, die bei ihrer Flucht eine internationale Grenze überschritten haben, blieb laut den »Global Trends« weitgehend unverändert bei 42,7 Millionen. Eine deutliche Zunahme gab es hingegen bei den Binnenvertriebenen: Die Zahl der Menschen, die innerhalb ihres Landes fliehen mussten, wuchs um 6,3 Millionen auf 73,5 Millionen. Diese Staaten leiden indes unter den Kämpfen und haben instabile öffentliche Strukturen, um die Versorgung zu gewährleisten. Hinzu kommen 8,4 Millionen Asylsuchende, auch das ein deutlicher Anstieg um mehr als 1,5 Millionen.

Von den Flüchtlingen weltweit leben mehr als zwei Drittel im direkten Nachbarland. Davon fanden 73 Prozent Schutz in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen, also im globalen Süden. Fast jeder Vierte, 23 Prozent, lebt sogar in Staaten, die zu den ärmsten Ländern der Welt gehören. Im Verhältnis zur Wohnbevölkerung beherbergen der Libanon, die Karibikinsel Aruba und der Tschad die meisten Geflüchteten. Nach Europa oder Nordamerika kommt nur ein Bruchteil der Vertriebenen. In Deutschland waren die Asylzahlen im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrierte 250 945 Asylanträge, davon 229 751 Erstanträge, ein Rückgang um mehr als 30 Prozent. Die wichtigsten Herkunftsländer waren Syrien, Afghanistan, Türkei, Irak und Iran. Das Land mit den meisten neuen Asylanträgen waren 2024 übrigens ausgerechnet die USA.

Die laut UNHCR »größte Vertreibungskrise der Welt« hat seit April 2023 der Krieg im Sudan verursacht, von dem 13,5 Millionen Menschen betroffen sind. Zwei Drittel von ihnen sind im Land selbst unterwegs. Im Gefolge der Vertreibungen leiden fast 25 Millionen Menschen unter akutem Hunger, worauf die Welthungerhilfe am Donnerstag hinwies. Besonders dramatisch ist die Situation rund um das Geflüchteten-Camp Zamzam in Nord-Darfur. Für Hilfsorganisationen ist es fast unmöglich geworden, die Menschen hier zu erreichen, obwohl diese dringend auf Hilfe angewiesen sind. Im April 2025 wurde das Camp Ziel von mehreren gewaltsamen Angriffen, was dazu führte, dass 400 000 Menschen erneut fliehen mussten und nun »im Nirgendwo ausharren«.

Trotz der riesigen Probleme sieht der UNHCR aber auch Lichtblicke: »Fast zwei Millionen Syrer konnten nach mehr als einem Jahrzehnt der Entwurzelung in ihre Heimatorte zurückkehren«, sagt Hochkommissar Grandi. »Aber das Land ist nach wie vor labil, und die Menschen brauchen unsere Hilfe, um ihr Leben wieder aufbauen zu können«, so der italienische Diplomat. Insgesamt kehrten im vergangenen Jahr 1,6 Millionen Flüchtlinge (so viele wie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht) und 8,2 Millionen Binnenvertriebene (die zweithöchste je registrierte Zahl) in ihre Heimat zurück.

Dies ist aber häufig von Konflikten, Unsicherheit und Not überschattet, worauf UNHCR hinweist. So kehrten viele Afghanen unter Zwang und äußerst prekären Umständen in ihre Heimat zurück. Und neben Rückkehrern gibt es eben auch neue Vertreibungen, zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo, in Myanmar und im Südsudan.

»Der UNHCR-Bericht bestätigt, was unsere Teams weltweit erleben: Die humanitäre Versorgung von Menschen auf der Flucht verschlechtert sich dramatisch. Viele unserer Patient*innen wurden aus ihrer Heimat vertrieben und suchen Schutz und Hilfe, meist im eigenen Land oder in Nachbarstaaten«, sagt Felix Braundorf, Experte für Flucht und Migration bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. »Was der Bericht aber nicht klar genug benennt: Eine entmenschlichende Rhetorik gegenüber Geflüchteten greift zunehmend um sich und verletzt ihre Würde. Hier braucht es eine deutlichere Haltung, von der UN und der internationalen Politik.«

»Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um Frieden zu schaffen und dauerhafte Lösungen zu finden.«

Filippo Grandi UNHCR

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